die Lehre

Basiswissen zum Buddhismus

Vortrag von Vera Thöne, Zen-Nonne, Wuppertal

Der Buddhismus ist – wie Sie schon erfahren haben, wenn Sie die übergeordnete Seite zum Buddhismus gelesen haben – eine der großen Weltreligionen mit einer nunmehr zweieinhalb­tausendjährigen, ungebrochenen Überlieferung. Er wendet sich an alle suchenden Menschen, unabhängig von Nationalität, sozialer Herkunft oder Geschlecht und weist Wege aus Leid und Unvollkommenheit zu Harmonie und Glück. Heute ist der Buddhismus vor allem in den Ländern Asiens lebendig, findet aber zunehmend in westlichen Ländern Anklang.

Buddha

Der Buddha – sein Name war Siddhattha (skr. Siddhartha) und sein Familienname Gotama (sanskrit: Gautama) – lebte im 6. Jahrhundert v. Chr. in Nordindien. Sein Vater war Herrscher des Königreichs der Sakyas (im heutigen Nepal). Seine Mutter war die Königin Maya. Nach der Sitte der Zeit wurde der Gotama Siddhattha sehr jung, im Alter von 16 Jahren, mit der Prinzessin Yasodhara vermählt. Der junge Gotama lebte in seinem Palast, und alles, was zum Wohlleben gehörte, stand ihm zur Verfügung.

Als er sich aber eines Tages ganz plötzlich der Realität des Lebens und dem Leiden der Menschheit gegenübergestellt sah, entschloß er sich, nach der Aufhebung des Leidens zu suchen und den Weg aus dem allgemeinen Leid zu finden. Mit 29 Jahren, bald nach der Geburt seines einzigen Sohnes Rahula, verließ er sein Königreich und wurde, auf der Suche nach dieser Erlösung, ein Asket. Sechs Jahre lang wanderte der Asket Gotama durch das Tal des Ganges, traf berühmte religiöse Lehrer, studierte und folgte ihren Systemen und Methoden und unterwarf sich selbst strengen asketischen Übungen. Da ihn all dies nicht befriedigte, gab er die überlieferten Religionen und ihre Methoden auf und ging seinen eigenen Weg.

In diesem Bemühen um Erlösung erreichte Gotama in seinem 35. Lebensjahr die vollkommene Erleuchtung (bodhi), nach der er als der Buddha – der Erleuchtete – bekannt wurde. Und zwar geschah dies am Ufer des Neranjara-Flusses bei Gaya (nahe Gaya im heutigen Bihar) unter einem Baum, der heute als Bodhi-Baum – Baum der Weisheit – verehrt wird.

Nach seiner Erleuchtung hielt Gotama, der Buddha, im Wildpark bei Isipatana (dem heutigen Sarnath) nahe Benares vor einer Gruppe von fünf Asketen, seinen früheren Gefährten, seine erste Lehrrede. Von jenem Tage an hat er 45 Jahre lang vor Männern und Frauen aller Volksschichten, vor Königen und Bauern, Brahmanen und Ausgestoßenen, Geldverleihern und Bettlern, Heiligen und Räubern gesprochen und gelehrt. Die Unterscheidungen der Kasten­ordnungen oder die Verschiedenheiten der sozialen Gruppierungen erkannte er nicht an; der Weg, den er lehrte, stand allen Männern und Frauen offen, die bereit waren, ihn zu verstehen und zu gehen.

Im Alter von 80 Jahren verschied der Buddha in Kusinara (im heutigen indischen Bundesstaat Uttar Pradesh).

Kurzer Abriss über die Geschichte des Buddhismus

Die geschichtliche Entwicklung des Buddhismus kann (großzügig) in vier Phasen unterteilt werden:

  • Mitte des 6. bis Mitte des 5. Jahrhunderts v. u. Z..: Phase des Ur-Buddhismus oder Dhammayana, in der die Lehre vom Buddha verkündet und von seinen Schülern weiter verbreitet wurde.
  • ab Mitte des 4. Jahrhunderts v. u. Z..: Phase der Spaltung in verschiedene Schulen aufgrund von unterschiedlichen Auslegungen der Lehre (siehe auch Schulen).
  • ab dem 1. Jahrhundert: Aufkommen des Mahayana mit den zwei großen Strömungen des Madhyamika und Yogacara.
  • nach dem 7. Jahrhundert: Entstehung des buddhistischen Tantrismus (siehe auch Tibetischer Buddhismus und Vajrayana).

