In Harmonie mit unserer wahren Natur – 05.2019 – Grube Louise

Frühlingslager Grube Louise, 25. Mai – 2. Juni 2019

Samstag, 1. Zazen
Konzentriert euch im Zazen von Anfang an völlig auf eure Haltung. Lasst euch nicht
von den Gedanken ablenken. Richtet eure Aufmerksamkeit immer wieder auf eure
Körperhaltung. Die Knie liegen fest auf den Boden, das Körpergewicht drückt auf das
Zafu. Neigt das Becken gut nach vorne, entspannt den Bauch und streckt von der
Taille aus die Wirbelsäule und den Nacken, als wolltet ihr den Scheitelpunkt des
Kopfes in den Himmel drücken.
Zieht das Kinn zurück und lockert die Schultern. Die linke Hand liegt in der rechten
Hand, die Daumen sind waagerecht und die Handkanten sind in Berührung mit dem
Unterbauch. Dies ist das hokkai join-Mudra, das Siegel des samadhi des Dharma-
Ozeans. Samadhi ist die große Konzentration, wie die Oberfläche des Wassers, wenn
der Wind aufgehört hat zu wehen. In diesem Moment kann das Wasser den ganzen
Himmel reflektieren, und weil es völlig durchsichtig ist, kann man bis auf den Grund
sehen.
Im Zazen wird der Geist klar wie ein Spiegel. Wir können sehen, wie sich alle Aspekte
unseres Lebens reflektieren. Mit anderen Worten, wir können uns selbst tief
kennenlernen, insbesondere wenn unsere bonno erscheinen, unsere Gier, unser
ständiger Wunsch, etwas erhalten zu wollen. Der Sinn unseres Lebens besteht oft
darin, unsere Wünsche zu erfüllen. Und wenn wir keinen Wunsch mehr haben, sind
wir deprimiert.
Im Zazen lernen wir, uns von dieser Gier zu befreien. Wir lernen, zufrieden damit zu
sein, einfach zu sitzen, so wie wir sind, mit unseren bonno, unseren Illusionen, unseren
Wünschen. Zazen beseitigt sie nicht, ermöglicht uns jedoch, uns von ihnen zu befreien,
indem wir ihnen nicht mehr folgen und nicht mehr von ihnen konditioniert werden.
Selbst wenn ich den Wunsch habe, Satori zu erlangen, wird er nicht zur Besessenheit.
Er ist nur ein Gedanke unter anderen, wie eine Wolke am Himmel, die ich vorbeiziehen
lasse und die den Himmel nicht stört. Der Himmel ist immer viel größer als alles, was
er umfasst.
Zazen praktizieren heißt, den weiten Geist zu verwirklichen. Wenn wir uns auf die
Körperhaltung konzentrieren, können wir von Augenblick zu Augenblick jeden
gedanklichen Inhalt loslassen. Anstatt den Gedanken zu folgen, folgen wir der Atmung.
Die Atmung findet stets hier und jetzt statt, während unsere Gedanken uns immer
irgendwo anders hinziehen, in die Zukunft oder in die Vergangenheit.
Psychische Krankheiten sind immer mit einer Anhaftung an etwas Vergangenem
verbunden, das schlecht gelaufen ist. Selbst wenn wir die Vergangenheit nicht ändern
können, können wir aufhören, uns mit ihr zu beschäftigen, und uns von ihr befreien,
indem wir unsere ganze Energie und Aufmerksamkeit auf unser wahres Leben im Hier
und Jetzt richten.
Der Sinn unserer Praxis ist es, hier und jetzt zu diesem Leben zu erwachen, besonders
auf einem Sesshin, denn die Konzentration auf das Hier und Jetzt findet nicht nur
während Zazen statt, sondern auch während der Zeremonien, wenn wir die Sutras
rezitieren und uns in sanpai niederwerfen, während wir spazieren gehen, Gen Mai
essen, Samu machen, uns ausruhen und sogar, wenn wir auf die Toilette gehen oder
uns hinlegen. Jede Handlung unseres täglichen Lebens kann wie eine Meditation
gelebt werden, das heißt mit einer völligen Präsenz im Hier und Jetzt, in einem gänzlich
unbegrenzten Leben, das nicht mehr von unserem Ego begrenzt wird, sondern völlig
offen für das ist, was immer offen bleibt.
Folgt also hier und jetzt einfach eurer Atmung und beschäftigt euch nicht mit euren
Gedanken. Denkt vor allem daran, bis zum Ende jeder Ausatmung zu gehen, damit ihr
tief einatmen könnt. Am Ende der Ausatmung kann man all seine Gedanken loslassen.
Der Geist wird wieder frisch und neu, aufnahmebereit für das Leben, wie es ist, jenseits
aller geistigen Kategorien, für das erwachte Leben in Harmonie mit dem Dharma, der
kosmischen Ordnung, mit unserer wahren Natur.

Samstag, 2. Zazen
Während Zazen begnügen wir uns damit, einfach nur zu sitzen. Wir suchen nichts, und
wir wehren nichts ab. Da wir alle auftauchenden Phänomene mit Gleichmut
empfangen, ist es uns möglich, den Frieden des Geistes wiederzufinden. Im täglichen
Leben müssen wir ständig wählen und unterscheiden. Diese Entscheidungen und
Ablehnungen werden von unserem vom Karma konditionierten Ego getroffen, wodurch
wir in einer begrenzten Welt leben. Die Zazen-Praxis fördert die Entwicklung eines
aufgeschlossenen und wohlwollenden Geistes.
Im Zazen verwirklichen wir den hishiryo-Bewusstseinszustand, das Bewusstsein
jenseits des unterscheidenden Geistes. Auf dem Sesshin setzt sich dieser
Bewusstseinszustand im täglichen Leben fort. Auch wenn wir die Unterschiede nicht
ignorieren, beurteilen wir sie nicht, weil wir erkennen, dass alle Dinge konditioniert
sind. Nichts ist an sich völlig gut oder schlecht, sondern einfach das Ergebnis einer
Verkettung von Ursache und Wirkung. Folglich können wir dazu beitragen, diese
Verkettung mit Hilfe eines mitfühlenden und wohlwollenden Geistes umzuwandeln.
Unser Geist wird nicht mehr von unseren Vorlieben oder Abneigungen begrenzt. Wir
haben weiterhin Gefühle, aber wir sind ihnen gegenüber frei. Das bedeutet, dass sie
nicht mehr unsere Handlungen bestimmen. Sie werden wie ein Koan, das darauf
hinweist, was in unserer Beziehung mit der Umgebung vor sich geht. Um nicht von den
Gefühlen konditioniert zu werden, brauchen wir eine tiefe Stabilität in Körper und Geist.
Diese Stabilität können wir im Zazen entwickeln. Während Zazen bilden Körper und
Geist eine Einheit, und unsere Energie konzentriert sich im Hara, unterhalb des
Nabels. Im Allgemeinen leben wir zu sehr im Kopf und sind in unseren Gedanken
gefangen. Dann wird der Bereich des Haras schwach, was zu einer Instabilität des
Geistes führt. Man wird emotional verletzlich.
Dank der Konzentration auf die Haltung und die Atmung, vor allem auf die Ausatmung,
können wir im Zazen wieder eine gute Stabilität erreichen. Die Zazen-Haltung ist wie
ein Berg, der jedes Wetter empfängt, die Sonne, den Regen, den Schnee, ohne sich
zu bewegen. Im Zazen sehen wir klar, wie sich Gedanken, Empfindungen und Gefühle
manifestieren, ohne ihnen anzuhaften. Wir sehen deutlich, worum es geht, und lassen
alles vorbeiziehen. Dadurch können wir Gleichmut entwickeln, die große Freiheit des
Geistes, die große innere Freiheit. Dies ist die beste Abhilfe gegen Stress.
Im Zazen können wir zutiefst realisieren, dass uns nichts wirklich gehört. Gleichzeitig
erkennen wir, dass wir nicht viel besitzen müssen, um vollkommen glücklich zu sein,
wie es Meister Ryokan seinen Schülern empfahl. Wir leben in der Welt des Habens.
Wir wollen immer mehr und haben Angst vor Verlust. Zazen befreit uns von diesem
Verlangen und dieser Angst, weil wir in einer Qualität des Seins verwurzelt sind,
jenseits von haben oder nicht haben.

Sonntag, 1. Zazen
Verlieren wir nicht die kostbare Zeit dieses Zazen, das es uns ermöglicht, zu erwachen.
Erwachen wozu? Zur Unbeständigkeit unseres Körpers.
Zu Beginn von Zazen ist der Körper entspannt, aber manchmal treten nach einer Weile
Schmerzen auf, oder er wird müde. Auch unsere Empfindungen verändern sich
unablässig, genauso wie unsere Wahrnehmungen. Manchmal ist es still, manchmal
hören wir die Stimme des Godos, manchmal die Geräusche der Natur. Unser
Bewusstsein, in dem sich alle Phänomene reflektieren, ist somit auch unbeständig.
Mit anderen Worten, alles, was unser Ego ausmacht, ist unbeständig. Doch im
Allgemeinen möchten wir das nicht sehen, denn wir hängen an der Beständigkeit.
Dabei ist das Erwachen zur Unbeständigkeit befreiend, gerade weil sie, wenn man sie
nicht akzeptiert, Ursache von Leiden ist.
Alles, was erscheint, wird früher oder später wieder verschwinden. Alles, was geboren
wird, wird letztendlich früher oder später sterben. Dies können wir um uns herum
deutlich wahrnehmen, mögen es allerdings bei uns selbst nicht sehen. Dennoch ist es
die Wirklichkeit. Es ist die Wirklichkeit, die unsere Illusion stört und die uns gleichzeitig
dazu antreibt, zu erwachen, zu erwachen aus unseren illusorischen Träumen, aus der
Illusion zu glauben, dass unser Leben und all unsere Besitztümer beständig sind.
Beständigkeit ist nicht die Wirklichkeit, selbst wenn wir versuchen, uns abzusichern.
Auch wenn wir uns gut um unsere Gesundheit kümmern, der Unbeständigkeit können
wir nicht entgehen. Davon ausgenommen ist das Hier und Jetzt, denn das Hier und
Jetzt ist völlig jenseits von Vergangenheit und Zukunft, jenseits unseres Bedauerns
über Vergangenes und jenseits unserer Ängste vor der Zukunft.
Wir haben keinen Körper, wir sind dieser Körper. Aber wir besitzen ihn nicht, denn er
gehört der kosmischen Ordnung. Er gehört der Sonne, die ihm Energie liefert. Er
gehört der Luft, die es ihm ermöglicht zu atmen. Er gehört dem Wasser und der
Nahrung, die es ihm ermöglichen, sich zu ernähren und weiterzuleben, nicht für ewig
aber lang genug, um Zeit zum Erwachen zu finden.
Lasst uns also diese kostbare Zeit nicht vergeuden. Lasst uns hier und jetzt erwachen
zu unserer völligen wechselseitigen Abhängigkeit mit allen anderen Existenzen. Seien
wir solidarisch mit all diesen Existenzen, indem wir in allen Handlungen unseres
täglichen Lebens einen mitfühlenden und wohlwollenden Geist entwickeln.
Der Weg ist keine Erfahrung außerhalb des täglichen Lebens. Er ist eine Erfahrung,
die in jedem Moment gelebt werden muss.

