Buddha-Natur (2) – 10.2006 – Grube Louise

Die hier abgedruckten Kusen wurden von Roland Rech in der Zeit vom 6.-8. Oktober 2006 während
des Sesshins in Grube Louise auf französisch gehalten und direkt ins Deutsche übersetzt.

 

6.10.2006, 7 Uhr
Neigt das Becken gut nach vorne. Drückt mit den Knien fest auf den Boden. Entspannt gut den
Bauch. Sitzt auf dem Zafu, als wolltet ihr, dass der Anus das Zafu nicht berührt. So fühlt man sich
gut im Sitzen verwurzelt. Gleichzeitig streckt man von der Taille aus gut die Wirbelsäule und den
Nacken. Das Kinn ist zurückgezogen, und man drückt den höchsten Punkt des Kopfes in den
Himmel. So ist der Körper völlig zwischen Himmel und Erde gestreckt. Man lässt alle unnötigen
Spannungen im Rücken und in den Schultern los.
Der Blick ruht vor einem auf dem Boden. Man fixiert keinen besonderen Punkt. Man klammert sich
nicht an die Gegenstände des Blickes. So stört uns keiner der visuellen Gegenstände und man muss
nicht die Augen schließen, um konzentriert zu sein. Sich nicht an die visuellen Gegenstände zu
klammern heißt, ihnen keinen Namen zu geben und im Geist keine Kommentare bezüglich dieser
Gegenstände zu machen, z.B. ob sie schön sind oder nicht, ob man sie mag oder nicht. Man begnügt
sich das zu sehen, was ist, so wie es ist, so wie es erscheint. Und wenn in unserem Geist
Kommentare auftauchen, beobachtet man sie ebenfalls im Augenblick, so wie sie sind, ohne sie zu
nähren. So verschwindet die Ursache der geistigen Unruhe schnell.
Das gleiche gilt für die anderen fünf Sinne. Man verschließt sich nicht vor der Wahrnehmung der
äußeren Welt. Im Gegenteil: Man bleibt völlig offen und aufmerksam. Aber man fügt dem, was
erscheint, keine Kommentare seines Egos hinzu. Und wenn Kommentare auftauchen, sieht man sie
als das, was sie sind, ohne sie zu nähren.
Die linke Hand liegt in der rechten Hand. Die Daumen sind waagerecht. Die Hände erzeugen und
erfassen nichts. Dies stärkt die Haltung des Geistes, nach nichts zu greifen und keine geistigen
Erzeugnisse herzustellen. So können sich die geistigen Aktivitäten beruhigen und der Geist kann
sich klären. Wenn der Geist klar wird, kann man sich selbst sehen, so wie man ist. Man kann zur
Wirklichkeit unserer Existenz erwachen und ihre wahre Natur erkennen. Das ist der Sinn des
Sesshins: vertraut mit unserem wahren Geist zu werden. Die wahre Natur unserer Existenz zu sehen
und uns im täglichen Leben mit ihr praktisch und konkret zu harmonisieren. Es ausdrücken, ohne es
ausdrücken zu wollen, d.h. auf natürliche Weise. Entweder in Worten oder in Stille. Und in allen
Handlungen des täglichen Lebens.

 

6.10.2006, 11 Uhr
Wenn man Zazen praktiziert, begnügt man sich nicht damit, sich auf die Haltung und die Atmung
zu konzentrieren. Man beobachtet auch, was geschieht, und lernt sich so selber kennen. Die
Konzentration auf Haltung und Atmung kann bestimmt den Frieden des Geistes bringen, aber kein
wahres Erwachen. Das Erwachen besteht darin, die wahre Natur unserer Existenz zu verstehen.
Nicht nur unsere persönlichen Charakteristika zu verstehen, die von unserem Karma, von unseren
alten Konditionierungen abhängen, die der Grund dafür sind, dass wir anders sind als die anderen,
die aus uns besondere, einzigartige Wesen machen.
Aber was ist die wahre Natur von all dem? Von diesem Körper, diesem Geist, diesem Karma,
diesem Ego? – Zazen zu praktizieren heißt, sich mit diesem Koan zu konfrontieren: „Was ist es, das
jetzt Zazen praktiziert?“ – Natürlich bin ich es. Aber was ist dieses Ich? – Wenn man diese Frage
beantworten möchte, wird man dazu neigen, sich auf seine Geschichte zu beziehen: „Ich bin
jemand, der in jenem Jahr an jenem Ort in jener Familie geboren wurde, der diese oder jene
Eigenschaften entwickelt hat, der dieses mag und das nicht mag, der glaubt, so zu sein und nicht
anders.“ Kurz gesagt: der sich eine Identität schafft, etwas, das ich für beständig, für im Lauf der
Zeit identisch halte.
Wenn man aber versucht, zu erfassen, was dies wirklich ist, was dieses Ich ist – was wird man
antreffen? – Es ist natürlich dieser sitzende Körper. Ist dieser Körper wirklich ich, gehört er mir
wirklich? Wird er wirklich von meiner Haut begrenzt? – In Wirklichkeit atmet dieser Körper in
jedem Augenblick mit dem ganzen Universum. Er wird in jedem Augenblick von der
grundlegenden kosmischen Energie genährt. Jedes Teilchen, aus dem er zusammengesetzt ist,
existiert mindestens seit dem Urknall. Dieser Körper ist die Frucht der völligen Wechselbeziehung
von allem, was existiert. Sein Zustand ändert sich ständig. In jedem Augenblick werden Tausende
Zellen geboren und sterben wieder. In Wirklichkeit gibt es nichts Beständiges. Nichts, das mir
gehört. So wie das Wasser, das eine Welle bildet, nicht dieser Welle gehört. Es ist niemals vom
ganzen Ozean getrennt.
Wir glauben auf Grund unserer illusorischen Gedanken, getrennte Wesen zu sein. Deswegen
glauben wir, dass wir in jenem Moment geboren wurden und in einem anderen Moment sterben
werden.