Ab ca. dem 3. Jahrhundert kommt es zur Verbreitung des Buddhismus in Gebieten außerhalb Indiens, wo er sich jeweils den lokalen Gegebenheiten anpasst.

Buddhistische Lehre

Die buddhistische Lehre weist Wege aus Leid und Unvoll­kommenheit zu Harmonie und Glück. Die »Vier Edlen Wahr­heiten« (siehe unten) bilden ihren Kern. Die wesentlichen Merkmale und Übungen dieses spirituellen Weges sind ethisches Verhalten, Meditation und tiefe Einsicht. Dabei stellt die Lehre des Buddha den Menschen immer in seine eigene Verantwortung. Sie zeichnet sich zudem durch Toleranz und Dialog­bereitschaft, Dogmenfreiheit und Gewaltlosigkeit aus. Einen Anspruch auf alleingültige Wahrheiten erhebt sie nicht.

Die Vier Edlen Wahrheiten:

Der Kern der Lehre des Buddha sind die vier Edlen Wahrheiten, die er in seiner allerersten Rede in Isipatana (dem heutigen Sarnath) bei Benares vor seinen ehemaligen Gefährten, den fünf Asketen, erläuterte.

Die vier edlen Wahrheiten sind:

  1. Wahrheit vom Leiden: Das Leben im Daseinskreislauf, das heißt im Kreislauf von Geburt, Alter, Krankheit und Tod, ist letztlich leidvoll. Von Liebem getrennt zu sein, ist leidvoll, mit Unliebem vereint zu sein, ist leidvoll. Dies ist zu durchschauen.
  2. Wahrheit von der Ursache des Leidens: Die Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung bzw. Unwissenheit. Sie sind zu überwinden.
  3. Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Dies ist zu verwirklichen.
  4. Wahrheit von dem Weg zur Aufhebung des Leidens: Zum Erlöschen des Leidens führt ein Weg, der Edle Achtfache Pfad. Er ist zu gehen.

Die vier edlen Wahrheiten können auch als der kürzeste Ausdruck der gesamten Lehre des Buddha und als der gemeinsame Nenner aller buddhistischen Richtungen bzw. Schulen genommen werden.

Die erste Wahrheit besagt, dass alle weltlichen Daseinsformen ungenügend sind, uns niemals vollständig befriedigen können und damit leidhaft sind. Sie stellt die Diagnose unseres Daseins dar. Die zweite Wahrheit beinhaltet die Ursachenanalyse. Die Ursache des Leidens ist in unserem eigenen Geist zu finden: Dem Begehren. Die dritte Wahrheit lehrt, dass es durch Erlöschung des Begehrens notwendigerweise zur Erlöschung des Leidens kommen muss. Die vierte Wahrheit beschreibt den praktischen Weg, der zur Leidensüberwindung führt. Dieser Weg wird als Achtfacher Pfad beschrieben (siehe unten).

Wie wir sehen, sind die Lehren Buddhas sehr lebensnah und pragmatisch. Er hat kein abstraktes theoretisches Lehrgebäude errichtet. Und wenn z.B. philosophische oder metaphysische Fragen an ihn gerichtet wurden, die nicht unmittelbar mit der Überwindung des Leidens zu hatten, weigerte er sich, zu antworten und seine Zeit damit zu vertun.

Die Lehre Buddhas weist Wege aus Leid und Unvoll­kommenheit zu Harmonie und Glück. Die »Vier Edlen Wahr­heiten« bilden ihren Kern. Die wesentlichen Merkmale und Übungen dieses spirituellen Weges sind ethisches Verhalten, Meditation und tiefe Einsicht. Dabei stellt die Lehre des Buddha den Menschen immer in seine eigene Verantwortung. Sie zeichnet sich zudem durch Toleranz und Dialog­bereitschaft, Dogmenfreiheit und Gewaltlosigkeit aus. Einen Anspruch auf alleingültige Wahrheiten erhebt sie nicht.