Sonntag, 2. Zazen
Bleibt gut auf eure Körperhaltung konzentriert und lasst vor allem nicht den Kopf nach
vorne fallen. Schlaft nicht. Wenn ihr dazu neigt, einzuschlafen, konzentriert euch auf
die Einatmung und beobachtet aufmerksam das Auftauchen der Gedanken.
Beobachtet den Moment, in dem ein Gedanke erscheint, das heißt, das Hier und Jetzt.
Was erscheint? Es ist wie eine Welle, die sich auf der Oberfläche des Ozeans aufbaut.
Sie hat eine besondere Form, ist aber nicht vom Ozean getrennt. Dies zu beobachten
heißt, die wahre Natur aller Dinge zu beobachten, die Natur ohne Trennung. Jede
Existenz ist eine besondere Form der kosmischen Ordnung. Unsere eigene Existenz
ist eine bestimmte Form, die der Kosmos angenommen hat. Sie ist nie von ihm
getrennt, sie unterscheidet sich im Grunde nie von ihm.
Die Zazen-Praxis ermöglicht es uns, dies zu erkennen, die wahre Natur aller
Existenzen zu erkennen, indem wir tief in uns selbst hineinschauen. Wir sind ein
Mikrokosmos. Wenn wir die wahre Natur unserer Existenz erkennen, erkennen wir
gleichzeitig die wahre Natur aller Existenzen. Im Grunde unterscheiden wir uns nicht
von ihnen und sind nicht von ihnen getrennt. Um dies zu realisieren, brauchen wir
nichts ergreifen oder abweisen. Einfach mit uns selbst vertraut werden.
Dann können wir aufhören, in der Existenz herumzuirren. Wir sind überall zu Hause
und können uns mit allen Existenzen befreunden, weil wir alle die gleiche Natur teilen,
die Buddha-Natur, die Tatsache, dass wir nur gemeinsam existieren und nie wirklich
voneinander getrennt sind. Das drücken wir aus, wenn wir uns im gassho verbeugen,
in Einheit mit uns selbst und mit der Person, vor der wir uns verbeugen.
Wenn wir unsere Einheit mit allen Wesen verwirklichen, haben wir nicht mehr das
Bedürfnis, einen Mangel zu beheben, indem wir unsere Wünsche vermehren. Wir
können zutiefst zufrieden sein und in Harmonie mit unserer wahren Natur leben. Dies
hängt nicht davon ab, ob jemand intelligent ist oder nicht, ob er viel weiß oder nicht.
Wenn wir im Zazen unseren Blick nach innen richten, ist es Buddha, der Buddha
ansieht.

Montag, 1. Zazen
Um auf diesem Sesshin den Weg praktizieren zu können, hat jeder große
Anstrengungen unternommen. Jeder hat seine Gewohnheiten hinter sich gelassen,
seine Freunde, seine Familie verlassen, um sich der Sangha anzuschließen und
gemeinsam zu praktizieren. Jeden Morgen muss man sich die Mühe machen, um
aufzustehen, ins Dojo zu gehen und die richtige Haltung einzunehmen, das heißt seine
Energie in die richtige Richtung lenken.
Die erste Art der richtigen Anstrengung ist, sich zu bemühen, die Ursachen des
Leidens gar nicht erst aufkommen und keine ungesunden, negativen Geisteszustände
entstehen zu lassen. Das setzt natürlich voraus, dass wir auf unsere Geisteszustände
achten, dass wir sehen, wie unsere Gedanken und Gefühle entstehen. Dann erst sind
wir in der Lage, den Lauf einiger negativer Gedanken oder Gefühle, die Leiden
erzeugen, rasch zu beenden.
Bei der zweiten Art der richtigen Anstrengung geht es darum, sich zu bemühen, die
Leidensursachen zu unterbinden, wenn sie bereits aufgetreten sind. Dabei befreit man
sich von diesen schädlichen Geisteszuständen, indem man sich auf die richtige
Haltung konzentriert. Wer zum Beispiel zu gewissen Abhängigkeiten neigt,
konzentriert sich darauf, diese schnell zu überwinden, indem er die entgegengesetzte
Geisteshaltung einnimmt. Wer zum Beispiel süchtig nach Tabak ist und Zigaretten
raucht, kann anfangen, Sport zu betreiben, zum Beispiel Schwimmen. Das kann ihm
helfen, die schlechte Angewohnheit des Rauchens loszuwerden und lässt ihn die
schädlichen Auswirkungen spüren.
Bei der dritten Art der richtigen Anstrengung bemüht man sich, das Gute zu entwickeln
und gesunde Geisteszustände, die noch nicht existieren, hervorzurufen. Zum Beispiel
lässt man den Geist des Erwachens, bodaishin, entstehen oder einen Geist, der sich
um den Umweltschutz sorgt, auch wenn man sich dafür bisher nicht interessiert hat.
Es bereitet große Freude, bodaishin und den Weg mit den anderen und zum Wohl
anderer zu praktizieren. Diese Freude stärkt unsere Energie, um die gyoji-Praxis
fortzusetzen. Dann müssen wir uns weniger anstrengen, weil der Geist des Erwachens
in uns wirkt und unsere Praxis belebt.
Die vierte Art der richtigen Anstrengung besteht darin, günstige Geisteszustände zu
entwickeln. Sie sind bereits präsent, hier zum Beispiel haben alle bestimmt bereits
bodaishin. Aber wie können wir bodaishin fördern, damit er für einen selbst wie für
andere bessere Wirkungen erzielt? Im Grunde ist unsere Existenz eine bestimmte
Form, die die grundlegende kosmische Energie eingenommen hat. Wie können wir
also diese Energie nutzen? Wie können wir unser Leben so gestalten, dass wir das
Gute entwickeln?
Alles, was dazu beiträgt, dass wir hier und jetzt existieren, wurde uns von der
kosmischen Ordnung geschenkt. Wie können wir der kosmischen Ordnung gegenüber
unsere Dankbarkeit ausdrücken? Indem wir den Weg mit den anderen und für die
anderen praktizieren. Dies gibt unserer Existenz einen tiefen Sinn. Dann freuen wir
uns, jeden Morgen aufzuwachen, um den Weg gemeinsam zu praktizieren. Unsere
Energie fließt ganz natürlich in die gute Praxis, die dadurch viel leichter wird und über
jede Anstrengung hinausgeht.

Montag, 2. Zazen
Wenn unsere Zazen-Praxis richtig ist, ist sie augenblicklich Verwirklichung des
Erwachens, des Erwachens zur tiefen Wirklichkeit unseres Lebens. Um es zu
verwirklichen, müssen wir in einem Zustand großer Konzentration sein und dürfen uns
nicht von Gedanken ablenken lassen. Wir müssen damit aufhören, Gedanken zu
folgen, und bleiben daher ständig auf die Körperhaltung konzentriert, die weder zu
angespannt noch zu entspannt ist.
Unsere Aufmerksamkeit richten wir immer wieder auf unsere Atmung. Sie ermöglicht
es uns, alles loszulassen, was unseren Geist überfüllt. Wir können über unsere
geistigen Konstrukte hinausgehen und zum Hier und Jetzt unseres wahren Lebens
zurückkehren, anstatt in einer virtuellen Welt zu leben. Dafür müssen wir weiterhin mit
viel Energie praktizieren.
Während der Praxis kommen wir immer wieder auf die Haltung und die Atmung zurück,
um zu vermeiden, in Zustände wie sanran oder kontin zu geraten, die uns
beeinträchtigen. Es geht darum, nicht der Bequemlichkeit nachzugeben oder sich nicht
von seinen Gedanken davontragen zu lassen, sondern in jedem Augenblick immer
wieder zum Körper und zur Atmung zurückzukehren. Dann erfüllt uns diese Praxis mit
frischer Energie und ermöglicht es uns, weiterzumachen, ohne müde zu werden,
präsent für jeden Augenblick zu sein, so wie er ist, und alles loszulassen, was uns
ablenkt. So lernen wir, die Hand des Geistes zu öffnen und loszulassen.
Da wir die Gedanken erscheinen lassen, ohne ihnen anzuhaften, kehren sie ganz
natürlich zu ihrem Ursprung zurück, zu ku, der Leerheit. Wir müssen deutlich
erkennen, dass die Phänomene, die während Zazen auftauchen, im Grunde ohne
Substanz und unfassbar sind. Anstatt zu versuchen, die auftauchenden Gedanken zu
verdrängen, können wir uns fragen: „Was ist das?“ „Was ist das eigentlich wirklich?“
Dann erkennen wir, dass die Gedanken ohne Substanz sind. Sie sind nicht etwas,
nichts Festes, Fassbares, Begrenztes; sie sind eine Manifestierung der
wechselseitigen Abhängigkeit aller Phänomene.
Auch wenn wir die große Konzentration erreichen, so ist auch sie unbeständig. Vor
allem, wenn wir versuchen, sie festzuhalten, verschwindet sie augenblicklich.
Konzentrieren wir uns daher weiter, ohne die Konzentration festhalten zu wollen. Dann
ist unsere Praxis wirklich frei und befreit uns.

Dienstag, 1. Zazen
Gegen Ende des Sesshins werden sich einige Praktizierende ordinieren lassen, das
heißt sie nehmen Zuflucht zu den drei Schätzen Buddha, Dharma und Sangha. Im
Sutra der 108 Dharma-Tore heißt es, dass das Vertrauen in die drei Schätze uns davon
abhält, an nicht-buddhistische Lehren zu glauben oder sie zu praktizieren. Natürlich
kann dies für Menschen mit christlichem, muslimischem oder jüdischem Glauben ein
Problem darstellen. Aber man muss verstehen, dass die nicht-buddhistischen Lehren,
von denen das Sutra spricht, nicht die drei großen monotheistischen Religionen, die
abrahamitischen Religionen, sind. Es handelt sich dabei um Kulte lokaler Gottheiten.
Dogen sagte, dass viele Menschen aus Angst Zuflucht zu Berg- oder Waldgottheiten
nehmen, zu Baum- oder Gartengottheiten oder anderen nicht-buddhistischen
Heiligtümern, insbesondere in Japan zu Shinto-Gottheiten. Dogen fügte hinzu:
„Zuflucht zu derartigen Gottheiten zu nehmen ist wertlos, denn es ist unmöglich, sich
so vom Leiden zu befreien.“ Hier spricht Dogen von dukkha.
Diejenigen jedoch, die Zuflucht zu den drei Schätzen Buddha, Dharma und Sangha
nehmen, sind in der Lage, ihre Weisheit zu benutzen, um die Vier Edlen Wahrheiten
zu sehen. Sie verstehen, dass jede Existenz dem Leiden unterworfen ist, dieses
Leiden jedoch eine Ursache hat, nämlich unsere Illusionen, unsere Anhaftungen,
unsere illusorischen Wünsche, mit anderen Worten, unsere bonno. Das Nirvana ist
hingegen der Bereich, der frei von allen Leiden ist. Die Praxis des Achtfachen Pfades
ermöglicht es, dieses Nirvana, das heißt die Auslöschung der Leidensursachen, zu
verwirklichen.
Dogen sagte abschließend: „Es gibt es nichts Wertvolleres, als Zuflucht zu den drei
Schätzen zu nehmen, denn daraus ergibt sich unweigerlich die Befreiung vom Leiden.“
Zu diesem Thema sagte der Buddha: „Auch wenn ihr nicht an zukünftige
Wiedergeburten glaubt, könnt ihr das Nirvana hier und jetzt verwirklichen, wenn ihr
meiner Unterweisung folgt.“ Dasselbe sagte Christus. Er begnügte sich nicht damit,
den Gläubigen das Himmelreich, das Paradies nach dem Tod, zu versprechen. „Wer
auf Gott vertraut, kann hier und jetzt das Himmelreich, das in seinem Herzen ist,
verwirklichen.“
Das Himmelreich und das Nirvana sind im Grunde dasselbe. Es bedeutet, in Einklang
mit seiner wahren Natur zu leben, mit seiner Buddha-Natur, seiner göttlichen Natur.
Wer Vertrauen in diese Natur hat, wer in Harmonie mit ihr praktiziert und lebt, kann
hier und jetzt das Nirvana und das Himmelreich verwirklichen.
Vor allem geht es dabei darum, die drei Gifte loszulassen, insbesondere die
Unwissenheit. Es handelt sich um die Unwissenheit über unsere wahre Natur, der
Buddha-Natur, über das wahre Himmelreich in unserem Herzen. Aufgrund dieser
Unwissenheit empfinden wir Unzufriedenheit. Wir laufen allen möglichen Objekten
hinterher, um unsere illusorischen Wünsche zu erfüllen. Wir schaffen alle Arten von
Verschmutzung und Leidensursachen in der Welt und in uns selbst, zumal wir alles
hassen, was unsere Gier stört. Insbesondere stören die guten Lehren von Christus
und Buddha, die Lehren davon, unserer Egozentrik loszulassen, die diese Gier
verursacht und den Hass auf alles, was unsere Gier stört.
Alles Leid der Welt ist auf diese drei Gifte zurückzuführen. Wenn wir uns ökologisch
so verhalten wollen, dass das Leben auf diesem Planeten Erde erhalten bleibt, müssen
wir diese drei Gifte unbedingt schnell aufgeben, indem wir den Weg des Buddha, den
Weg Christi praktizieren, den Weg der Weisheit und des Mitgefühls, den Weg der Liebe
für alle Wesen. Wir geloben, sie zu schützen und ihnen zu helfen, sich von ihren Leiden
zu befreien.