Wenn man in Zazen seinen Geist beobachtet, sieht man alle Arten von Empfindungen,
Wahrnehmungen, Gefühlen, Erinnerungen. Manchmal denkt man, manchmal denkt man nicht. Aber
keines der geistigen Phänomene, denen wir begegnen, hat eine feste Natur. Alles wandelt sich ohne
Unterlass. Man kann nichts ergreifen, was ‚Ich’ ist.
Als Nangaku zum ersten Mal Eno begegnete, fragte Eno ihn: „Was kommt da?“ – Wir müssen uns
von dem Patriarchen befragen lassen und uns in die Position von Nangaku begeben und uns – wie er
selbst – fragen: „Was kommt da?“ und daraus unser Koan machen, bis wir – wie er – begreifen, dass
es nicht Etwas ist. Es ist nichts, was fassbar ist. Dann werden wir die Gelegenheit haben, uns von
unserer Egozentrik zu befreien und die wirkliche Freiheit zu verwirklichen – die nicht die Freiheit
ist, all das zu bekommen, was man sich wünscht, sondern die Freiheit, authentisch in Harmonie mit
unserer wahren Natur zu sein. Wenn man dies auch nur kurz erfährt, gibt es kein Hindernis, keine
Angst im Geist mehr.

 

6.10.2006, 16.30 Uhr
Warum sind wir hier versammelt, um gemeinsam Zazen zu praktizieren, statt alltäglichen
Aktivitäten nachzugehen? – Wahrscheinlich wurden wir von etwas gerufen: von dem Bedürfnis, zur
wahren Natur unserer Existenz zu erwachen, von dem Bedürfnis, sie nicht zu verfehlen und darüber
unendliches Bedauern zu empfinden.
Am Anfang des Shobogenzo Bussho zitiert Meister Dogen Shakyamuni. Er sagt: „Ausnahmslos alle
fühlenden Wesen haben die Buddha-Natur. Der Tathagata verweilt ewig ohne Veränderung.“ Das
ist ein Zitat aus dem Nirvana-Sutra. Dogen fügt hinzu: „Das ist das Löwengebrüll unseres großen
Meisters Buddha, der das Dharma predigt. Es ist auch die Essenz aller Buddhas und Patriarchen.
Ihr Studium vollzieht sich schon seit zweitausend Jahren durch eine direkte Weitergabe über 50
Generationen hinweg“ – jetzt sind es 90 Generationen.
Zu sagen, dass alles Wesen die Buddha-Natur haben, bedeutet, dass ausnahmslos alle Wesen,
erwachen können. – Einige meinen, dass Buddha ein außergewöhnliches Wesen war, das erwacht
ist, aber sie selber würden nie erwachen können. Und sie nehmen diesen Unterschied als
Entschuldigung dafür, dass sie den Weg nicht praktizieren.
Ein wesentlicher Punkt der Unterweisung aller Buddhas und Patriarchen ist es, das Vertrauen
weiterzugeben, dass jeder die Buddha-Natur hat. Wenn man praktiziert, kann sich diese Natur
verwirklichen. Das ist der Sinn unserer Anstrengung. Es ist wichtig, dieses Vertrauen zu
entwickeln.
Was bedeutet es, dass alle fühlenden Wesen die Buddha-Natur haben? Heißt das, dass man tief in
sich selbst irgendetwas besitzt, das man Buddha-Natur nennt? Einige glauben das. Dogen zog es vor
zu sagen, dass es der Ausdruck der Frage: „Was kommt da?“ ist. Wenn man sich diese Frage stellt,
stellt man fest – wie ich bereits sagte -, dass man überhaupt nichts ergreifen kann: Das, was die
Essenz unserer Existenz bildet, ist nicht fassbar.
Man sagt manchmal: Unser tiefes Sein ist nicht etwas, ist nichts Begrenztes, das man definieren,
sehen, besitzen kann. Man kann es genauso wenig fassen, wie man seine eigenen Augen direkt
sehen kann. Denn wir sind diese Buddha-Natur. Die Buddha-Natur ist wir, augenblicklich, weil sie
die wahre Natur unserer Existenz ist. Wir sind so mit ihr vertraut, dass wir uns nicht von ihr trennen
können, um sie zu beobachten. Beobachten ist Buddha-Natur, praktizieren ist Buddha-Natur.
Dogen sagt: „Alle Wesen, – nicht nur die fühlenden Wesen -, alle Wesen sind die Buddha-Natur.“
Das heißt nicht, dass sie die Buddha-Natur haben oder besitzen, sondern sie sind völlig Buddha-
Natur. Umgekehrt ist die Buddha-Natur alle Wesen, die Gesamtheit aller Wesen, die Tatsache, dass
wir uns nicht von dieser Gesamtheit trennen können. Anders gesagt: Die Essenz unserer Existenz ist
diese gemeinsame Existenz. Die Tatsache, dass wir nicht alleine existieren, sondern in völliger
Wechselbeziehung mit allen Wesen. ‚Sein’ bedeutet wechselseitig abhängig sein.
Diese Wirklichkeit existiert immer. Sie gilt für alle Wesen. Dies ist das Leben ohne Trennung. Die
Quelle des wahren religiösen Geistes ist zweifellos, sich nicht trennbar von der Gesamtheit zu
fühlen. Man nennt es Gott, Buddha, Buddha-Natur. Die Namen, die Bezeichnungen sind nicht
wichtig.
Indem Zazen die linke Gehirnhälfte, die Trennungen schafft, beruhigt, ist es möglich, diese
Wirklichkeit zu erfahren, den Weg wieder zu finden, der nie aufgehört hat zu existieren, wie es
Shakyamuni getan hat.
In einer Zeit wie heute, wo die Ich-Bezogenheit übertrieben ist, wo jeder von seiner Identität
besessen ist, ist es sehr wichtig, die Wahrnehmung der Nicht-Getrenntheit wieder zu finden. Diese
Wahrnehmung macht eine mitfühlende Haltung allen Wesen gegenüber möglich: Wir teilen diese
Buddha-Natur mit allen Wesen. Das nähert uns einander, vereint uns und übersteigt das Gefühl der
Einsamkeit.