Einem weit verbreiteten Missverständnis möchte ich an dieser Stelle vorbeu­gen: Buddha hat nicht gesagt, dass wir angesichts der Erkenntnis der grund­sätzlichen Leidhaftigkeit unserer Existenz nur noch mit Trauermiene und in Sack und Asche herumlaufen sollen, nach dem Motto: „Die Welt ist so schlecht, ich bin so schlecht…“ Ganz im Gegenteil! Buddha hat gesagt:

„Es gibt keinen Weg zum Glück, glücklich sein IST der Weg!“

Der Edle Achtfache Pfad:

Praktisch hat die ganze Lehre des Buddha, der er sich 45 Jahre gewidmet hat, in irgendeiner Weise mit dem achtfachen Pfad zu tun. Er stellt eine praktische Wegweisung zur vollständigen Leidensaufhebung – dem Nirvana – dar, wenn alle nachfolgenden acht Elemente erfolgreich von einem oder einer selbst gemeistert werden:

  1. Rechtes Verständnis
  2. Rechtes Denken
  3. Rechte Rede
  4. Rechte Handlung
  5. Rechter Lebenserwerb
  6. Rechte Anstrengung
  7. Rechte Achtsamkeit
  8. Rechte Konzentration

Der Edle Achtfache Pfad ist der Weg Buddhas. Er nannte ihn den ‚Mittleren Weg’. Das Gleichgewicht zwischen übertriebener Askese auf der einen Seite und Zufriedenheit mit unseren Wünschen, Täuschungen, Anhaftungen und Freuden auf der anderen Seite.

Von diesem Weg sagte Buddha, dass er ihn nicht gefunden, sondern wiederentdeckt habe, so wie man eine alte Straße in einem Wald wiederentdeckt, die von der Vegetation zugewachsen ist. Dieser alte Weg ist von allen Buddhas gegangen worden, und wir müssen ihn selbst wiederentdecken, das heißt, die Unterweisung nicht wie ein Dogma empfangen, wie etwas, das man glaubt, sondern etwas, das man selbst erfährt.

Auf diesem achtfachen Pfad gibt es acht Wege, acht Verzweigungen, die alle voneinander abhängig sind. Es sind keine Wege, die man nacheinander praktiziert, sondern man praktiziert sie zusammen. Sie sind alle Aspekte und Ausdrucksformen der Zazen-Praxis, sie sind alle in der Zazen-Praxis enthalten. Deshalb muss man sich in dem Augenblick, in dem man Zazen praktiziert, nicht mit dem Achtfachen Pfad beschäftigen. Jedoch ist der achtfache Pfad sehr nützlich für die Beziehungen zwischen Zazen und unserem Alltag.

In einer anderen, kompakteren Form wird der Weg auch dreigliederig dargestellt:

  1. Weisheit: Hierunter fallen Rechtes Verständnis sowie Rechtes Denken.
    Das ist die Dimension von Weisheit und Mitgefühl, die immer zusammengehören.
  2. Ethik (Verhalten, Karma): Hierunter fallen Rechte Rede, Rechte Handlung sowie Rechter Lebens­erwerb.
  3. Sammlung/Meditaion: Hierunter fallen Rechte Anstrengung, Rechte Achtsamkeit sowie Rechte Konzentration.

Es handelt sich um das Bemühen, die Energie, die man in die Praxis legt; die Achtsamkeit nicht nur in Zazen, sondern auch im Alltag; und die Konzentration. Konzentration nennt man auf Sanskrit Dhyana, das wurde in China zu Ch’an und schließlich in Japan zu Zen. Die Schule Bodhidharmas, die Schule des Zen in China, war die Schule derjenigen, die Zazen praktizieren, die sitzende Konzentration. Diese ist nicht einfach der achte Aspekt des Achtfachen Pfades, sondern zugleich seine Quelle, sein Ursprung.