Dienstag, Mondo
Frage 1: Ich kenne aus dem Bereich der Körper-Psychotherapie verschiedene
Atem-Meditationen. Da wird sehr schnell, sehr tief und ohne Pause geatmet.
Roland Yuno Rech: Das sollte man nicht tun. Es handelt sich dabei um
Hyperventilation, was einen speziellen Zustand erzeugt.
F. 1: Nicht Hyperventilation. Bei mir wirkt das so, dass ich klarer werde, viel
Energie habe, sehr präsent bin, und es wird leichter, Muster und Konditionierungen zu
erkennen und langsam loszulassen, was aus der buddhistischen Sichtweise heraus
wünschenswert ist. Beim Zazen erlebe ich das Gegenteil. Je stiller es in mir wird, desto
weniger wird die Atmung. Sie verschwindet fast.
R.Y.R.: Man darf nicht übertreiben, weder in die eine noch in die andere
Richtung. Die sehr dynamische Atmung, die du anfangs beschrieben hast, kann gut
sein, um wach zu werden, wenn man ein wenig müde ist. Sie versorgt das Gehirn mit
Sauerstoff. Das empfehle ich zum Beispiel nachmittags, wenn ihr im kontin seid. Dann
ist es gut, mehrmals tief einzuatmen, um wieder wach zu werden. Man darf es jedoch
nicht übertreiben, um nicht zu hyperventilieren. Die Hyperventilation ist eigentlich eine
Stickstoffvergiftung, die ein Schwindelgefühl auslöst. Man kann die Methode ein paar
Minuten lang anwenden, wenn man müde ist, aber nicht während der ganzen Zazen-
Dauer.
Der andere Aspekt ist der Versuch, die Atmung zu verlangsamen. Das sollte man nicht
versuchen, es ist keine Zazen-Anweisung. Buddhas Unterweisung ist, die Atmung zu
beobachten und nicht zu versuchen, sie zu verändern. Im Sitzen atmet man am besten
ganz natürlich, so wie es kommt. Allerdings sollte man darauf achten, was mit der
Atmung passiert. Wenn man tief einatmet, ist man sich seiner tiefen Einatmung
bewusst. Wenn man oberflächlich einatmet, ist man sich seiner oberflächlichen
Einatmung bewusst. Wenn man schnell atmet, ist man sich seiner schnellen Atmung
bewusst. Das Gleiche gilt für eine langsame Atmung. Dies ist die grundlegende
Unterweisung des Buddha im Anapanasati, der Lehrrede über die Achtsamkeit auf die
Atmung. Diese Beobachtung ist grundlegend für die Meditation.
Im Zen empfahl Meister Deshimaru ebenfalls, die Atmung zu beobachten, aber er
betonte, vollständig bis zum Ende auszuatmen. Im Alltag neigt man oft dazu, sehr
eingeschränkt zu atmen, vielleicht aufgrund von Stress. Normalerweise können die
Lungen fünf Liter Luft enthalten. Wenn man im Alltag atmet, nimmt man bei jeder
Einatmung einen halben bis maximal einen Liter auf. Das ist wenig. Im Zen ist es daher
gut, der Atmung mehr Raum zu geben. Dazu müssen wir Platz schaffen und die
Lungen leeren. Meister Deshimaru sagte: „Manche Menschen sind wie jemand, der
ins Wasser fällt und nicht schwimmen kann und daher Angst hat, unterzugehen.“ Sie
schnappen nach Luft und trauen sich nicht, sie wieder rauszulassen. Damit vergiften
sie sich und werden müde. Zuviel Kohlendioxid bleibt in der Lunge. Daher empfahl
Meister Deshimaru, zum Beispiel am Anfang von Zazen, mehrmals vollständig
auszuatmen und vollständig einzuatmen. Er empfahl es als Übung und nicht für die
gesamte Zazen-Dauer.
Man kann während Zazen seinen Geist durch die Atmung kontrollieren. Wenn jemand,
der sehr aufgeregt und zu sehr von Gedanken oder Emotionen eingenommen ist, sich
auf die Ausatmung konzentriert, leitet er seine Energie in das Hara. Bei jemanden, der
zu viel denkt, ist die Energie im Vorderhirn. Bei jemanden mit zu viel Emotionen ist die
Energie im Sonnengeflecht. Selten denkt man daran, die Energie ins Hara zu leiten,
obwohl es das grundlegende Energiezentrum ist, um Körper und Geist zu stabilisieren.
Menschen, die Kampfkünste praktizieren, wissen das. Sie konzentrieren ihre Energie
in die Ausatmung und in das Hara. Am besten ist es, natürlich zu atmen, aber seine
Atmung zu beobachten.
Frage 2: In welchem Zustand befindet sich die Erde, wenn sie in völliger Harmonie
mit der kosmischen Ordnung ist?
R.Y.R.: Wenn sie so ist, wie sie ist, mit so wenig menschlichem Eingreifen wie
möglich, ganz natürlich, so wie sie ist. Der Zustand der Erde war nicht immer gleich.
Es gab Eiszeiten, es gab Zeiten, in denen es sehr heiß war. Vor ich weiß nicht wie viel
Tausenden von Jahren gab es Löwen in Frankreich. Da waren die Temperaturen fast
tropisch. Das Klima hat sich im Laufe der Zeit verändert. Wissenschaftler studieren die
klimatische Entwicklung auf der Erde, indem sie die Eisschichten von Eisbergen
analysieren. Sie schwankt, aber es sind langfristige Schwankungen. Das Problem ist,
dass es seit gut einem Jahrhundert, seit Anfang des 20. Jahrhunderts, mit der
Entwicklung der Industrie durch menschliche Technologien riesige Auswirkungen auf
die Luft, das Klima, die Umwelt gab. Zu viele Auswirkungen. Das bedeutet, dass das
natürliche Gleichgewicht, das sich früher langsam wandelte, sich heute schnell
verändert. Es ist zu befürchten, dass die Erde nicht die Zeit hat, um dieses
Gleichgewicht wiederherzustellen.
Die Menschen sollten darauf achten, die Lebensbedingungen auf der Erde nicht zu
sehr zu stören. Wie ihr wisst, ist das ein großes Problem. Wir müssen versuchen, so
umweltbewusst wie möglich zu leben, indem wir möglichst wenig fossile Energien
verbrauchen, weniger das Auto und das Flugzeug nutzen, weniger thermische
Energien und stattdessen eher erneuerbare Energien nutzen. All das ist bekannt, man
muss es nur umsetzen. Das Problem ist, dass die Menschen diese Veränderung nicht
direkt spüren. Man hört davon, ist aber nicht direkt konfrontiert. Wir leiden noch nicht
darunter und sind daher nicht genug motiviert, um darauf zu achten und
dementsprechend zu handeln.
Ich denke, dass diejenigen, die Zen praktizieren, normalerweise eine größere
Achtsamkeit und Klarheit entwickeln, einen Sinn für die wechselseitige Abhängigkeit
und folglich für die Verantwortung in der Wechselbeziehung mit der Natur. Menschen
wie wir sollten besonders achtsam sein und anderen Menschen helfen, bewusster zu
werden. Wir sollten Bewusstsein wecken und sozusagen unsere Rolle als Erzieher
einnehmen. Ich glaube, der Schlüssel dazu ist die Natur. Was man liebt, beschützt
man. Man muss den anderen die Freude an der Natur vermitteln und den Wunsch
wecken, in der Natur zu sein, sie zu lieben und zu respektieren. Wird Umweltschutz
nur mit Regeln und Verboten durchgesetzt, wird er unbeliebt. Dann sind die Menschen
dem Thema überdrüssig und wollen nichts mehr davon hören. Man muss geeignete
Mittel finden, um die Menschen dazu zu bringen, sich umweltbewusst zu verhalten.
Ein geeignetes Mittel ist, die Liebe zur Natur zu vermitteln, die Natur, die Erde zu
beschützen wie einen Verwandten, wie eine Mutter ihr Kind beschützt.
Frage 3: Ich habe letztens in einem Kusen über das ojukai gelesen, dass es
möglich sei, seine Gelübde mehrmals neu abzulegen, weil man jedes Mal Verdienste
für zukünftige Leben erlangt.
R.Y.R.: Der Meinung bin ich nicht. Zwar denke ich, dass man seine Gelübde
mehrmals erneuern kann, aber nicht um Verdienste für zukünftige Leben anzuhäufen.
Das ist keinesfalls mushotoku, eher das Gegenteil der Zen-Unterweisung, jedenfalls
der Unterweisung von Meister Deshimaru. Im japanischen Zen wird der Begriff
„Verdienste“ oft benutzt, weil man sich an Menschen richtet, die kein Zazen
praktizieren und sich in der Religion nur für Verdienste interessieren. Mushotoku
verstehen sie nicht. Wenn sich japanische Mönche an die Bevölkerung wenden,
sprechen sie nie von mushotoku. Das ist auch der Grund, weshalb Meister Deshimaru
nach Europa kam, weil er fand, dass japanisches Zen dekadent war, und die
Bedeutung der Buddha-Lehre, der Lehre von Dogen verloren ging. In Europa wollte er
das reine Zen lehren, und hier hat er Schüler mit einem Geist gefunden, der viel
aufnahmebereiter für die tiefe Bedeutung der Buddha-Lehre, der Befreiung, war. Und
selbst wenn manche meinten, mushotoku wäre schwierig, stimmten sie damit überein,
dass man sich in diese Richtung entwickeln sollte.
Das geht auch in die Richtung, die Natur zu beschützen. Letztendlich ist es das
Profitdenken, die Gier nach Geld, die zur Priorität über alles andere wird. In der
Beziehung zur Natur wird die Natur nicht wie ein liebens- und schützenswertes Wesen
wahrgenommen, sondern als Ressource, die ausgebeutet werden kann. Ich denke
daher, dass Zen eine wichtige Rolle spielt, um diese Mentalität zu verändern und
Bewusstsein zu schaffen.
Um das Jahr 2000 herum hat mich das Thema Umweltschutz sehr betroffen und
beschäftigt, aber dann habe ich es einige Jahre lang völlig vergessen. Erst vor kurzem
ist es mir wieder bewusst geworden, und ich dachte: „Das gibt’s doch gar nicht! Das
ist viel zu wichtig, um es zu vergessen.“ Jetzt konzentriere ich mich wieder auf dieses
Thema und sehe die Dringlichkeit für diesen Planeten. Wenn wir über unsere
Beziehung zur Umwelt betroffen sind, bedeutet dies, dass wir unsere Zen-Praxis
vertiefen müssen. Zen im täglichen Leben bedeutet, auf alles zu achten, was wir tun
und wie wir es tun. Wie kaufen wir ein? Was kaufen wir? Schauen wir auf die
Produktetiketten oder kaufen wir nach Lust und Laune ein, ohne uns darum zu
kümmern, ob das Produkt vom anderen Ende der Welt kommt?
Ich werde jetzt keine große Rede über Umweltschutz halten, aber ich möchte deine
Frage nutzen, um zu sagen, dass dieses Thema für mich höchst aktuell und wichtig
ist. Es ist auch sehr anregend, um im Alltag zu praktizieren, die großen,
philosophischen Betrachtungen zu beenden und sich auf das konkrete Leben zu
konzentrieren.
Frage 4: Meine Knie sind kaputt. Beim letzten Sesshin im Januar durfte ich mit
meinem Stuhl im Dojo zusammen mit den anderen sitzen, was mir ein gutes Gefühl
gab. Jetzt sitze ich außerhalb des Dojos, was emotional erst schwierig war, aber für
mein Ego war es gut. Weil mein Ego zu groß ist, ist es eine gute Übung. Meine Frage
ist, warum wird es einmal so und einmal so gehandhabt?
R.Y.R.: Dafür gibt es keinen bestimmten Grund. Der Grund, weshalb man die
Menschen, die auf einem Stuhl sitzen, bittet, sich vor das Dojo zu setzen, ist die
Harmonie im Dojo. Wenn die einen auf dem Kissen sitzen und dazwischen jemand auf
dem Stuhl herausragt, ist es auf energetischer Ebene etwas störend. Das ist jedoch
kein ausreichend guter Grund, daher entscheide ich, alle ins Dojo zu holen, außer
diejenigen, die sich während Zazen bewegen, die nach 15 oder 20 Minuten die Beine
auseinanderfalten oder die Haltung ändern müssen. Das stört wirklich. Wir können
also diese Regel einführen: Alle praktizieren Zazen im Dojo, auch diejenigen, die auf
einem Stuhl sitzen. Diejenigen mit dem Stuhl setzen sich allerdings nicht irgendwo in
die Mitte, sondern links vom Eingang. Anfänger, Menschen, die krank sind oder
Probleme haben, eine halbe Stunde bewegungslos zu bleiben, setzen sich besser vor
das Dojo in den Gaitan.
Danke für deine Frage.