Wir fühlen uns allein, wenn wir uns in unserem Ego einrichten, indem wir an unseren
Unterschieden haften. Wenn man Zazen praktiziert, insbesondere auf einem Sesshin, hat man
Gelegenheit, dieses Anhaften aufzugeben, das fallen zu lassen, was uns besonders macht, und das
zu entwickeln, was uns vereint. Das ist insbesondere der Sinn des Lebens als Mönche oder Nonne.
Das ermöglicht es der Sangha, eine harmonische Gemeinschaft zu sein.
Was uns einander annähert, was wir miteinander teilen, ist viel wichtiger, als die Unterschiede, die
uns trennen. Deswegen ist sie eine der drei Kostbarkeiten. Im Schoß dieser Gemeinschaft kann der
Sinn des Buddha-Dharmas sich am besten aktualisieren.
Mondo
Du hast eben von ‚nicht-fühlenden Wesen’ gesprochen. Was ist ein ‚nicht-fühlendes Wesen’?
Traditionell unterscheidet man fühlende Wesen, d.h. Wesen, die Wahrnehmungen und
Empfindungen haben, die die Fähigkeit haben, etwas auswählen oder abweisen zu können, und
nicht-fühlende Wesen. In der Regel sind die fühlenden Wesen Menschen und Tiere. Man kann
entsprechend der buddhistischen Kosmologie noch Wesen hinzufügen, wie z.B. die Gaki. Aber
auch Wesen, die in der Hölle oder im Paradies wohnen, sind fühlende Wesen. Letztlich alle Wesen,
die ein Karma haben, die also im Samsara transmigrieren. Das Samsara ist die Welt der fühlenden
Wesen. Im Unterschied dazu ist das Nirvana die Welt der Buddhas. Das ist die traditionelle
Sichtweise. Nicht-fühlende Wesen sind z.B. Berge, Flüsse, Sterne, … Sie haben kein Karma, keine
Empfindungen, keine Möglichkeiten etwas auszuwählen oder abzulehnen.
Durch seine Zazen-Praxis, durch das Verständnis seiner Buddha-Natur, ist Meister Dogen dazu
gekommen zu sagen, dass alle Wesen die Buddha-Natur haben, dass es tief gesehen keinen
Unterschied gibt, weil es eine tiefere Wirklichkeit gibt als das Karma und die Empfindsamkeit, die
Auswahl oder Ablehnung erzeugen. Diese tiefere Wirklichkeit ist die Existenz in völliger
Wechselbeziehung. Das ist der grundlegendste Punkt, in dem alle Wesen sich ähneln, der Punkt,
den alle Wesen gemeinsam haben. Das ist die Essenz selbst der Existenz: die Tatsache in Beziehung
zu existieren. Diese Wirklichkeit ist tiefer als Wirklichkeit der fühlenden Wesen mit ihrem Karma
und ihrem Bewusstsein. Das ist der Punkt, wo die fühlenden und nicht-fühlenden Wesen sich
ähneln und eine Einheit bilden. Das bewirkt, dass – im Geist von Zazen – man selbst und ein Baum,
man selbst und ein Berg nicht getrennt, nicht unterschieden ist.
Zen-Mönche haben durch ihre intensive Praxis diesen Sinn für die Nicht-Getrenntheit mit Wesen
entwickelt, die man nicht-sensibel nennt, die aber selbst auch das Dharma ausdrücken. Deshalb sind
Mönche oder Praktizierende auch erwacht, als sie eine Blume gesehen, einen Kieselstein oder einen
Bergbach gehört haben. Eine Blume oder das Geräusch eines Bergbachs in einem Tal sind
traditionellerweise nicht-fühlende Wesen. Aber in ihrer Wirklichkeit bringen sie völlig das zum
Ausdruck, was wir mit ihnen gemeinsam haben, die völlige Wechselbeziehung, die Existenz ohne
Substanz.
Vielleicht zeigen sie es uns sogar besser als fühlende Wesen: Fühlende Wesen sind kompliziert. Sie
vernebeln unsern Geist mit Wörtern. Aber eine Blume und ein Bergbach drücken direkt das
Wesentliche aus, – wenn man es zu sehen versteht. Das ist jenseits des Unterschiedes zwischen
fühlenden und nicht-fühlenden Wesen. Dies zu spüren ist sehr wichtig für unsere Beziehung zu der
Welt, in der wir leben. Das bedeutet, dass alle Dinge der Natur uns erwecken können. Sie
manifestieren dieselbe Essenz der Existenz wie wir, aber vielleicht noch auf eine direktere Art und
Weise. Darum seid ihr eingeladen, die Natur zu kontemplieren. Oft ist das eine größere
Unterweisung als die Sutren.
Es gibt Leute, die nicht gerne Sutren lesen. Sie finden sie kompliziert. Dann geht in den Wald! Das
ist eine sehr schöne Unterweisung. Er ist voll mit fühlenden und nicht-fühlenden Wesen, die
hervorragend miteinander funktionieren. Bäume, Vögel, … sie funktionieren zusammen.
Jedes Wesen kann uns erwecken oder zumindest dazu beitragen, sofern man empfänglich ist. Zazen
entwickelt diese Empfänglichkeit. Umgekehrt gibt es uns ein Gefühl von Dankbarkeit, von
Wohlwollen allen Wesen gegenüber – nicht nur den fühlenden Wesen. Das ist die wahre spirituelle
Grundlage der Ökologie.
Zwei Leute, die ich kenne, haben sich zu Mönchen ordinieren lassen. Sie laufen aber immer noch
wie Bodhisattvas herum.
Was heißt das?
Sie tragen nur ein anderes Rakusu. Sie tragen kein Kolomo und kein Kesa. Ich habe sie gefragt,
warum sie das tun. Ihre Antwort war: „Das ist nicht wichtig.“ Wenn sie einmal Zeit hätten, würden
sie ein Kesa nähen.
Habe ich die ordiniert?
Nein.
Du willst wissen, was ich davon halte? – Im Grunde ist es wahr, dass Kolomo und Kesa nicht
wirklich so wichtig sind. Das sind nur Kleidungsstücke. Das Wichtigste ist die Praxis und der Geist,
mit dem man praktiziert. Und der Bodhisattva-Geist ist der tiefste Geist, der höchste Geist. Wenn
man Mönch ist, dann um den Bodhisattva-Geist zu vertiefen. Für mich ist Bodhisattva zu sein
wirklich das Wesentliche. Mönch zu sein ist ein Weg unter anderen, um seine Berufung als
Bodhisattva zu leben.