Hier nun einige kurze Erläuterungen zu den einzelnen Aspekten des Achtfachen Pfades:

1. Rechtes Verständnis

Es geht nicht um ein intellektuelles oder analytisches Verständnis, sondern um intuitives, tiefes Verstehen. Man sagt oft, es handele sich um das Verständnis der Wirklichkeit so, wie sie ist. Es geht nicht um das Verstehen eines philosophischen Systems, sondern darum, das eigene Leben zu verstehen. Das Verstehen Buddhas war das Verstehen der Vier Edlen Wahrheiten. Dieses Verständnis müssen wir in unserem eigenen Leben realisieren.

2. Rechtes Denken

In Zazen verweilt der Geist auf nichts. Er verfolgt die Gedanken nicht und verwirft sie nicht. So schafft das Denken in Zazen keine Trennung. Das nennt man das rechte Denken. Das Denken im Zazen schafft keinen Gegensatz zwischen sich und den anderen. Auch wenn man gegenüber der Wand sitzend allein mit sich ist, praktiziert man in Wirklichkeit mit den anderen, mit allen Wesen. Das, was man auf dem Weg Buddhas das rechte Denken nennt, ist eine völlige Öffnung den anderen gegenüber, die den Ausdruck einer bedingungslosen Liebe ermöglicht, die nicht davon abhängt, was die anderen uns geben. Dies ist eine Liebe, die sich nicht in Hass, Feindseligkeit und Eifersucht umwandelt; das wahre Mitgefühl. Mitgefühl bedeutet den Schmerz der anderen zu spüren und zu teilen, Sympathie zu haben für die anderen. In der Liebe gibt es auch das Teilen des Glücks, der Freude, der Befreiung.

3. Rechte Rede

Während Zazen kehrt man zum Schweigen zurück. Kein falsches Wort kann gesagt werden. Falsche Aussagen sind Aussagen, die Täuschungen entspringen. Sie schaffen schlechtes Karma. Eine richtige Aussage ist eine Aussage, die das Dharma zum Ausdruck bringt, die die rechte Sicht der Existenz ausdrückt. Sie wird Quelle guten Karmas, guten Einflusses. Aus Sicht der Unterweisung Buddhas besteht rechte Rede darin, Abstand zu nehmen von Unwahrheiten, darin, die anderen und sich selbst nicht zu belügen und auch davon Abstand zu nehmen, Schlechtes über andere zu sagen. Man muß nicht nur Acht geben auf das, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt. Schließlich geht es auch darum, Geschwätz zu vermeiden, überflüssiges Gerede. In Frankreich gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass man zuerst seine Zunge achtmal im Munde drehen soll, d.h. dass man sein Motiv betrachten sollte, bevor man etwas sagt. Wenn das Motiv schlecht ist, ist es besser zu schweigen.

4. Rechte Handlung

Die Geisteshaltung von Zazen beinhaltet, seine Gedanken nicht mehr zu nähren. Man ist nicht mehr Gefangener seiner Gedanken. Frei in seinen Gedanken zu sein bedeutet, weder irgendetwas zu ergreifen, noch irgendetwas zurückweisen zu wollen.

Diese Freiheit wird Basis des rechten Handelns im Alltag. Es bedeutet, nicht aus Gier heraus zu handeln, nicht zu handeln, weil man selbst etwas erhalten möchte, und auch nicht aus Feindschaft und Hass heraus anderen gegenüber. Wenn man Zazen nicht auf die sitzende Haltung begrenzt, sondern wenn Zazen unser ganzes Leben umfasst, wird unser ganzes Leben vom Buddha-Geist erhellt, der nach und nach den Platz unserer egoistischen Sichtweise einnimmt. Mit dem Buddha-Geist sehen, bedeutet die Unbeständigkeit zu sehen, die Umwandlung aller Dinge in jedem Augenblick. Sehen, dass man nichts besitzen kann. Wenn man so sieht, nimmt unsere Gier ab und der Geist des Fuse, der Gabe, des Teilens entwickelt sich, manifestiert sich in der Praxis mit den anderen, dem Teilen seiner Zeit, seiner Energie mit den anderen.