Mittwoch, 1. Zazen
Wenn wir das Dojo betreten, legen wir die Hände in gassho und verbeugen uns tief
vor Buddha. Nach dem Zazen, bei der Zeremonie, ehren wir Buddha und alle Meister
der Weitergabe. Es ist unsere Art und Weise, unsere Verehrung für Buddhas Lehre
auszudrücken, denn sie ermöglicht es uns, die Weisheit zu verwirklichen, das heißt
uns von unseren Leidensursachen zu befreien. Dadurch gelangen wir zu einem
stabilen Glück, das nicht von den Umständen der Existenz abhängt, von der Tatsache,
dies oder jenes erhalten oder diese oder jene Stellung erlangt zu haben. Es ist das
Glück, sich endlich zu Hause zu fühlen und nicht mehr auf den Straßen der Existenz
umherirren zu müssen.
Diese Weisheit ist nicht das Ergebnis intellektuellen Wissens, sondern besteht darin,
sich selbst in der Tiefe zu verstehen. Dabei geht es nicht nur um die persönlichen
Eigenschaften, die Anhaftungen, Illusionen, das eigene Karma, also alles, was man
während einer Therapie bearbeiten kann. Natürlich ermöglicht die Weisheit, die sich
durch die Zazen-Praxis entwickelt, sich selbst auf dieser Ebene zu verstehen, zu
erkennen, wie der eigene Geist funktioniert und wie Anhaftungen entstehen. Die
Weisheit von Zazen, die Weisheit Buddhas, besteht jedoch darin, wirklich die Essenz
unserer Existenz zu verstehen, die Tatsache, dass wir nicht aus uns selbst heraus,
nicht unabhängig existieren. Unsere Existenz hängt von einem ganzen Netz von
Ursachen und Bedingungen ab. Wir sind voneinander wechselseitig abhängig, und in
dieser Hinsicht sind wir alle gleich.
Alle Wesen hängen von ihrer Umgebung, von der kosmischen Ordnung ab. Wer dies
tief versteht, kann nicht mehr egozentrisch sein, vorausgesetzt, er realisiert dies aus
den Tiefen seines Körpers und seines Geistes. Alle Wissenschaftler verstehen
vollkommen das Gesetz der wechselseitigen Abhängigkeit, aber nur wenige ziehen
daraus Konsequenzen für ihr eigenes Leben. Sie sind weiterhin abhängig von den drei
Giften, sie sind gierig nach Bekanntheit. Die wahre Weisheit ist die, die es uns
ermöglicht, unsere Egozentrik loszulassen, wirklich frei zu sein und uns gleichzeitig für
unsere Beziehungen mit anderen verantwortlich zu fühlen.
Das Verstehen der Essenz unseres Lebens gibt uns eine Richtung, einen tieferen
Lebenssinn, indem wir den Weg des Bodhisattvas praktizieren, der durch die
Solidarität, die wir mit allen fühlenden Wesen empfinden, inspiriert wird. Die wahre
Weisheit drückt sich in der Praxis, im Handeln aus, nicht nur im Wissen. Dies ist das
Problem fast aller Menschen. Wir wissen viele Dinge, vergessen aber das, was wir
glauben verstanden zu haben, in Worte und Taten umzusetzen.
Das Zeichen für wahrhaft verwirklichte Weisheit ist Mitgefühl. Wir erkennen, dass der
andere sich nicht sehr von uns unterscheidet. Er hat dieselben tiefen Bedürfnisse, das
Bedürfnis, den wahren Sinn der eigenen Existenz zu erkennen. Das gilt besonders für
junge Menschen, wenn sie feststellen, dass die Erwachsenen ohne Weisheit handeln
und sogar den Fortbestand des Lebens auf dieser Erde bedrohen. Hier wird die wahre
Weisheit des Herzens wichtig. Lasst euch nicht entmutigen! Bleibt motiviert, um zum
Wohle aller Wesen zu handeln, nicht nur, indem ihr Zazen praktiziert, sondern immer
und überall um täglichen Leben.
Dieses Bedürfnis nach spiritueller Verwirklichung ist kein Luxus. Es ist nicht der Gipfel
der Bedürfnisse, sondern die Grundlage unserer Existenz. Meister Deshimaru sagte:
„Zazen praktizieren heißt, zur Essenz der Religionen zurückzukehren, zum Punkt vor
den Religionen.“ Es ist die Rückkehr zum wahren religiösen Geist: sich mit allen
Wesen verbunden zu fühlen und entsprechend zu handeln.

Mittwoch, 2. Zazen
Wenn wir Zazen praktizieren, kehren wir auf natürliche Weise zu den Lehren Buddhas
zurück. Seine zahlreichen Lehren sind alle Ausdruck seines Erwachens im Zazen, des
Erwachens zur wahren Natur unserer Existenz. Es ist die Quelle aller Lehren, und
jeder kann selbst daraus schöpfen. Das bedeutet, er kann die gleiche Erfahrung
machen wie Buddha Shakyamuni.
Es gibt zahlreiche Sutras, die die Lehren des Buddha ausdrücken, weil sie alle Aspekte
des Lebens betreffen. Meister Deshimaru sagte: „Zen ist das Leben.“ Zen kann nicht
in einer Formel eingeschlossen werden. Im Sutra der 108 Dharma-Tore geht es beim
sechzigsten Tor darum, das Bewusstsein für die Lehre des Buddha
aufrechtzuerhalten, „weil sie Gutes hervorbringt“, wie es im Sutra heißt.
Wie kann man sich der Lehre des Buddha bewusst sein? Bedeutet es, dass man all
diese Lehren auswendig lernen muss? In Wirklichkeit geht es darum, das gleiche
spirituelle Erwachen wie Buddha zu erfahren. Durch Zazen können wir es
verwirklichen.
Die Lehren des Buddha können durch drei Worte zusammengefasst werden: kai, jo,
e. Kai sind die Gebote und damit das Verhalten, jo bedeutet Konzentration und e
Weisheit. Um die Verwirklichung seiner Schüler zu ermessen, orientierte Meister
Deshimaru sich an diesen drei Worten. Kai, das Verhalten – verhalten wir uns in
Einklang mit den Geboten? Diese sechzehn Gebote werden einige von euch während
der Ordination am Ende des Sesshins empfangen. Jo, die Konzentration, ist der
Zustand der Präsenz in der Realität, den man im Zazen verwirklicht, der Kontakt mit
unserer wahren Buddha-Natur. Und e, die Weisheit, ist die Kunst, in Harmonie mit dem
Erwachen von Zazen zu leben.
Im Sutra steht, dass dies das Gute hervorbringt. Manchmal heißt es, dass Zen jenseits
von Gut und Böse ist, obwohl Zen natürlich jenseits von dogmatischen Kategorien wie
Gut und Böse ist. Zen ermöglicht es, ein harmonisches Leben zu führen, das Frieden
und Glück für diejenigen bringt, die praktizieren, und für diejenigen, die den Einfluss
der Praxis erfahren. Wenn wir von der Zazen-Praxis durchdrungen sind, strahlt sie um
uns herum und übt einen guten Einfluss auf alle Wesen aus.
Heute Abend findet eine Feier statt. Aber was feiern wir? Wir feiern das Glück,
gemeinsam praktizieren zu können, und das Zusammensein mit guten Freunden des
Weges.

Freitag, 1. Zazen
Lasst euch während Zazen nicht von euren Gedanken ablenken. Kehrt immer wieder
zur Körperhaltung zurück. Neigt gut das Becken nach vorne und drückt die Knie fest
auf den Boden. Streckt von der Taille aus gut die Wirbelsäule und den Nacken, zieht
das Kinn zurück, lockert die Schultern und entspannt den Bauch. Die linke Hand liegt
in der rechten Hand, die Daumen sind waagerecht und die Handkanten in Kontakt mit
dem Unterbauch, mit dem Punkt, an dem sich die Energie der Ausatmung konzentriert,
dem kikai tanden.
Konzentriert euch darauf, bis zum Ende auszuatmen und lasst dabei alle Sorgen los.
Seid aufmerksam auf das, was hier und jetzt in eurem Körper und in eurem Geist
geschieht. Die Praxis der Aufmerksamkeit ist wesentlich in der Unterweisung Buddhas.
Er sagte: „Wenn man eine Woche lang die richtige Aufmerksamkeit praktiziert, kann
man das Erwachen verwirklichen.“ Uns bleiben noch drei Sesshin-Tage. Es ist also
immer noch möglich, zu erwachen, unter der Bedingung, dass wir vollkommen
aufmerksam auf unsere Atmung bleiben, von morgens bis abends, nicht nur während
Zazen, sondern auch wenn wir im Kinhin gehen, Sutras singen, während des
Spaziergangs, der Mahlzeiten, während Samu.
Das Sesshin ist ein wunderbarer Moment, um die rechte Aufmerksamkeit zu
praktizieren, das heißt, ständig in Kontakt mit unserem wahren Leben zu bleiben und
nicht in unseren geistigen Konstrukten gefangen zu sein, die uns in einer virtuellen
Welt leben lassen. Zazen bedeutet, zur wahren Welt zurückzukehren, in jedem
Augenblick sein Leben vollständig zu leben und nicht in Gedanken und damit
abwesend zu sein.
Anwesend zu sein ist der beste Weg, um sich von seinen vergangenen
Konditionierungen zu befreien. Psychische Krankheiten hängen alle mit der Anhaftung
an vergangene Ereignisse zusammen, mit in der Vergangenheit erlebtem Leid. Sie
führen zu negativen Gedanken, über die wir unbewusst nachgrübeln, und sie hindern
uns daran, unser wahres Leben im Hier und Jetzt auf kreative Weise zu führen, das
heißt ohne immer wieder das gleiche Szenario zu wiederholen.
Aus diesem Grund heißt es, Zen ist der neue Geist oder der Anfängergeist. In jedem
Augenblick beginnen wir ein neues Leben. Ein Sesshin ist die Gelegenheit, sich von
der Last der Vergangenheit zu befreien, was nicht bedeutet, sie zu vergessen. Es gibt
eine Zeit zum Erinnern und eine Zeit, um hier und jetzt zu leben, die Zeit des Sesshins.