Das heißt aber nicht, dass Kolomo und Kesa überhaupt nicht wichtig sind. Insbesondere das Kesa:
Das Kesa ist das Symbol der Weitergabe. Das Kesa nicht tragen zu wollen, ist in gewisser Hinsicht
eine Vernachlässigung der Weitergabe. Ich werde niemanden ordinieren, der bei der Ordination
kein Kesa und keinen Kolomo hat. Nicht weil ich denke, dass es ausreicht, einen Kolomo und ein
Kesa zu haben, um Mönch zu werden. – Das reicht überhaupt nicht. – Wenn man aber nicht einmal
die Anstrengung unternimmt ein Kesa zu nähen und einen Kolomo zu kaufen, zeigt mir das, dass
man nicht den engagierten Geist hat, um Mönch zu werden: Man möchte keine Anstrengung
unternehmen, um der Tradition zu folgen. Die Tradition ist wichtig.
Dogen sagte: „Man gibt niemandem die Ordination, der nicht die drei Kesas, seine Schale, Kolomo
und Kimono hat.“ Er sagte auch, dass man sie sich nicht nur ausleihen dürfe. Für Dogen war es so,
dass man, wenn man sich diese Dinge zur Ordination auslieh, mit der Ordination nicht wirklich
Mönch wurde. Ich vertraue völlig der Unterweisung Dogens und wenn er so strikt in diesen Punkten
war, dann wird er gute Gründe dafür gehabt haben. Ich denke, dass diejenigen, die die Ordination
empfangen möchten, über diese Unterweisung meditieren sollten.
Dogen war kein Formalist. Für ihn drückte die Form den Geist aus und half, ihn zu vertiefen. Den
Hishiryo-Geist kann man z.B. nicht erfassen. Wenn man sich aber darauf konzentriert, ein Kesa zu
nähen, kann man Hishiryo vertiefen, wie wenn man Zazen macht. Der Buddha-Geist ist nichts, das
man sehen oder erfassen kann, wie ich vorhin schon gesagt habe. Wenn man dem Buddha-Geist
gegenüber seine Dankbarkeit, seinen Respekt ausdrücken möchte, hat man keinen Gegenstand,
demgegenüber man das tun kann, also respektiert man das Kesa als Symbol. – Symbole sind auch
wichtig. Der Geist funktioniert mit Symbolen. Man braucht sie. Man sollte das Kesa respektieren.
Es ist schade, dass der Godo, der diejenigen ordiniert hat, dies nicht unterweisen konnte.
Du hast heute in zwei verschiedenen Kusen Gegensätzliches gesagt: Einmal sagtest du, dass ich,
wenn ich sitze und immer wieder meine Haltung korrigiere und auf meine Atmung achte, nicht
erwachen kann, wenn ich nicht die Frage nach dem ‚Was bin ich? Was praktiziert da?’ stelle. Dann
sagtest du, dass, wenn ich praktiziere, meine linke Hirnhälfte zur Ruhe kommt, und dass es dadurch
möglich wird zu erwachen. Das erste hat mich etwas verunsichert, weil die Frage nicht in mir ist,
ich sie nicht spüre. Aber ich habe großes Vertrauen in diese zweite Aussage. Was ist richtig?
Beide sind wahr. Grundlage von Zazen ist die Praxis der Konzentration. Aber die Konzentration
allein reicht, wie Meister Deshimaru selbst unterwiesen hat, nicht. Man muss sich konzentrieren,
um die richtige Beobachtung zu ermöglichen. Aber es ist nicht das intellektuelle Gehirn, das
Gehirn, das Trennungen schafft, das wirklich die Frage stellen kann: „Was bin ich?“ Auf jeden Fall
kann es darauf nicht antworten. Das ist genau die Frage, auf die das Mentale nicht antworten kann.
Aber die Tatsache, dass man sich die Frage nicht beantworten kann, heißt nicht, dass man sie sich
nicht stellen sollte.
Ist es nicht so, dass diese Frage von innen kommen muss, dass man diese Frage beantwortet haben
will, weil sie sich gestellt hat?
Das stimmt. Aber wenn ihr denkt, dass es ausreicht, sich nur auf die Haltung zu konzentrieren, dann
denke ich, dass ihr an der wichtigen Frage vorbeilauft, die euch hilft, zu erwachen. Deshalb sagte
Meister Deshimaru nach sieben Jahren der Unterweisung der Konzentration auf die Haltung und
der Atmung: „Das reicht nicht aus. Ihr müsst euch beobachten.“ Ich kann mich daran gut erinnern,
denn ich war dabei, ich habe das übersetzt.
Ob du die Frage benutzt: „Wer bin ich? Was bin ich?“ ist nicht wichtig. Aber beobachte dich selbst.
Was nützt es, seinen Geist zu klären, wenn man nicht mit ihm sieht? Es ist wichtig zu sehen. – Das
heißt nicht, dass es etwas zu sehen gibt. – Gut sehen, dass es letztlich nichts zu sehen gibt. Dafür
muss man sich bemühen zu sehen.
Ich werde es versuchen.
Kodo Sawaki soll gesagt haben: „Wer das Shobogenzo als Laie liest, ohne Yogachara-Philosophie,
der ist wie jemand, der mit Reis handelt, aber keinen Messbecher oder Waage hat.“ – Wo kann
man etwas über Yogachara erfahren?
Indem man bestimmte Sutren studiert. Das Wichtigste ist das Lankavatara-Sutra. Das ist ein langer
Text. Man kann ihn abschnittsweise lesen. Einen Ausschnitt lesen, dann etwas überspringen, dann
wieder einen Abschnitt lesen. In diesem Sutra werden die großen Thesen des Yogachara immer
wieder ausgedrückt.