Wie Buddha sehen bedeutet, die wechselseitige Abhängigkeit aller Existenzen zu sehen. Wenn man sie tief spürt, ist es nicht mehr möglich, Leiden um sich herum zu schaffen. Denn das heißt, sich selbst Leid zuzufügen. Statt dessen entwickelt sich eine wohlwollende Haltung allen Wesen gegenüber. Man wird aufmerksam auf das Wohlbefinden der anderen, so als handele es sich um die eigenen Kinder. Man fühlt sich von niemandem getrennt.

5. Rechter Lebenserwerb

Der rechte Lebenserwerb ermöglicht uns den Erhalt unseres Körpers, mit dem wir praktizieren. Er lässt uns genug Zeit, um zu praktizieren und lässt sich mit dem edlen Achtfachen Pfad und den Geboten in Einklang bringen.

6. Rechte Anstrengung

Um den Weg des Zen zu praktizieren, braucht man viel Energie. Zu Beginn des Zazen braucht man viel Energie, um die rechte Haltung einzunehmen. Besonders für Anfänger ist das nicht einfach. Aber wenn man diese Anstrengung nicht unternimmt, kann die rechte Haltung nicht existieren. Wenn man keine Anstrengung unternehmen will, ist es sehr schwierig, sich zu ändern. Man bleibt Sklave seiner Gewohnheiten, die immer stärker werden und uns unsere Freiheit rauben.

7. Rechte Achtsamkeit

Wenn man die Anstrengung unternommen hat, die Zazen-Haltung einzunehmen, ist es wichtig, die Achtsamkeit zu entwickeln, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was hier und jetzt geschieht, sich dessen bewusst zu werden, was passiert. Das nannte Meister Deshimaru die Praxis der Beobachtung, seinen Körper zu beobachten, seine Spannungen zu beobachten und sie loszulassen, seine Atmung zu beobachten, die Ausatmung zu vertiefen und sich seiner Empfindungen und Gefühle bewusst zu werden, zu beobachten, wie sie erscheinen und verschwinden. Und die Aktivität unseres Geistes zu beobachten, beobachten, wie er versucht zu ergreifen, wie er die Tendenz hat zu verwerfen. Wie er sich ständig zwischen Nehmen und Ablehnen bewegt, und auch, wie er sich von unseren Illusionen ausnutzen und täuschen lässt. Wie er die Tendenz hat, zerstreut zu sein, und wie er ständig dem Hier und Jetzt entflieht. Letztlich beobachten wir unsere Gedanken, unsere Konzeptionen, alle Begriffe, die wir über Dinge, Lebewesen, uns selbst, über die Praxis bilden und wie wir immer wieder versuchen, die Wahrheit in unsere geistigen Konstrukte einzuschließen.

Bezüglich der rechten Aufmerksamkeit sagt Meister Dogen: „Sie produziert keine Weisheit, sie selbst ist Weisheit.“ Der wichtige Aspekt der Weisheit ist, sich dessen bewusst zu sein, was hier und jetzt geschieht, der tiefen Natur der Phänomene, und zu sehen, dass sie letztlich keine Substanz haben, nichts Festes, nichts Beständiges. Der Zustand unseres Körpers, unsere Empfindungen, unsere Gedanken, unsere Umwelt sind nie getrennt. Ihre wechselseitige Abhängigkeit zu beobachten, ist, die Leerheit zu beobachten. Dies ist nicht das Nichts, sondern die tiefe Natur der Existenz. Um sich damit zu harmonisieren, um es wirklich zu verstehen, reicht es nicht, nur zu beobachten. Hier ist der achte Aspekt des Achtfachen Pfades wichtig, denn wirklich zu verstehen, heißt zu praktizieren.

8. Rechte Konzentration

Wirklich die Unbeständigkeit, die Leerheit zu verstehen, bedeutet, einen Geist zu verwirklichen, der auf nichts verweilt, einen Geist ohne Fixierungen. Dies ist ein Geist, der alle Zustände durchdringt, ohne irgendwo zu verweilen. Das bedeutet das Wort Zen. Es ist der achte Aspekt des Achtfachen Pfades.

Was hat der Edle Achtfache Pfad und insbesondere die Zen-Meditation mit unserem Alltag zu tun?