Freitag, 2. Zazen
Konzentriert während Zazen all eure Energie auf die richtige Haltung. Dehnt die
Wirbelsäule gut zwischen Himmel und Erde aus. Zieht das Kinn zurück, lockert die
Schultern und entspannt den Bauch. Atmet tief durch die Nase ein und aus. Atmet
immer bis zum Ende aus, ohne etwas zurückzuhalten. So wird der Geist klar.
Gedanken, Emotionen und Anhaftungen werden nicht unterdrückt. Sie reflektieren sich
im Spiegel von Zazen, und wir können ihre wahre Natur sehen, ihre Leerheit, die
Abwesenheit von fester Substanz. Wenn wir ständig zur Haltung und zur Atmung
zurückkehren, ist es uns daher möglich, sie loszulassen und aufzugeben, nicht nur
während Zazen, sondern auch im täglichen Leben. Wir können immer zur
Aufmerksamkeit auf den Körper und der Atmung zurückkehren, beim Gehen, beim
Samu, beim Ausruhen. Der Körper und die Atmung sind immer da.
Taucht nicht in die virtuelle Welt eurer Gedanken ab. Indem wir aufmerksam sind,
ermöglichen wir unserem Geist, stets anwesend zu sein. So reinigt er sich und hört
auf, an geistige Konstrukte festzuhalten und sie für die Wirklichkeit zu nehmen. Auch
wenn sie nur Vorstellungen sind, existieren sie. Wichtig ist jedoch, sie als das zu
sehen, was sie sind: nur Vorstellungen. Ein Apfel, der auf einem Gemälde gemalt
wurde, existiert als Bild, aber man kann ihn nicht essen.
Wenn wir im täglichen Leben auf den Körper und die Atmung konzentriert bleiben,
werden wir nicht mehr von unseren bonno, unseren Illusionen, konditioniert. Sie
verschwinden nicht, verlieren aber ihre anziehende Kraft. Unsere Energie ist völlig auf
die Praxis der Haltung gerichtet. Wir teilen sie nicht auf, indem wir alle möglichen Dinge
verfolgen. So stärken wir die Konzentrationsfähigkeit, die es uns ermöglicht, in
Einklang mit dem zu leben, was wir im Grunde wirklich sind. Dieses Leben in Harmonie
mit unserer Buddha-Natur, mit unserer Einheit mit allen Existenzen, ist eine Quelle der
Freude. Sie gibt unserer alltäglichen Existenz einen tiefen Sinn, was uns die Energie
gibt, um weiter mit der Sangha, mit den anderen zu praktizieren. Es ist eine erwachte
Praxis, keine Übung, sondern Verwirklichung.
Dieses samadhi von Zazen nannte Meister Dogen jijuyu zanmai, die große
Konzentration, die wir selber verwirklichen und die um uns herum auf die anderen
ausstrahlt. Auf einem Sesshin schafft sie eine starke Atmosphäre, die jedem hilft, seine
Praxis zu vertiefen und aus ihr eine Verwirklichung des Erwachens zu machen, ein
Erwachen zu einem Leben ohne Trennung. Dann fühlen wir uns nie allein und sind
überall zu Hause, weil überall der Ort ist, an dem wir den Weg praktizieren.
Der Weg ist gleichzeitig der Pfad und das Vorangehen. Die regelmäßige,
kontinuierliche Praxis heißt gyoji. Gyo bedeutet auch gehen, laufen. Wenn wir
gemeinsam praktizieren, gehen wir gemeinsam auf dem Weg, dem Weg des
Erwachens, über all unsere Anhaftungen, unsere persönlichen Grenzen hinaus und
noch weiter darüber hinaus. So wird die Praxis freudvoll.

Freitag, 3. Zazen
Im Sutra der 108 Dharma-Tore heißt es beim sechsundsechzigsten Tor: „Die Kraft des
samadhi ermöglicht es, unwesentliche Gedanken auszuschalten.“ Samadhi ist die
große Konzentration von Zazen. Wenn wir völlig von der Konzentration auf die
Körperhaltung eingenommen und aufmerksam auf die Atmung sind, legt sich die
Unruhe im Geist.
Dennoch erscheinen weiterhin alle Arten von Gedanken. Im täglichen Leben bemerken
wir sie nicht, aber während Zazen nehmen wir deutlich wahr, wie diese Gedankenflut
Verwirrung stiftet. In unserem Leben ist es besonders wichtig, zu unterscheiden, was
wesentlich ist. Wir leben in einer Gesellschaft der Vergnügungen. Die Werbung lockt
uns, alle Arten von Wunschobjekten nachzugehen. Sie versucht, uns davon zu
überzeugen, dass unser Glück vom Besitz dieser Objekte abhängt.
Während Zazen versuchen wir nicht, gegen diese Gedanken anzukämpfen, aber wir
entwickeln die Kraft des samadhi, indem wir uns darauf konzentrieren, all unsere
Energie für die Körperhaltung einzusetzen und tief bis ins Hara auszuatmen. Wir
konzentrieren uns besonders auf den richtigen Tonus des Körpers und der Muskeln,
wie ein Musiker, der die Saiten seines Instruments stimmt. In dieser Haltung sollte der
Körper weder zu angespannt noch zu entspannt sein.
Wenn die Haltung stark ist, werden wir nicht mehr von den Gedanken gestört. Wir
können sie beobachten, ohne ihnen zu folgen. Auch wenn ein wesentlicher Gedanke
auftaucht, halten wir ihn nicht fest. Aber wir nehmen ihn wahr und können uns nach
dem Zazen um ihn kümmern. Oft entstehen während Zazen aus der Intuition heraus
wichtige Gedanken, jedoch ist es nicht die Zeit, über sie nachzudenken.
Alle großen Lehren des Buddha sind aus seiner Zazen-Praxis hervorgegangen, doch
erst in der Begegnung mit den Menschen konnte sich seine Weisheit ausdrücken. Er
konnte grundlegende Fragen der Menschen über das Leiden beantworten und ihnen
Vertrauen darin geben, dass es einen möglichen Weg gibt, um das Leiden zu
überwinden.
Im täglichen Leben ist der Geist oft unruhig oder verwirrt. Selbst wenn ein wesentlicher
Gedanke auftaucht, verliert er sich in der Verwirrung. Das ist der Grund, weshalb die
Zeit des Zazen so wichtig ist. Da sich unsere Weisheit manifestieren kann, um unsere
völlige wechselseitige Abhängigkeit mit allen Wesen besser zu verstehen, bekommen
wir die Möglichkeit, Einfluss auf die Welt zu nehmen, in der wir leben.
Diese Welt ist mehr und mehr eine Welt des Menschen geworden. Der Mensch hat
alle Arten von Techniken entwickelt, um die Natur auszubeuten. Und weil er von seiner
Gier, einem der großen Gifte des Geistes, konditioniert wird, achtet er nicht auf die
schädlichen Auswirkungen seiner Industrie. Daher ist es in dieser unruhigen Welt, in
der wir leben, dringend nötig, sich hinzusetzen und zu versuchen, klar zu sehen. Was
ist wesentlich? Was ist wichtig? Wir sollten aufhören, unsere Zeit damit zu verlieren,
illusorische Dinge zu verfolgen, und uns stattdessen der schädlichen Auswirkungen
unserer Illusionen auf die Umwelt bewusst werden, um ihnen ein Ende zu setzen.
Die grundlegende Ursache der aktuellen Umweltprobleme ist das Nicht-Erwachen des
Menschen. So lange man nicht erwacht ist, kann man kein zufriedenes Leben führen
und nicht wahrhaft glücklich sein. Stattdessen versucht man, sein Unglück zu
kompensieren. Wie ich es bereits in der Vorbereitungszeit gesagt habt, sollten wir uns
an die Lehren von Meister Ryokan erinnern, dem großen Dichtermönch. Er sagte:
„Liebe Freunde, ich habe einen Rat für euch. Um wahrhaft glücklich zu sein, braucht
man nicht viel.“
Wer tief Zazen praktiziert, findet großen geistigen Frieden. Selbst wenn alle Arten von
Gedanken oder Wünsche erscheinen, erkennen wir sie als Illusionen. So verlieren sie
ihre Kraft, uns zu verführen und uns vom Weg abzulenken. Wir erkennen, dass, wie
Meister Deshimaru empfahl, der wahre Weg des Glücks darin besteht, uns mit unserer
wahren Natur zu harmonisieren und der kosmischen Ordnung zu folgen.
Dieses Glück darf aber nicht zu einem neuen Wunschobjekt werden. Es ist das
natürliche Ergebnis unserer vertrauensvollen Praxis, mit dem Vertrauen in die
Tatsache, dass wir bereits die Wirklichkeit sind, zu der wir erwachen sollen. Mit
anderen Worten, der Weg ist nicht nur unter unseren Füßen, sondern in uns selbst.
Dies können wir erkennen, wenn wir vor der Wand sitzen und den Blick nach innen
richten. Es ist das große Verdienst von Zazen, uns dies zu ermöglichen, und diese
Erfahrung können wir mit den anderen teilen.