Es gibt aber einen viel kürzeren Text, weil die Zen-Mönche, die Zen-Praktizierenden wie ihr, nicht
so gerne lesen und lieber kürzere Texte mögen. Der Text hat weniger als hundert Seiten. In
Englisch heißt er „Awakening of faith in Mahayana“. Das ist ein sehr guter Text, aber er ist so
konzentriert wie das Hannya Shingyo im Vergleich zu Prajnaparamita. Weil er sehr konzentriert
ist, ist er etwas schwierig zu lesen.
Kodo Sawaki hat in gewisser Hinsicht Recht, weil Dogen von dieser Unterweisung geprägt war.
Aber ich glaube, dass er noch mehr von der Prajnaparamita geprägt war. Prajnaparamita ist auch
sehr lang. Wenn ihr das Hannya Shingyo versteht, versteht ihr das Wesentliche von
Prajnaparamita. Wenn ihr noch das Diamant-Sutra dazunehmt, ergibt das ein ganz gutes
Verständnis von Prajnaparamita. Damit könnt ihr das Shobogenzo lesen.
Es stimmt, dass Dogen eine außergewöhnliche religiöse und philosophische Kultur hatte. Er fing im
Alter von acht Jahren an, Sutren zu lesen. Wenn er sich ausdrückt, verwendet er diese ganze Kultur.
Manchmal verwendet er Zitate, ohne es zu sagen. Wenn man nichts davon weiß, versteht man nicht,
wovon er spricht, worauf er anspielt. Das macht es sehr schwierig, das Shobogenzo zu lesen.
Aber es gibt noch eine andere Weise das Shobogenzo zu lesen: Es aus der Erfahrung heraus zu
lesen, die wir mit Dogen teilen, aus der Erfahrung von Zazen, von Shikantaza heraus. Der
wesentliche Punkt des Shobogenzo ist es, dass Dogen alle Sutren durch seine Erfahrung von
Shikantaza hindurch neu ausdrückt.
Man kann nicht alles verstehen, weil einem diese Kultur fehlt, aber die wichtigen Punkte versteht
man immerhin. Und es ist auch nicht nötig zu bedauern, dass man nicht alles versteht. Wenn man
10 Prozent des Shobogenzo versteht, ist es schon nicht schlecht. Es ist gut, von Zeit zu Zeit das
Shobogenzo zu lesen. Wenn ihr alle Kapitel eins nach dem anderen lesen wollt, bekommt ihr
Kopfschmerzen. Man muss ab und zu eine oder zwei Seiten lesen und sich immer fragen: „Was
bedeutet das in Bezug auf Zazen?“ – Das ist der Schlüssel.

 

7.10.2006, 7 Uhr
Kehrt während Zazen immer wieder auf die Konzentration auf euren Körper zurück. Folgt nicht
euren Gedanken. Folgt eher eurer Atmung. Indem man sich auf die Körperhaltung konzentriert,
hört man auf, mit der linken Gehirnhälfte, dem Gehirn der Sprache, zu denken. Man hält die
Funktionsweise des Geistes an, die Trennungen und Gegensätze schafft. Die rechte Gehirnhälfte,
die augenblicklich und umfassend wahrnimmt, wird aktiv, ohne Konzepte oder Worte zu benutzen.
So kommt man jenseits der Gedanken direkt mit der Wirklichkeit unseres Lebens in Berührung.
In diesem Moment ist das, was wir unser eigenes Leben nennen, nicht mehr nur unser Leben,
sondern das Leben aller Wesen des ganzen Universums. Man erlebt sich als Teil der Gesamtheit.
Alle Wesen praktizieren Zazen hier und jetzt mit uns, ohne Trennung. Das ist die Verwirklichung
der Buddha-Natur, der Natur ohne Trennungen.
Eines Tages wollte Bodhidharma sehen, wie weit seine engen Schüler in ihrem Verständnis waren.
Er bat sie, ihr Verständnis ihm gegenüber auszudrücken. Der erste Schüler gab eine Antwort und
Bodhidharma sagte: „Du hast meine Haut erlangt.“ Der zweite gab eine andere Antwort und
Bodhidharma sagte darauf: „Du hast mein Fleisch erlangt.“ Der dritte gab wieder eine andere
Antwort und Bodhidharma hat sagte: „Du hast meine Knochen erlangt.“ Der vierte Schüler, Eka,
stand auf und machte, ohne ein Wort zu sagen, einfach Sampai. Bodhidharma sagte zu ihm: „Du
hast mein Mark erlangt.“ – So wurde Eka der zweite Patriarch in China, der Nachfolger
Bodhidharmas.
Im Allgemeinen denkt man, dass Eka ein tieferes Verständnis als die anderen hatte. So wie das
Mark mehr im Inneren unseres Körpers ist, tiefer als die Haut, das Fleisch oder die Knochen.
Dogen lehnt diese Interpretation ab, denn sie ist zu dualistisch. Sie ermutigt es, Kategorien und
Trennungen zu schaffen. In Wirklichkeit können Haut, Fleisch, Knochen und Mark in unserem
Körper nicht getrennt werden. Sie funktionieren zusammen. So wie alles im Universum zusammen
funktioniert. Nichts existiert getrennt.
Es ist genau dieses Verständnis des Nicht-Getrenntseins, das die Verwirklichung der Buddha-Natur
ist, die Essenz des Erwachens. – Wenn man dies nur auf der Ebene der Sprache, der Erklärungen,
der Wörter versteht, reicht das nicht. Es reicht nicht, um unser Leben umzuwandeln und uns zu
ermöglichen, unseren engen, begrenzten Geist aufzugeben. Um wahrhaft zu erwachen, muss man
dies mit Körper und Geist in Einheit verwirklichen. Körper und Geist zusammen, in Einheit mit
allen Wesen.
Dies kann man am besten verwirklichen, indem man völlig auf die Körperhaltung in Zazen
konzentriert ist, indem man völlig auf die Atmung konzentriert ist, von der Atmung absorbiert wird,
der Atmung, die uns von Augenblick zu Augenblick mit unserer Umgebung vereint, die die
Trennung zwischen Innen und Außen überschreitet. Dieses Nicht-Getrenntsein verwirklicht sich
nicht nur in der Dimension des Raumes – innen und außen, ich und die anderen, man selbst und alle
Wesen -, sondern auch in der Zeit. Denn die Wesen und die Zeit sind nicht getrennt.