Ein weiteres wichtiges Element für ein ökologisches Potential des Buddhismus liegt in seinem weit entwickelten Instrument der Meditation. Sie beinhaltet immer die Komponenten der konzentrierten, geistigen Ausrichtung und der inneren Ruhe und Gelassenheit. Jeder, der einmal ernsthaft versucht hat zu meditieren, wird erfahren haben, wie sprunghaft und verworren seine Gedanken und Emotionen waren. Die Meditation bietet gegenüber dem normalen Wachbewusstsein quasi einen geschützten Übungsraum, um den eigenen Geist, die eigenen Gedanken und Emotionen zu beobachten, zu analysieren oder in einer bestimmten Richtung zu üben. Mit fortschreitender Übung lernt der Meditierende, sich seines Egos, seiner normalen Gedanken und Denkmuster, in jedem Augenblick der Meditation bewusst zu werden und diese Stück für Stück loszulassen. Das ermöglicht es ihm, Situationen objektiver, losgelöster, in der Übung der geistigen Sammlung betrachten zu können. Oder er verstärkt die Achtsamkeit auf den momentanen Augenblick, ohne unablässig von Gedanken und Emotionen blockiert und abgelenkt zu werden.

Was kann dies aber für unser Lebensumfeld bewirken? Zum einen hilft die Meditation dem Einzelnen, sich durch innere Beobachtung seiner Gedanken und Gefühle bewusst zu werden; klar zu werden, in welchen Zusammenhängen und in welcher Form sie auftreten. Letztendlich führt dies zu einem Verständnis für die Ursachen und Mechanismen eigenen Handelns. Diese Bewusstheit ist wiederum Grundlage für tiefgreifende Veränderungen, die zu einer gewissen ‘Entscheidungsfreiheit’ gegenüber dem eigenen Ego und gelernten Mechanismen führen. Unerfreuliche Denk- und Verhaltensmuster können schrittweise überwunden werden. Dies fördert sowohl die Fähigkeit zur Veränderung als auch die empfundene Lebensqualität. Wenn das Instrument der Meditation Teil einer spirituellen Schulung ist, d.h. fortlaufend aufeinander aufbauend, von einem Lehrer begleitet und individuell auf den Schüler abgestimmt geübt wird, dann kann sie sogar helfen, den eigenen Denkrahmen, die blinden Flecken in der Wahrnehmung, wahrzunehmen und an ihnen zu arbeiten. Dabei können auch Vorgänge aufgedeckt werden, die normaler­weise unterhalb der Bewusstheitsebene ablaufen. Der Übende lernt dabei seine eigenen Grenzen, seine Ängste, Bedürfnisse und Handlungsmotive genauer kennen und erfährt gleichzeitig, dass er mit ihnen in behutsamen, kleinen, verkraftbaren Schritten arbeiten kann, sie verändern kann. Er erwirbt sich nicht nur Wissen um Art und Umfang seiner geistig-seelischen Barrieren, sondern aus eigener Erfahrung das Wissen, dass diese Barrieren veränderbar sind und vor allem auch eine gewisse Übung in dieser Art der Arbeit an sich selbst.

Um in dieser Weise an sich selbst arbeiten zu können, ist es vor allen Dingen wichtig, in einer Gruppe, einer Gemeinschaft, der sogenannten Sangha zu praktizieren. Denn die anderen sind immer ein wunderbarer Spiegel. Jede positive, liebenswürdige, großzügige Handlung, aber auch jede Form von Egoismus, Arroganz oder Unfreundlichkeit werden sofort reflektiert. Und die Sangha bietet einen, im Vergleich z.B. zum Arbeitsleben, „geschützten“ Rahmen für Übung und Veränderung.

Und da wir alle noch lange nicht vollkommen sind, hat Buddha uns in Form von Geboten Hilfen mit auf den Weg gegeben, an denen wir uns immer wieder orientieren können. Diese Gebote sind allerdings nicht wie im Christentum formuliert mit „Du darfst nicht…“. Sondern sie beschreiben einfach die Handlungen, die es zu vermeiden gilt, wenn man kein Leid erzeugen will. Es gibt keine Instanz, die unsere Handlungen kontrolliert und uns bestraft. Wir müssen allerdings in jedem Fall die Konsequenzen unserer Handlungen tragen, die Früchte unseres Karma (dem Gesetz von Ursache und Wirkung) ernten, seien sie süß oder bitter….