Freitag, Mondo
Frage 1: Es ist so, dass ich ohne Meditation nicht mehr glücklich sein kann. Man
könnte es mit einer Abhängigkeit vergleichen, also weiß ich nicht, ob das gut ist. Im
Alltag finde ich zum Beispiel keine Ruhe mehr, wenn ich nicht meditiere. Wie soll ich
damit umgehen?
Roland Yuno Rech: Du musst lernen, das, was in der Zazen-Praxis wesentlich
ist, in den täglichen Aktivitäten fortzusetzen. Besonders ein Sesshin ist eine gute Zeit
und ein guter Ort, um dies zu lernen. Während eines Sesshins praktizieren wir viermal
am Tag Zazen, und alle anderen Aktivitäten, wie Samu, Essen, die Ruhezeiten,
werden als Verlängerung der Zazen-Praxis gelebt. Es gibt keine Trennung. Wenn du
dich also gut auf die Sesshin-Praxis konzentrierst, wirst du bestimmt einen Weg finden,
um Zazen in deinen alltäglichen Aktivitäten fortzusetzen. Das ist natürlich schwieriger
als im Dojo, weil wir im Alltag vielen Einflüssen ausgesetzt sind. Es sind Einflüsse der
Gesellschaft, die überhaupt nicht die Zazen-Praxis reflektieren. In unserer Welt werden
die meisten Menschen von der Gier angetrieben, von dem Wunsch, etwas zu erlangen.
Das führt natürlich zu einem Konkurrenzdenken zwischen den Menschen und den
Unternehmen, was eine Atmosphäre erzeugt, die nicht gerade förderlich für den
Frieden des Geistes ist, eher im Gegenteil. Aus diesem Grund müssen wir darauf
vertrauen, dass unsere Praxis dazu beitragen kann, diesen kranken Geist der
Zivilisation an der Wurzel zu heilen. Die Wurzel der Probleme der Welt sind die drei
Gifte Gier, Hass und Verblendung. Sie entwickeln sich überall. Daher müssen wir uns
bemühen, ein wenig Licht in diese Welt zu bringen, nicht nur indem wir reden oder
predigen, sondern durch unser Verhalten.
Was machst du im Leben?
F. 1: Ich gehe noch zur Schule, zum Gymnasium.
R.Y.R.: Vielleicht kannst du in deiner Schule die Zazen-Praxis ein wenig
bekanntmachen. Menschen in deinem Alter haben oft Probleme, sich zu
konzentrieren, weil sie zu sehr von allen möglichen Dingen abgelenkt werden,
besonders vom Telefon. Sie entdecken die Welt, die ihnen allerlei Aktivitäten anbietet,
die verlockend für jemanden sind, der alle möglichen Erfahrungen machen will. Das
hängt oft auch von materiellen Besitztümern ab. Im Grunde leben wir in einer
materialistischen Welt. Alles ist darauf ausgerichtet, den Menschen dazu anzustiften,
seinen Konsum zu steigern und immer mehr haben zu wollen. Mit der Zazen-Praxis
lernen wir hingegen, eher einfach zu sein, erwachter zu sein, mehr in Harmonie mit
unserer wahren Natur. Umso erwachter man ist, desto weniger Dinge braucht man.
Aber es reicht nicht, darüber zu reden, man muss Zazen zeigen, damit die anderen
ihre Erfahrungen machen können. Vielleicht fänden es einiger deiner Freunde gut.
Wenn die jungen Menschen anfangen, Zazen zu praktizieren, wird es die Welt
verändern. Das ist meine Hoffnung.
Frage 2: Was ist die rechte Rede?
R.Y.R.: Es ist die Rede, die den Dharma ausdrückt, das heißt die Wirklichkeit,
wie sie ist. Natürlich bedeutet es, nicht zu lügen, aber nicht zu lügen besteht nicht nur
darin, keine falschen Aussagen zu machen. Meiner Meinung nach bedeutet nicht zu
lügen, die wahre Natur unserer Existenz durch unser Verhalten auszudrücken, also
authentisch zu sein. Reden besteht nicht nur aus Worten, sondern auch aus Verhalten,
Ausdruck. Alles am Menschen drückt etwas aus. Unser Geist herrscht nicht nur über
unsere Worte, sondern auch über unsere Taten.
Die rechte Rede drückt das Erwachen zur Wirklichkeit aus und hilft dem anderen zu
erwachen. Man muss keine großen Reden schwingen. Manchmal reicht es im Alltag,
eine Frage zu stellen. Jemanden, der sehr beschäftigt und gestresst ist, kann man zum
Beispiel fragen: „Wozu ist das gut, was du tust?“ Es kann seinen Geist verändern.
F. 2: Wie kann man verhindern, dass man zu viel redet?
R.Y.R.: Indem man sich auf das Wesentliche konzentriert. Bevor man spricht,
sollte man sich fragen: „Wozu ist das gut, was ich sagen will?“ Oft redet man einfach,
um Kontakt mit jemandem herzustellen. Man redet vielleicht über neutrale Dinge, über
den Regen oder das schöne Wetter, will aber eigentlich durch das Reden mit dem
anderen einen wirklichen Kontakt aufbauen. Menschen sind Wesen der Sprache. Das
unterscheidet den Menschen vom Affen, daher ist die rechte Rede sehr wichtig. Bevor
man redet, sollte man sich wirklich fragen, wozu es gut ist, und Worte formulieren, die
dem, der sie empfängt, helfen. Manchmal ist es besser, nichts zu sagen und einfach
zuzuhören und den anderen reden zu lassen. In einem solchen Moment besteht die
rechte Rede aus Stille. Buddha hat fünfundvierzig Jahre lang viel gesprochen und viele
Reden gehalten, um die Fragen der Menschen zu beantworten. Aber gegen Ende
seines Lebens hat er geschwiegen, eine Blume genommen und zwischen den Fingern
gedreht. Ich glaube, er wollte mit dieser Geste darauf hinweisen, dass man auf die
Wirklichkeit dieser Blume wie sie ist achten soll, jenseits von Worten und allem, was
man über die Blume sagen kann. Also manchmal ist die Stille die rechte Rede.
Frage 3: Warum machen wir nicht mal ein Schweige-Sesshin? Oder nur einen
Tag, an dem nur gesprochen wird, wenn es wichtig für die Organisation ist? Manchmal
sehe ich die Leute draußen stehen, und ich finde, es wird auch viel Unsinn geredet.
Das stört mich. Es steht für mich im Gegensatz zur Praxis im Dojo.
R.Y.R.: Mag sein, aber für mich ist die Freiheit wichtig. Wenn man die Stille zur
Pflicht macht, erzeugt man damit eine unterdrückende Atmosphäre. „Psst, wir dürfen
nicht reden.“ Dann reden die Menschen nicht mehr, aber nur, weil es verboten ist. Sie
befolgen die Regel, dass sie nicht sprechen dürfen.
Ich glaube eher an die wahre Stille, die entsteht, wenn man erkennt, dass es nicht
nötig ist, zu reden. Wenn man sich vorab gefragt hat: „Ist das, was ich sagen will,
nützlich?“ So kann man die wahre Stille finden, nicht, weil man kein Recht hat, zu
reden, sondern weil man erkannt hat, dass das, was man sagen wollte, nicht wichtig
war. Wenn etwas nicht wichtig ist, ist es besser, zu schweigen. Daraus entsteht ein
wahres Erwachen, ein wahres Verständnis über die Wichtigkeit der Stille. Es ist kein
Verbot, sondern die Erkenntnis, dass viele Worte unnütz sind.
Frage 4: Heute Morgen hast du gesagt, dass man innerhalb von zehn Tagen das
Erwachen erlangen kann. Was bedeutet dieses Erwachen? Und ist es beständig, wenn
man es erlangt?
R.Y.R.: Erwachen heißt, sich selbst zu verstehen. Es gibt immer zwei Aspekte.
Der eine ist, aus seinen Illusionen heraus zu erwachen, zum Beispiel zu verstehen,
dass ich bis heute verschiedene Fehler gemacht habe, dass ich meine Zeit damit
verschwendet habe, unnützen Dingen hinterherzulaufen. Das ist eine Form von
Erwachen. Der andere, tiefere Aspekt ist, zur wahren Natur unserer Existenz zu
erwachen und zu erkennen, dass das Ego nur ein geistiges Konstrukt ist, dass ich
überhaupt nicht wichtig bin. Wenn ich verstehe, dass ich nicht wichtig bin, werde ich
meine Energie nicht damit verschwenden, mich selbst hervorzuheben und in den
Vordergrund zu stellen. Ich bin nicht wichtig; die Wesen sind wichtig. Etwas Sinnvolles
zu tun, das diesem Erwachen entspricht, ist, für andere da zu sein. Es ist das Ideal
des Bodhisattvas. Jeden Morgen und manchmal auch am Abend singen wir die vier
Bodhisattva-Gelübde. Das sind wichtige Worte! Anschließend sollten wir unsere Zeit
damit verbringen, zu versuchen, sie im Leben verwirklichen. Dies ist eine Möglichkeit,
das Erwachen im täglichen Leben umzusetzen.
Also, meditiere und denke über die vier Gelübde nach. Du hast die Ordination
empfangen, folglich sollten die Gelübde der Leitfaden für dein Leben sein. Wie kannst
du das verwirklichen? Erwache dazu.

Samstag, 1. Zazen
Auf einem Sesshin zu praktizieren heißt, mit dem eigenen Geist vertraut zu werden.
Das ist die Bedeutung des Wortes „Sesshin“. Während Zazen tauchen alle Arten von
Phänomenen im Geist auf, wie Empfindungen, die manchmal angenehm, manchmal
unangenehm sind. Wir nehmen Formen, Geräusche und Gerüche deutlich wahr, aber
unsere Wahrnehmungen sind genauso wie unsere Empfindungen unbeständig. Noch
unbeständiger sind unsere Gedanken. Unaufhörlich erscheinen und verschwinden sie.
Jedoch folgen wir ihnen nicht, sondern begnügen uns damit, uns ihrer bewusst zu sein.
Wahre Weisheit besteht darin, die Unbeständigkeit deutlich zu sehen und sich mit ihr
zu harmonisieren. Das bedeutet zu lernen, von einem Augenblick zum andern
loszulassen, wie es im Diamant-Sutra heißt: „Wenn der Geist auf nichts verweilt,
erscheint der wahre Geist.“ Dann beginnt der Geist, in Harmonie mit dem Dharma, mit
der kosmischen Ordnung zu funktionieren. Wahre Weisheit entsteht, wenn wir lernen,
die Unbeständigkeit zu akzeptieren, wenn wir uns ihr nicht widersetzen, sondern uns
mit ihr harmonisieren, wenn wir sie nicht als Feind betrachten, sondern im Gegenteil,
als unsere wahre Buddha-Natur, die es uns ermöglicht, uns von unseren Illusionen zu
befreien und immer einen freien und neuen Geist wiederzufinden, der bereit ist, das
Leben eines jeden Augenblicks so zu empfangen, wie es ist. Das Leben ist nie
identisch, sondern immerwährende Veränderung.
Meister Deshimaru sagte oft: „Zen ist das Leben.“ Satori bedeutet, mit der wahren
Natur unseres Lebens Harmonie zu sein. Verstehen heißt, zu akzeptieren, nicht mit
Bedauern, sondern mit Freude, denn es ist die Pforte der Befreiung von den
Leidensursachen. Die ganze Weisheit des Buddha bestand darin, das menschlichen
Leiden zu lindern und dem Menschen zu helfen, die Wirklichkeit so zu akzeptieren, wie
sie ist.
Alles, was uns ausmacht, ist unbeständig. Alles, was uns ausmacht, ist wechselseitig
abhängig mit dem ganzen Universum. Das ist die Wirklichkeit, wie sie ist. Wir sind
abhängig von der Luft, die wir atmen, von der Nahrung, die wir essen, von der Energie
der Sonne, von den Erträgen der Erde, von der Zusammenarbeit mit anderen
Menschen. Von all dem hängt unser Leben ab. Die Zazen-Praxis lehrt uns, dies mit
Dankbarkeit völlig zu akzeptieren.
Dies setzt eine innere Revolution voraus, indem wir unsere egozentrische Sichtweise
aufgeben und eine „Kosmos“-zentrische Sichtweise einnehmen. Dies ermöglicht es,
ein harmonisches Leben zu führen, in Harmonie mit der Natur und voller Respekt für
alle lebenden Wesen.

Samstag, 2. Zazen
Richtet während Zazen weiterhin eure ganze Energie auf die Körperhaltung. So lernt
ihr, mit dem ganzen Körper zu denken, und das Denken mit der rechten Gehirnhälfte
wird angeregt. Die linke Gehirnhälfte ist der Bereich der Sprache, der Dualität. Ihre
Funktion ist wichtig und nützlich, denn sie ermöglicht es, zu differenzieren und
Unterscheidungen zu treffen. Wenn wir jedoch nur in diesem Denkmodus
funktionieren, können wir nicht die Wirklichkeit sehen, wie sie ist, das heißt jenseits
der mentalen Unterscheidungen.
Zazen praktizieren heißt, die Sichtweise unseres begrenzten Egos aufzugeben.
Stattdessen beobachten wir die Wirklichkeit mit der Sichtweise des Buddha-Geistes,
des erwachten Geistes, mit dem weiten hishiryo-Bewusstsein, jenseits der Anhaftung
an Begriffen wie „ich“ oder „die anderen“. Wenn wir an unserer eigenen Sichtweise
festhalten, übersehen wir am Ende, dass es nur eine Sichtweise auf die Wirklichkeit
ist. An ihr festzuhalten führt zu alle Arten von Konflikten, und in der heutigen Zeit
eskalieren viele Konflikte in Gewalt. Wahre Weisheit besteht darin, Gegensätze zu
überwinden und den Frieden wiederherzustellen.
Der Zen-Weg ist eine spirituelle Praxis, in der Körper und Geist keine Gegensätze sind.
In den meisten spirituellen Wegen wird der Körper als Hindernis angesehen, als Quelle
der Anhaftung, als Hindernis für die Befreiung. Platon sagte zum Beispiel, dass der
Körper die Grabstätte der Seele sei, man müsse also die Seele vom Körper befreien.
Dadurch wurde auch die christliche Religion beeinflusst.
Auf dem Buddha-Weg ist der Körper der Ort der Praxis des Weges. Im Zazen wird der
Körper selbst zum Körper des Buddhas, des Erwachens, immer völlig im Hier und
Jetzt. Er atmet in Einheit mit dem ganzen Universum. Während Zazen mit dem Körper
zu denken ermöglicht es, uns vom dualistischen Geist zu befreien, unser Leben mit
einem viel umfassenderen, tieferen Blick zu betrachten und uns mit der Natur zu
harmonisieren, deren Teil wir sind. Die Natur ist nicht nur eine Ressource, um unsere
egoistischen Wünsche zu erfüllen. Wir finden die Fähigkeit wieder, uns mit ihr zu
vereinen. Deshalb erwachten viele Zen-Mönche in der Natur, durch das Rauschen des
Gebirgsbachs im Tal, durch die Farben und Formen der Berge. All diese Aspekte der
Natur rezitieren ein großes Sutra.
Diese Kraft der Weisheit, die uns von unserem begrenzten Blick befreit, öffnet uns zu
einer wahren Vereinigung mit den anderen, nicht nur mit der Natur. So wird die Kraft
der Weisheit zur Kraft des Mitgefühls. Es gibt keine wahre Weisheit ohne Mitgefühl.
Man kann sogar sagen, dass das Mitgefühl die Kraft der Weisheit ist, der Ausdruck der
Weisheit in den alltäglichen Aktivitäten und in unserer Beziehung mit den anderen.
Das Mitgefühl gibt uns die Fähigkeit, uns in den anderen hineinzuversetzen und
unseren Blick zu erweitern.
Zu oft leben wir nicht wirklich in der Welt, sondern in unserer Welt, in der Welt unserer
geistigen Konstrukte, unserer Vorstellungen. Zazen ermöglicht es uns, über sie hinaus
zu blicken auf eine Wirklichkeit, die viel weiter ist, als die, die wir mit unserer
selbstgefälligen Sichtweise erkennen können. Zazen hilft, diesen Blick zu lieben, weil
er uns von unseren Grenzen, von der Gefangenschaft in uns selbst befreit. So können
wir einen Zugang zu einem viel tieferen Lebenssinn bekommen.