Als Bodhidharma sagte: „Ihr habt meine Haut, mein Fleisch, meine Knochen, mein Mark erlangt“,
sprach er nicht nur zu seinen vier nahen Schülern. Er spricht auch zu uns in diesem Dojo, hier und
jetzt. Alle, die Shikantaza praktizieren, die das Zazen Bodhidharmas praktizieren, indem sie sich in
der Konzentration auf Körper und Atmung völlig selbst vergessen, erlangen seine Haut, sein
Fleisch, seine Knochen und sein Mark. Es handelt sich nicht nur um die Haut, das Fleisch, die
Knochen von Bodhidharma, sondern um die Essenz des Lebens Buddhas, des Lebens aller Wesen,
jenseits von hier und anderswo, von jetzt und früher.

 

7.10.2006, 11 Uhr
Wenn man Zazen praktiziert, wird man tief vertraut mit sich selbst. Das heißt nicht, dass man selbst
zum Objekt des Wissens wird. Das Selbst, mit dem man in Zazen vertraut wird, ist nicht etwas.
Nichts, was fassbar ist. Meister Dogen nannte es Buddha-Natur. Die Buddha-Natur ist nichts, was
man in der Tiefe seiner selbst besitzt, sondern die wahre Natur unserer Existenz. Eine Natur, die
nicht von unserer Existenz getrennt ist.
Auch kann man die Buddha-Natur nicht mit Konzepten beschreiben. Sie ist nicht Sein im
Gegensatz zum Nicht-Sein, nicht das tiefe Sein im Gegensatz zum scheinbaren Sein. Sie ist auch
nicht das ursprüngliche Sein im Gegensatz zum aktuellen Sein. Alle Begriffe, mit denen man
versucht sie zu beschreiben, sind nicht angemessen. Sie ist kein Begriff, sondern eine Erfahrung.
Deshalb sagt Dogen nicht: „Alle Wesen haben die Buddha-Natur“, sondern „Alle Wesen sind
Buddha-Natur“. – Sie ist nicht der Geist im Gegensatz zum Körper oder zur Materie. Sie ist nicht
die Substanz, die Essenz im Gegensatz zur Form. Sie ist unser Leben, so wie es ist, das all dies
umfasst, sich aber nicht durch derartige Begriffe begrenzen lässt.
Diese Erfahrung der Gesamtheit unserer Existenz, der Gesamtheit des Seins in Einheit mit allen
Wesen, wird nicht durch das Karma beeinflusst. Meister Dogen unterstreicht diesen Punkt. Auch
Meister Deshimaru sagte immer wieder: „Die Welt von Zazen ist nicht die Welt des Karmas. Sie ist
die Welt von Mushotoku.“ Sie kann nicht von unserer Gier und unseren Wünschen ergriffen
werden, und sie kann nicht durch unsere Unwissenheit oder unseren Hass unterdrückt werden.
Die Buddha-Natur kann nicht einfach auf natürliche Weise verwirklicht werden, d.h. ohne Praxis.
Denn auf natürliche Weise und ohne Praxis manifestiert sich nur unsere bedingte Natur, unser
Karma. Dogen sagt, dass sie auch nicht durch wunderbare Kräfte verwirklicht werden kann. D.h.
beten, oder Mantren rezitieren, hilft nicht, die Buddha-Natur zu realisieren. Er sagt auch, dass die
Verwirklichung nicht von angesammelten Verdiensten, von gutem Karma abhängt. Gutes Karma
schafft nur die Bedingungen für eine gute Praxis. Es schafft die Möglichkeit, dem Dharma zu
begegnen. Aber die Praxis und die Verwirklichung des Dharmas sind jenseits von Verdienst und
Karma, jenseits von allem, was unser Ego glaubt fassen zu können.
Zugleich sind wir so mit ihr vertraut, dass sie sich sofort verwirklicht, sobald wir aufhören, etwas
fassen zu wollen, indem wir uns einfach für die Wirklichkeit, so wie sie ist, öffnen, für die
Wirklichkeit des Lebens ohne Trennungen.
In dieser verwirklichten Einheit verschwindet die Frage nach dem Sinn unserer Existenz, sie löst
sich völlig auf. Denn es gibt nichts anderes, als dies hier und jetzt zu realisieren. Das hängt von
nichts anderem ab, als von der Praxis hier und jetzt. Die Erfahrung, die man während Zazen
realisiert, wird unser tägliches Leben völlig inspirieren und ihm einen Sinn geben. Er besteht darin,
dieses Leben ohne Trennungen in allen täglichen Handlungen zu aktualisieren.
In diesem Augenblick, ist die große Praxis der Bodhisattvas, sind die sechs Paramita, keine
Tugenden, die man praktiziert, um das Erwachen zu erlangen, sind die Paramita keine spirituellen
Übungen, sondern einfach Ausdruck der realisierten Buddha-Natur, eine natürliche Seinsweise, eine
Seinsweise in Harmonie mit dem, was wir in Wirklichkeit sind.
Unsere heutige Zeit braucht es, dass mehr und mehr Wesen dies realisieren, um alle Ursachen von
Gegensätzen, Konflikten und Leiden zu überwinden.
Mondo
Wenn die Welt wechselseitig abhängig ist, was ist dann die Rolle und Bedeutung des Buddhisten?
Wenn vor fünf Jahren etwas Zazen gemacht hat, das aussieht wie ich, und wenn jetzt etwas Zazen
macht, das aussieht wie ich, und in fünf Jahren wieder: Was verbindet das?
Selbst wenn man sich in jedem Augenblick aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit verändert,
gibt es doch ein Gedächtnis. Man erinnert sich an das, was vergangen ist. Wenn man sich an das
erinnert, was früher war, merkt man, dass sich etwas geändert hat, dass es kein festes Ego gibt, kein
stabiles Subjekt. Aber es gibt eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Erfahrungen: das
Gedächtnis. Aber auch das Gedächtnis ist nichts Permanentes. Die Erinnerung verändert sich
ebenfalls, aber nicht völlig. Wenn man abends einschläft und morgens aufwacht, ist man nicht
genau die gleiche Person, nicht genau das gleiche Subjekt, aber auch nicht jemand völlig anderes.