Die Kai, die Gebote

Viele Leute fragen: „Wie kann man den Zazengeist im Alltag praktizieren?“ Die Antwort liegt in der Weitergabe der Gebote. Wie den Alltag als Buddha konkret leben? Wie nicht von Buddha verschieden sein? – Indem man die Gebote schützt und praktiziert, die seit Buddha weitergegeben werden. Diese Gebote sind keine Verbote, sind keine enge Moral, die auf Verboten basiert. Sie sind völliger Ausdruck des Mitgefühls und der Weisheit von Zazen. Wie ein glückliches Leben führen? Wie kein Leiden schaffen für sich selbst und andere? Wie in Harmonie mit seiner wahren Buddha-Natur leben? – Darin besteht die Unterweisung der Gebote, die von Buddha Shakyamuni bis heute weitergegeben wurden. Diese Gebote lauten:

  • Nicht töten
  • Nicht stehlen
  • Kein schlechtes Sexualleben führen
  • Nicht lügen
  • Nahrung und Getränke nicht missbrauchen
  • Nicht selbstgefällig sein und andere kritisieren
  • Nicht geizig sein, nicht zu viel begehren
  • Nicht in Wut geraten
  • Keine irrigen oder dogmatischen Ego-Ansichten haben
  • Nicht die drei Kostbarkeiten missbrauchen (verleumden)

Die Bedeutung der einzelnen Gebote hier jetzt noch im Detail zu diskutieren, würde zu weit führen. Das wäre ein Thema für einen neuen Vortrag. Die Auslegung der Gebote wird im allgemeinen sehr weit gefasst. Zwei Beispiele:

Vom Standpunkt der Zazen-Praxis aus bedeutet Nicht-Töten nicht nur das Nicht-Töten anderer Menschen, sondern das Leben zu respektieren, alle Formen des Lebens. Alle Existenzen sind Einheit. Sie und ich, wir sind in der Tiefe weder unterschieden noch getrennt. Wenn wir das tief verstehen, können wir der Aggression, den destruktiven Verhaltensweisen entgegenwirken und eine tiefe Sympathie mit allen Wesen entwickeln, die Quelle einer wirklichen Solidarität wird, ohne die keines der großen Ungleichgewichte, die die Menschheit bedrohen, gelöst werden kann, wie z.B. die wachsenden Gegensätze zwischen den reichen Ländern und den Entwicklungsländern und die wachsenden Gegensätze im Innern der Länder zwischen denen, die Zugang zu Reichtümern haben und denjenigen, die immer ärmer werden.

In der gleichen Weise bedeutet Nicht-Stehlen, dass man das nicht nimmt, was einem nicht gehört. Aber was gehört uns bei unserer Geburt? Es ist das Mönchsideal nur mit seinem Kesa und seiner Eßschale zu leben. Das ist alles, was wir zum Leben brauchen: unseren Körper ernähren und Zazen machen. Selbst wenn wir diesem Ideal nicht ganz folgen in Bezug auf die Enthaltung von überflüssigen Gütern, so ist doch klar, dass die Zazenpraxis uns dazu bringt, unsere Wünsche zu begrenzen und zu einem einfachen und natürlichem Leben zurückzukehren. Die Achtung der Umwelt und der Natur zeigt sich als eine Vereinfachung der menschlichen Bedürfnisse, als eine Rückkehr zum Normalzustand von Körper und Geist. Gerade darin besteht die Zazenpraxis.

Sie sehen, dieses Thema kann man noch sehr tief weiterführen. Ich möchte meinen Vortrag allerdings an dieser Stelle beenden und das wichtigste der Buddhalehre und des Zen noch einmal zusammenfassen:

Zusammenfassung

Das Zen, das durch Meister Deshimaru zwischen 1967 und 1982 nach Europa gebracht wurde, bedeutet für jeden von uns, zur ursprünglichen Praxis der Sitzmeditation zurückzukommen, zu Zazen, bei dem Buddha erwachte. Diese Erfahrung ist älter als der Buddhismus als Lehre, es ist seine lebendige Quelle.