Samstag, Mondo
Frage 1: Bei der Zeremonie rezitiert der Ino die vier Bodhisattva-Gelübde in seiner
Sprache. Ich habe einen kleinen Unterschied beim dritten Gelübde zwischen der
französischen und der niederländischen Übersetzung bemerkt. Auf Französisch heißt
es: „So zahlreich die Dharma auch sein mögen, ich gelobe, sie alle zu studieren.“ Auf
Niederländisch heißt es: „So zahlreich die Dharma-Tore auch sein mögen, ich gelobe,
sie alle zu durchschreiten.“ Was denkst du über diesen Unterschied?
Roland Yuno Rech: Seit einiger Zeit übersetze ich das Sutra der 108 Dharma-
Tore. Vielleicht hat es die Übersetzung beeinflusst, aber das ist nicht richtig. Es handelt
sich nicht um Dharma-Tore. Nun kann man sagen, dass es doch gleich ist. Alle Lehren
sind Tore, durch die man in den Dharma eintreten kann. Ich glaube nicht, dass diese
Übersetzung zu Irrtümern bei denen führen wird, die sie singen, aber sie ist nicht
genau. Ich weiß nicht, woher diese niederländische Übersetzung stammt. Kann sie
jemand korrigieren? Danke für deine Bemerkung.
Frage 2: Heute Morgen haben wir ein Zitat aus dem Diamant-Sutra gehört: „Wenn
der Geist auf nichts verweilt, erscheint der wahre Geist.“ Manchmal gibt es auch die
Unterweisung, man soll dem Geist Festigkeit, Stabilität verleihen. Wenn der Geist
substanzlos ist, wie kann er fest sein?
R.Y.R.: Den Geist stabilisieren bedeutet, aufzuhören, immer ein Objekt, einen
Wunsch zu verfolgen oder gegen ein Objekt der Abneigung zu kämpfen. Substanzlos
bedeutet, dass der Geist nicht etwas ist. Der Geist muss keine Substanz haben, um
stabil zu sein. Der substanzlose Geist ist der Geist, der nicht fassbar ist. Wer sich mit
dieser unfassbaren Eigenschaft des Geistes harmonisiert, verwirklicht die Stabilität
des Geistes. Er lässt die Neigung des Geistes los, immer etwas verfolgen zu wollen.
Stabilität bedeutet, sich nicht zu bewegen, nicht von den sogenannten Winden der
Vorlieben und Abneigungen bewegt zu werden, die uns in diese oder jene Richtung
treiben. Der Geist, der auf nichts verweilt, ist der Geist, der uns mit der Leerheit
harmonisiert. Er ist stabil, weil er sich nicht von den Giften des Geistes, von Gier und
Hass, mitreißen lässt. Was ist der eigentliche Grund deiner Frage?
F. 2: Meine Frage ist bereits beantwortet.
Frage 3: Beim Kyosaku schlägt der Shusso zweimal und die anderen
Verantwortlichen einmal. Warum ist das so?
R.Y.R.: Das ist Tradition. Zwei Schläge zu geben hat den Vorteil, den
Kyosakuschlag zu vertiefen. Ein kurzer Schlag regt an, ein etwas aufgelegter Schlag
beruhigt. Um zwei Schläge richtig zu geben, muss man im Umgang mit dem Kyosaku
erfahren sein.
Frage 4: Mit dem Fueko und auch dem Kito widmen wir die Verdienste von Zazen
oder der Zeremonie anderen Wesen. Kannst du das Wort „Verdienste“ näher erklären?
R.Y.R.: Verdienste sind die positiven Auswirkungen der Zazen-Praxis. Wenn wir
diese Verdienste einer anderen Person widmen, einem Verstorbenen oder beim Kito
einem Kranken, drücken wir damit aus, dass wir sie nicht selber behalten, sondern mit
anderen teilen. Für den Praktizierenden ist es wichtig, keinen gierigen Geist zu haben.
Eine Schwachstelle der spirituellen Praxis ist, dass sie letztlich zum Gegenteil dessen
wird, was sie sein sollte. Die Gier könnte einen dazu verführen, die Verdienste für sich
selbst anzuhäufen, weil man glaubt, durch sie ein besseres Karma oder eine gute
Wiedergeburt zu erreichen. Tatsächlich entspricht dies der Einstellung bestimmter
Formen des volkstümlichen Buddhismus, die keine Praktiken wie Zazen unterweisen.
Die Menschen werden zum Beispiel eher ermutigt, zu spenden, indem man ihnen die
Praxis des Gebens, fuse, lehrt mit der Betonung darauf, dass dies gute Verdienste
erbringen wird, das heißt gute Auswirkungen auf ihr zukünftiges Karma.
In Wirklichkeit ist das wahre Verdienst von Zazen, und ebenso von der Praxis des
Gebens, die Befreiung von der Gier. Aus diesem Grund lehren wir mushotoku,
praktizieren, ohne für sich selbst einen Gewinn oder Verdienste zu erwarten. Die
mushotoku-Praxis hat auf alle Fälle gute Auswirkungen, aber was machen wir mit
ihnen? Wir geben sie weiter, um sie nicht selber zu behalten. So wird die Praxis nicht
nur auf persönlicher Ebene befreiend, indem wir uns von unserer Gier befreien,
gleichzeitig lassen wir andere an den Wohltaten teilhaben. Es funktioniert, auch wenn
es ein wenig mysteriös ist, denn wie können Verdienste übertragen werden? Die
Erfahrungen mit den Zeremonien zeigen jedoch, dass es funktioniert.
Vor allem ist der Einstellung des Praktizierenden wichtig. Wer glaubt, er hätte eine
gute Praxis, die viele spirituelle Verdienste für ihn selbst erbringen wird, steckt in einer
Form von spiritueller Gier, die die Praxis verfälscht und zum Gegenteil führt. Die
Befreiung von der Gier ist das größte Verdienst der Praxis, daher ist eine befreiende
Praxis zwangsläufig mushotoku.
Die Verdienste existieren, daher der Gedanke, sie mit anderen zu teilen, anstatt sie
selber zu behalten. Philosophisch ist es schwer zu verstehen. Verdienste sind nicht
substanziell, sie sind nicht wie Geld, das man erhalten hat, wie Münzen, die man aus
der Tasche zieht, um sie an andere zu verteilen. Daher ist die Sache mit den
Verdiensten etwas schwer zu verstehen. Es handelt sich nicht um etwas, um etwas,
das man aufheben kann, aber sie sind Auswirkungen der Praxis. Und es ist wichtig,
die positiven Auswirkungen der Praxis anzubieten, denn der Gedanke, die Verdienste
mit anderen zu teilen, macht etwas mit uns. Alle Praktiken, alle Unterweisungen sollten
nach ihren Auswirkungen auf das Leben beurteilt werden. In unserer Praxis geht es
um die Befreiung von der Gier.
F. 4: Das deutsche Wort „Verdienst“ zeigt nicht, dass es in Richtung mushotoku geht.
Es hat eher etwas Substanzielles.
R.Y.R.: Meister Deshimaru hatte eine Liste von zehn Verdiensten des Zazen
erstellt, von zehn positiven Auswirkungen für den Praktizierenden. Abschließend sagte
er: „All diese Verdienste von Zazen sind Verdienste von mushotoku“, das heißt
Verdienste einer großzügigen, uneigennützigen Praxis. Denn wenn jemand Zazen mit
dem Gedanken praktiziert, Verdienste für sich anzuhäufen, vergiftet diese Gier nach
Verdiensten seine Praxis und wird zum Gegenteil einer befreienden Praxis. Da
Verdienste trotz allem existieren, müssen wir etwas mit ihnen tun. Weil wir sie nicht
behalten, bieten wir sie an. Für uns selbst ist es wichtig, dass wir die Verdienste
anderen widmen, was uns davon abhält, sie behalten zu wollen. Es tut dem
Praktizierenden gut und verhindert, dass die Praxis durch einen gierigen Geist
beschmutzt wird.
Ein Kito funktioniert, auch wenn es mysteriös erscheinen mag. Also muss in der
unsichtbaren Welt etwas passieren, das man nicht erfassen kann, aber dessen
Auswirkungen man wahrnimmt. Statistisch gesehen funktionieren Kitos für Menschen,
denen sie gewidmet werden, um ihre Krankheit oder Schwierigkeit zu überstehen.
Würde man eine Untersuchung machen, wäre das Resultat am Ende allgemein positiv,
aber auf welchem Weg dies geschieht, bleibt mysteriös. Meister Deshimaru sprach
von der unsichtbaren Welt, die einen Einfluss hat, ohne dass man ermessen kann,
über welchen Weg dieser Einfluss uns erreicht. In der Welt gibt es Phänomene, die
schwer zu erklären sind. Es gab zum Beispiel Affen, die an einem bestimmten Ort eine
neue Methode erfanden, um Kokosnüsse zu öffnen. Zur gleichen Zeit an einem
anderen Ort erfanden Affen dieselbe Methode, als hätte es einen Austausch von
Informationen gegeben, ohne Träger. Phänomene dieser Art wurden in verschiedenen
Bereichen analysiert. Eine bestimmte Geisteshaltung, eine Einstellung hat einen
Einfluss, ohne dass es einen materiellen Träger gibt, der erklärt, wie sie kommuniziert
wurde. Wie auch immer, derartige Phänomene ereignen sich, und es reicht aus, zu
wissen, dass sie sich ereignen. Eines Tages werden wir vielleicht verstehen, auf
welchem Weg dies geschieht, aber es funktioniert.
Das Wichtigste ist, was wir dadurch erfahren, wenn wir auf diese Weise denken und
praktizieren, das heißt mit einem großzügigen Geist, nicht nur für uns, sondern indem
wir die Verdienste unserer Praxis an alle Wesen weitergeben.
Frage 5: In der Zen-Literatur, zuletzt im Kommentar zum Shodoka von Meister
Deshimaru, lese ich immer mal wieder, dass das Ich aufgegeben werden soll. Wenn
es heißt, man soll die Ichbezogenheit aufgeben, bin ich einverstanden. Warum heißt
es, das Ich aufgeben? Was sollen wir da aufgeben?
R.Y.R.: Es geht darum, eine falsche Auffassung vom Ich aufzugeben. Das Ich
aufgeben bedeutet, das illusorische, egozentrische Ich aufzugeben. Es bedeutet aber
nicht, sein Ego zu verlieren, denn dann würde man verrückt werden. In psychiatrischen
Kliniken gibt es viele Menschen, die ihr Ego verloren haben. Man darf es nicht
verlieren. Es ist wichtig, eine Art persönliche Identität zu haben, aber man darf sich
nicht über ihre Bedeutung täuschen. Das Ego ist sehr relativ und ohne Substanz. Man
sollte es nicht über das der anderen erheben wollen und aufgrund seiner
Ichbezogenheit mit anderen konkurrieren.
Die Illusion, aus dem Ego etwas Substanzielles, etwas sehr Wichtiges zu machen,
führt zu allem Leid. Darum heißt es im Zen, und ich glaube in allen spirituellen
Richtungen, dass das Ego aufgegeben werden soll. Jedoch geht es hierbei darum, die
falsche Funktionsweise des Egos aufzugeben, das illusorische Ego, das Ego, das sich
für etwas hält, was es nicht ist.
Es gibt auch ein gutes Ego. Es ist unser Ego, das uns dazu bringt, Leid zu empfinden
und es lindern zu wollen. Es bringt uns dazu, den Weg praktizieren zu wollen, und
mobilisiert unsere Energien, um auf ein Sesshin zu gehen. Unser Ego trifft diese
Entscheidung. Das Ego ist also nicht immer negativ. Wenn es heißt, das Ego
aufzugeben, geht es um das illusorische Ego.
Frage 6: Zum gyoji von Fuyo Dokai sagt Meister Deshimaru: „Ein Mönch soll
komplizierte Beziehungen meiden.“ An einer anderen Stelle heißt es: „Er soll
Schwierigkeiten nicht aus dem Weg gehen.“ Das scheint mir ein Widerspruch zu sein.
Wie ist das rechte Handeln in Bezug auf Schwierigkeiten? Wie ist zum Beispiel das
rechte Handeln bei komplizierten Familienbeziehungen?
R.Y.R.: In diesem Kontext sollte man versuchen, die Probleme zu beheben, die
dazu führen, dass die Familienbeziehungen zu Ursache von Leiden werden. In der Tat
gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist, komplizierte Situationen zu vermeiden, die
Familie zu verlassen, Mönch zu werden und allein oder in einem Kloster zu leben. Aber
auf diese Weise löst man nicht die Probleme, die es in dieser Familie gibt. Man lässt
die Familie allein mit ihren Verwicklungen und hilft nicht dabei, sie zu lösen.
Es ist die Frage, welche Priorität man sich selber gibt. Da sich unsere Entscheidungen
im Geist des Mahayana normalerweise nach dem Mitgefühl richten, neigen wir eher
dazu, zu versuchen, der Bodhisattva in der Familie zu sein, der die Probleme innerhalb
der Familie behebt und sich bemüht, die Verwicklungen zu lösen. Gleichzeitig hat
unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, Grenzen. In einigen Fällen läuft man Gefahr,
seine Zeit und seine Energie damit zu vergeuden, familiäre Probleme zu lösen, die
nicht lösbar sind. In diesem Fall ist es weise, zu gehen. Es ist wie in einer
Partnerschaft. Wenn es Probleme in der Partnerschaft gibt, sollte man zuerst
versuchen, sie zu lösen. Aber wenn man es nach Monaten oder Jahren nicht schafft,
die Probleme zu überwinden, ist es besser, sich zu trennen, schon allein deshalb, weil
die Lebenszeit kurz ist, und man wissen sollte, wie man seine Zeit und seine Energie
am besten nutzt. Für jemand, der eine spirituelle Berufung hat, ist es nicht unbedingt
eine gute Lösung, in einer Familienneurose gefangen zu sein. Wenn man feststellt,
dass man nichts ausrichten kann, weil es in der Familie zu viel kompliziertes Karma
gibt, ist es besser, sie zu verlassen.
Wir sind nicht allmächtig. Das Ideal wäre, zu sagen: Da gibt es ein Problem, eine
Verwicklung in der Familie, also werde ich bleiben, um es zu lösen. Leider geht das
nicht immer, und dann besteht die Weisheit eher darin, sich zu sagen, ich gebe auf,
ich gehe.
Für Mönche und Bodhisattvas geht das Problem noch weiter. Folgt man im Mahayana
dem Bodhisattva-Geist, dann bleibt man in der komplizierten Welt, um Weisheit und
Mitgefühl einzubringen und zu helfen, Leiden zu lindern, und sogar zu versuchen, die
Leidensursachen zu lösen. Aber wie bereits gesagt sind wir nicht allmächtig und
müssen in einigen Fällen aufgeben. In einem solchen Fall ist es besser, seine Energie
in eine andere Richtung zu lenken, um weiterhin Gutes zu tun, aber nicht unbedingt
dort, wo es zu kompliziert ist und man nichts erreicht.
Für mich ist es eine Frage der Weisheit: Wie nutze ich die Zeit und die Energie, die mir
in diesem Leben zur Verfügung stehen? Nicht nur für mich selbst, sondern auch für
die anderen. Diese Frage bestimmt meine Lebensweise.
Frage 7: Seit Jahren habe ich ein Problem damit, mein Bestes zu geben und das
Ergebnis loszulassen.
R.Y.R.: Was meinst du mit „das Ergebnis loslassen“?
F. 7: Das ist eigentlich der Kern meiner Frage. Jahrelang habe ich mir eher
gesagt: „Gib dein Bestes, gib dein Bestes.“ Dabei habe ich festgestellt, dass ich dem
Perfektionismus verfalle. Also habe ich mir gesagt: „Lass los, lass los“, und jetzt habe
ich den Eindruck, träge und selbstzufrieden zu werden. Ich schwanke hin und her von
der einen zur anderen Seite.
R.Y.R.: Ich denke, man muss aufpassen, wenn es heißt, das Ergebnis
loszulassen. Wenn man versucht, das Gute zu tun, ist es wichtig, das Ergebnis seiner
Handlung zu prüfen. Wenn das Ergebnis negativ ist, darf man es nicht ignorieren,
sondern muss darüber nachdenken, warum das eigene Handeln zu einem negativen
Ergebnis geführt hat. Ein negatives Ergebnis zeigt, dass man sich geirrt hat.
Ein großer Teil von Buddhas Weisheit bestand darin, uns die Kausalität zu lehren, das
heißt die Verkettung von Ursache und Wirkung. Es ist das Ergebnis, das zeigt, ob eine
Handlung richtig war. Eine Handlung, die zu einem schlechten Ergebnis führt, ist eine
schlechte Handlung. Daher muss man darüber nachdenken, um zu erkennen, was
man beim nächsten Mal anders macht.
Wenn man sich sagt: „Gib dein Bestes“, ohne sich um das Ergebnis zu kümmern, dann
ist der Ausdruck etwas gefährlich. Positiv ausgedrückt könnte es bedeuten, nicht an
einem Ergebnis für sich selbst zu haften. Ich gebe mein Bestes, zum Beispiel bei der
Arbeit, und dennoch erhalte ich keine Beförderung, keine Anerkennung. Das ist aber
kein Grund, auf gute Arbeit zu verzichten. Wenn hingegen das Ergebnis der Arbeit
katastrophal ist, sollte man aufhören, so zu arbeiten und die Arbeitsweise ändern.
Das Ergebnis ist sehr wichtig. Weil es in der Zen-Lehre und ganz allgemein im
Buddhismus im Grunde darum geht, sich von der Gier zu befreien, darf man das
Ergebnis nicht nur für sich selbst beanspruchen. Das macht einen großen Teil der
Weisheit aus und ist sogar die Grundlage der Ethik, die vom Buddha gelehrt wurde.
Buddha lehrte eine Ethik der Verantwortung, das bedeutet, der Wert einer Handlung
hängt von ihrem Ergebnis ab.
Wir erinnern gerne an die Unterweisung, die der Buddha seinem Sohn Rahula gab. Er
sagte: „Bevor du handelst, denke über das Ergebnis nach. Wenn du erkennst, dass
das Ergebnis deines Redens oder Handelns Leiden verursachen wird, für die anderen
oder für dich selbst, dann tu es nicht. Dann ist diese Handlung schlecht.“ Es geht nicht
darum, über gut oder schlecht hinauszugehen. Zen bedeutet, das Schlechte zu
vermeiden und das Gute zu tun. Dafür muss man sich mit dem Ergebnis beschäftigen,
damit es nicht nur gut für einen selbst ist, sondern für viele Menschen.
Zum Beispiel hatte ich einen ganzen Tag lang mit Unternehmern über das Thema
„Profit“ diskutiert. Ein Profit ist im Allgemeinen das Ergebnis einer guten
Unternehmensführung. Ich sagte: „Ich bin hergekommen, um über Zen zu reden, und
Zen ist mushotoku, nicht am Profit festhalten. Also habe ich den Eindruck, hier falsch
zu sein.“ Und ich wollte gehen. Dann entgegneten die Unternehmer: „Einen Moment,
warten sie! Lassen sie uns darüber reden. Das interessiert uns sehr.“ Im Laufe des
Tages kamen wir zum Schluss, dass das beste Ergebnis für die meisten Menschen
erzielt werden muss, nicht nur für einige Aktionäre, sondern auch für die Mitarbeiter,
die Kunden, die Umwelt. Mit anderen Worten, das Ergebnis, der Profit eines
Unternehmens muss möglichst großzügig und breitgefächert sein und mit anderen
geteilt werden, wie die Verdienste der Praxis.
Über das Ergebnis unseres Handelns nachzudenken und Folgen aus den Ergebnissen
unserer Handlungen zu ziehen, ist eine der Grundlagen der Weisheit. Wer sich nicht
um die Ergebnisse kümmert, ist verantwortungslos.
F. 7: Wenn ich also richtig verstehe, ist der Moment, an dem ich aus etwas einen
persönlichen Nutzen für mein Ego ziehen will, ein Alarmsignal.
R.Y.R.: Absolut! Der Weg, dem wir folgen, ist ein Weg der Befreiung von den
egoistischen Anhaftungen.