Das Subjekt wandelt sich, das Ego wandelt sich. Da ist nichts, von dem man sagen könnte, dass es
ewig existiert. Zum Glück übrigens: Da wir uns meistens in der Illusion befinden, könnten wir,
wenn das Ich fest wäre, nicht erwachen.
Wenn über den absoluten Aspekt nachdenken möchte, ist das Subjekt eine Folge von dharmischen
Positionen. Es ist wie ein Koordinatenkreuz, in der Mitte ist ein Punkt. In einem Augenblick ist der
Punkt hier, dann ist er da, dann ist er dort. Das ist die wechselseitige Abhängigkeit. Dieses Netz der
Wechselbeziehungen schafft eine Situation, die das Subjekt konditioniert, das Ego konditioniert.
Wenn sich in dieser Wechselbeziehung etwas ändert, ändert sich auch das Ego.
Aber es ändert sich nicht alles zur gleichen Zeit. In unserem Körper z.B. sterben in jeder Sekunde
mehrere tausend Zellen und mehrere tausend Zellen werden geboren. Auch unser Gehirn ändert sich
ständig. Aber die Gesamtheit ändert sich nicht auf einmal. Es gibt da eine Kontinuität.
Ist es nicht mehr als Erinnerung? Die Erinnerung allein bewirkt ja nicht, dass ich morgen wieder
Zazen mache.
Nicht nur die Erinnerung. Es sind auch die fünf Aggregate: Körper, Empfindung, Wahrnehmungen.
Im Aggregat ‚geistige Erzeugungen’ gibt es nicht nur die Erinnerung. Die Erinnerung schafft das
Band mit der Vergangenheit. Aber Bodaishin, der Geist des Erwachens, ist ebenfalls Teil des
vierten Aggregats. Doch auch der Geist des Erwachens ändert sich. Er dauert an und ändert sich
zugleich. Ich spüre, dass mein Geist des Erwachens nicht der gleiche ist wie vor 32 Jahren, aber es
ist immer noch der Geist des Erwachens. Er nimmt eine andere Form an, drückt sich anders aus.
Das ist eine heikle Frage, eine große Frage im Buddhismus: Wenn es keine feste Substanz gibt, was
besteht dann fort? – Es ist die Wechselbeziehung, die fortbesteht. Und wie ich bereits gesagt habe,
in der Wechselbeziehung ändert sich nicht alles auf einmal. Die Umwandlung geschieht nach und
nach. Wenn du ein Foto von dir als Baby betrachtest, ähnelt es nicht mehr deinem jetzigen
Aussehen. Da gibt es einen großen Unterschied. Aber du vor einer Woche und du jetzt, das ist fast
gleich, da gibt es nicht viel Unterschied. Aber trotzdem, es ändert sich. – Warum fragst du?
Die Frage tauchte gestern im Kusen auf. Wenn alles aus Bedingtheit entsteht, kann das alles in
einer kosmischen Weisheit sein, aber zufällig. Ich erlebe einen Antrieb in mir, ein Ich oder ein Ego,
das sagt: „Mach Zazen!“ Es ist schwierig für mich, das zusammenzufügen und zu verstehen.
Ich glaube nicht, dass es eine kosmische Persönlichkeit gibt, einen Willen außerhalb von uns, der
uns sagt, was wir zu tun haben, keine Person oder Geist, der uns sagt: „Das musst du tun.“ Aber du
kannst glauben, was du willst. Ich glaube nicht daran.
Ich glaube, dass es eine kosmische Ordnung gibt, die man Dharma nennt, die nach ihren Gesetzen
funktioniert. Diese Wirklichkeit, so wie sie ist, zieht uns dahin, sie zu verstehen sie anzuerkennen
und uns mit ihr zu harmonisieren. Wenn wir das nicht versuchen, leiden wir. Uns treibt die
Notwendigkeit an, uns mit der Wirklichkeit zu harmonisieren. Sich nicht mit der Wirklichkeit zu
harmonisieren, ist sehr schmerzhaft.
Weisheit ist eher das Streben in uns, uns mit der kosmischen Ordnung zu harmonisieren, weil wir
wahrnehmen, dass dort der Schlüssel zum Glück liegt. Wenn wir nicht dahin kommen, werden wir
immer unglücklich und ängstlich, hoffnungslos und sorgenvoll sein. Daher suchen wir nach
Weisheit. Das kommt aus uns, aber aus uns in Berührung mit der kosmischen Ordnung. Die
kosmische Ordnung funktioniert auch in uns. Wir sind ein Teil der kosmischen Ordnung. Das ist
wie eine Notwendigkeit, uns selbst zu erkennen.
Auf der Gendronnière hast du gesagt, dass es zwei Arten gibt sich zu befreien. Die erste werde oft
unterwiesen, das sei der Weg der Beobachtung und der Konzentration, des Loslassens. Der zweite
Weg sei tiefgehender. Er sei nicht auf der Ebene des Loslassens, sondern auf der Ebene direkt zu
sehen, was ist: Was ist dieses Ich, das etwas will? Das Sehen, dass Illusionen und Anhaftungen
nicht wirklich wichtig sind.
Ich habe über die beiden Wege nachgedacht und finde keine Linie, wo die beiden getrennt sind. Ich
glaube, in der Praxis muss man zuerst das eine machen, das andere folgt dann.
Ja, der zweite ist eigentlich die Intuition, die aus der Praxis kommt. Sie direkter ist und tiefer.
Ist das der Unterschied der in den beiden berühmten Gedichten von Jinshu und Eno beschrieben
wird?
Das Gedicht von Jinshu ist ein Loblied auf die Praxis der Konzentration. Sie hilft, die Gedanken
vorbeiziehen zu lassen und sich nicht an die Illusion zu klammern. So wie man den Staub wegfegt
oder den Spiegel säubert. Die Art von Eno ist, sofort zu sehen, dass es keinen Spiegel, dass es
keinen Staub gibt. Jinshu ist in der relativen Wirklichkeit, in der Wirklichkeit der Phänomene. Wir
leben alle in dieser Wirklichkeit. Deshalb ist das auch wichtig. Aber Eno stellt radikal die Fragen:
„Was ist das für ein Staub? Was ist das für ein Spiegel? Was ist die Bedeutung des Staubs, was ist
die Bedeutung des Spiegels?“ – Es gibt keinen Staub, der wegzuwischen ist, es gibt auch keinen
Spiegel.