Der Ausgangspunkt der spirituellen Suche Buddhas war seine Entdeckung des menschlichen Leidens, das Erforschen seiner Ursachen und seines Heilmittels, nicht nur für sich selbst, sondern für alle Wesen. Er erkannte, dass Geburt, Krankheit, Alter und Tod, dass getrennt zu sein von dem, was man begehrt, und demjenigen ausgesetzt zu sein, was man hasst, die verschiedenen Aspekte des Leidens sind. Sie erwachsen aus der dualistischen Einstellung des Menschen, die im Lauf der Jahrhunderte seinen Gegensatz zur Natur und zur kosmischen Ordnung verstärkt hat.

Der Sinn des Erwachens Buddhas ist es, das menschliche Leiden durch eine Praxis von Körper und Geist zu beenden, die es dem Menschen erlaubt, die Einheit seiner selbst und zugleich die Einheit mit seiner Umwelt wiederzufinden; eine Einheit jenseits aller Trennungen und Gegensätze, die durch das Verhaftetsein am Ego geschaffen werden.

Nichts kann das fundamentale Bedürfnis des Menschen befriedigen, die Suche nach Einheit mit der Natur, mit dem kosmischen System, das man Gott oder Buddha-Natur nennt. Je mehr dieses spirituelle Sehnen vernachlässigt wird, desto mehr ist man der unaufhörlichen Anhäufung von Wünschen und Gegenständen ausgesetzt. Letzteres ist zum Motor der Wirtschaft im Westen geworden. Es äußert sich in einer andauernden Schädigung der natürlichen Umwelt, einer Verschwendung nicht-erneuerbarer Ressourcen und in vielfältigen Formen der Umweltverschmutzung.

Die Probleme der Umwelt können nur durch eine wirkliche spirituelle Revolution gelöst werden. Der Buddhismus kann dazu beitragen, denn er ist ein Weg der Harmonisierung des Menschen mit der kosmischen Ordnung in der täglichen Praxis der Sitzmeditation, die wir im Zen „Zazen“ nennen.

Zazen zu praktizieren erlaubt eine unmittelbare Beziehung zur Natur, eine poetische Sicht der Welt, eine Anteilnahme am Leben, die den Machtwillen des Menschen, der zum reinen “homo oeconomicus” geworden ist, auf einer tiefen Ebene korrigieren kann.

Während Zazen verstehen wir aus dem Innern heraus, dass das Ego keine feste Substanz hat und dass wir nur in völliger wechselseitiger Abhängigkeit mit dem ganzen Universum existieren. Das Gefühl der Einsamkeit und Trennung verschwindet. Wir können unsere Einheit und Solidarität mit den anderen und der Umwelt erfahren. Diese Erfahrung, die aus den Tiefen unseres Körpers und unseres Geistes gelebt wird, ist die Grundlage einer neuen Ethik und einer wirklichen Ökologie.

Eine Ethik als ein Wertesystem, das unserem Leben und Handeln einen Sinn gibt, ist sicher nicht getrennt zu sehen von der Ökologie, verstanden als der Suche nach einem harmonischen, ausgewogenen Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner Umwelt.

Zazen zu praktizieren, das ist unsere Haltung hier und jetzt zu ändern, indem man bei seiner unmittelbaren Umgebung anfängt. Die Verschmutzung ist zuerst im Denken, bevor sie sich in der Atmosphäre, dem Wasser, der Erde niederschlägt; es handelt sich um den egoistischen, unmittelbaren Profitgeist, dessen Kosten künftige Generationen zu tragen haben.

Zazen zu praktizieren bedeutet, sein Ego aufzugeben und die gegenseitige Abhängigkeit und Solidarität mit dem ganzen Universum zu verwirklichen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Quellen:

  • Zen-Meister Roland Rech: Mündliche Unterweisungen und Vorträge
  • Hans Wolfgang Schumann: Der Historische Buddha, Diederichs Gelbe Reihe
  • Christian Häckel: Kann der Buddhismus einen Beitrag zu einem achtsamen Umgang mit der Umwelt leisten? – Eine alternative Herangehensweise an den Umweltschutz, Diplomarbeit 1998 auf www.buddhanetz.org