Sonntag, 1. Zazen
Die Zeremonie am Ende dieses Zazen werden wir den Verstorbenen widmen, deren
Namen ihr genannt habt. Es ist eine Gelegenheit, den Menschen, die uns
vorausgegangen sind und uns das Leben geschenkt haben, unsere Dankbarkeit
auszudrücken und ihnen eventuell das Leid zu vergeben, das sie verursacht haben.
Vor allem ist es hier und jetzt eine Gelegenheit für uns, über Leben und Tod zu
meditieren. Die Frage nach Leben und Tod war der Ausgangspunkt für den Geist des
Erwachens von Buddha Shakyamuni.
Die Unbeständigkeit des Lebens ist eine große Ursache von Leid. Wozu leben, wenn
alles mit dem Tod enden muss? Um dieses Leiden zu lösen, praktizierte Shakyamuni
Zazen. Die Unbeständigkeit ist Ursache von Leid, wenn man an Wesen, Dingen und
Situationen hängt, als müssten sie immer da sein, wenn man dem eigenen Ego
anhaftet, als müsste es immer da sein. Für jemanden, der mit derartigen Anhaftungen
lebt, ist der Tod empörend, völlig inakzeptabel.
Die Zazen-Praxis hilft uns, uns mit dieser Unbeständigkeit zu harmonisieren und sie
nicht mehr mit Empörung, sondern als etwas Natürliches, Normales zu betrachten.
Alles, was erscheint, muss verschwinden. Während Zazen erleben wir dies Augenblick
für Augenblick. Wir verspüren Empfindungen und Wahrnehmungen, Gedanken
tauchen in unserem Geist auf, aber sie ziehen schnell vorbei. Selbst wenn wir ihnen
anhaften, wenn wir sie eine Zeit lang festhalten, werden sie vorbeiziehen. Wenn wir
dies nicht nur auf intellektueller Ebene verstehen, sondern tief aus der Zazen-
Erfahrung heraus, können wir loslassen und einen wendigen Geist verwirklichen, der
auf nichts verweilt.
Das bedeutet nicht, dass wir vergessen. Wir vergessen die Verstorbenen nicht, im
Gegenteil, wir empfinden ihnen gegenüber Dankbarkeit für das, was sie erbracht
haben. Selbst ihre Fehler werden zu einer Lektion für unser Leben; sie zeigen uns,
was man nicht tun sollten. So können wir aus der Geschichte lernen. Lektionen für das
Leben aus der Existenz der Verstorbenen.
Die wesentliche Erfahrung von Zazen hinsichtlich Leben und Tod ist, dass wir durch
Zazen die ewige Gegenwart verwirklichen können. Selbst wenn das, was hier und jetzt
erscheint, nicht andauert, erleben wir es zutiefst. Wir vergeuden den gegenwärtigen
Augenblick nicht, indem wir der Vergangenheit nachtrauern oder uns vor der Zukunft
fürchten, sondern bleiben ständig in Kontakt mit dem wahren Leben hier und jetzt.
Anstatt zu glauben, dass das, was nicht andauert, keinen Wert hat, lernen wir durch
Zazen den Wert des gegenwärtigen Augenblicks zu schätzen. Es ist der einzige
Moment im Leben, in dem wir erwachen können. Es ist der einzige Moment im Leben,
in dem wir dieses Erwachen in die Praxis umsetzen können. Auch lehrt uns Zazen,
jeden Moment unseres Lebens vollständig zu leben. Das Leben ist eine Abfolge von
Punkten im Hier und Jetzt. Diese Abfolge bildet eine Linie, die Linie unseres Lebens.
Wenn jeder Augenblick vollständig gelebt wurde, ist die Linie stark. Vergeudet also
nicht den gegenwärtigen Augenblick. Die Verstorbenen erinnern uns daran, und dafür
danken wir ihnen.

Veröffentlicht in Roland.