Aber das ist Teil der Beobachtung.
Ja, ein Teil der tiefen Beobachtung.
Eno war Küchenhilfe. Das ist eine schwere Arbeit. Kann es sein, dass er dachte: „Durch die Arbeit
allein kann ich viel lernen, durch die Arbeit sehe ich, was wichtig im Leben ist“?
Eno war schon erwacht, bevor er in diesen Tempel kam. Er erwachte, als er den berühmten Satz aus
dem Diamant-Sutra hörte, dass wenn der Geist nirgends verweilt, sich der wirkliche Geistes zeigt.
Eno hatte bereits das Verständnis des leeren Spiegels. Dass der Geist selbst nicht fassbar ist, hatte er
schon vorher verstanden. Als er Konin traf, gab es ein Mondo. Konin hat sofort erkannt, dass Eno
erwacht war. Das war nicht die Arbeit in der Küche. Die war für ihn eine Gelegenheit sein
Verständnis zu vertiefen. Das ist alles.
Ich habe manchmal Schwierigkeiten mit der Konzentration, um Gesprochenes richtig zu verstehen.
Wenn ich Texte höre, nehme ich sie oft nur als Musik wahr und verstehe dann Inhalt nicht. Nicht,
weil ich die Sprache nicht verstehe.
Ich finde es interessanter, die Musik der Stimme von jemandem zu hören als den Inhalt der Worte.
Die Musik der Stimme drückt wesentlich mehr die Seinsweise einer Person aus als der Inhalt ihrer
Worte. Ich bin Therapeut. Wenn jemand etwas zu mir sagt, höre ich in einem bestimmten Moment
gar nicht mehr, was er sagt, dann höre ich nur noch auf seine Musik. Das ist viel interessanter. Das
offenbart viel mehr über den Zustand dieser Person als das Ego der Person. Du kannst so
weitermachen.
Während der Unterweisung im Dojo sagt dir die Musik des Unterweisenden vielleicht etwas über
den Geist der Person, die spricht, aber nicht über das Dharma. Aber im Dojo ist das Dharma
wichtig.
Was den Kontakt mit anderen Personen angeht: Wenn du nur Musik hörst, bekommst du
Kommunikationsprobleme. Wenn du es schaffst, den Worten zuzuhören und gleichzeitig die Musik
wahrzunehmen, ist das am besten. Die Musik sagt dir über die Worte hinaus, was die Person sagen
will. Du kannst dann deine Intuition entwickeln und vielleicht sogar besser kommunizieren.
Du hast heute Morgen beim Zazen gesagt: „Beim Zazen erfahren wir uns selbst. Wir lernen uns
selbst kennen.“ Dann hast du gesagt: „Dieses Selbst ist identisch mit der Buddha-Natur.“ Das
würde bedeuten: Dein Selbst ist nicht verschieden von meinem Selbst. Meinst du nicht, dass das
Selbst auch etwas Individuelles enthält?
An der Oberfläche: ja. Die Oberfläche der verschiedenen Selbst ist individuell, ist unterschiedlich.
Man kann aber sagen, dass die wahre Natur des Selbst die gleiche ist. Deine persönlichen
Eigenschaften sind anders als meine. Du hast ein anderes Karma, eine andere Geschichte als ich.
Du bist eine Frau, ich bin ein Mann. Da gibt es viele Unterschiede. Wenn man sich in der Zazen-
Praxis selbst kennen lernt, sieht man nicht nur seine Unterschiede, seine Besonderheiten, sondern
wirklich die Essenz unserer Existenz.
Man kann auf die Frage nach dem Selbst nicht antworten: „Ich bin eine Person mit diesen und jenen
Empfindungen, diesen und jenen Werten.“ Das ist nicht die Antwort. Das ist eine Beschreibung des
Egos, der Persönlichkeit. Die ist natürlich unterschiedlich. Wenn nach dem vom Selbst fragt, fragt
man im Zen: „Was bildet die Essenz meiner Existenz?“ – Im Zen ist das Selbst das Nicht-Selbst,
d.h. ohne Substanz. Das ist genau das gleich für dich, für mich, für die Bäume, für den Himmel, für
alle Existenzen.
Ich denke noch mal darüber nach.
Denke gut darüber nach.

 

8.10.2006, 7 Uhr
Wenn man weiter Zazen macht, indem man sich auf Körper und Atmung konzentriert, funktioniert
der Geist wie ein Spiegel. Alle Phänomene, die auftauchen, werden reflektiert ohne anzuhaften.
Dem Geist zu ermöglichen, wie ein Spiegel zu funktionieren, ist die Aufgabe der Praxis der
Konzentration. Das kann man auch im täglichen Leben weiterführen, indem man so oft wie möglich
zur Konzentration auf Körper und Atmung zurückkehrt, egal welche Haltung man gerade hat und
welche Handlung man gerade ausführt.
Die Metapher des Spiegels kann den Eindruck erwecken, der Spiegel, d.h. man selbst, sei das
Subjekt, und alle Objekte, die sich widerspiegeln, seien außen vor dem Spiegel. Aus diesem Grund
spricht man oft vom Staub, der sich auf dem Spiegel ablegt, so als ob er nichts mit dem Spiegel zu
tun hätte, als wenn er etwas außerhalb wäre. Ein tieferes Verständnis bringt uns dazu zu sehen, dass
dieser Staub ohne Substanz ist. Die Intuition der Leerheit ermöglicht es, die Wurzel unserer Illusion
zu durchschneiden und auch inmitten aller möglichen Phänomene die Freiheit wieder zu finden.
Diese Sichtweise macht viele Dinge leichter. Daher vergleicht man unsere Illusionen oft mit
Wolken, die am Himmel vorbei ziehen. Sie haben die Leichtigkeit von Dampf und werden wie er
sehr schnell verschwinden.
Aber diese Sichtweise bleibt dualistisch. Da gibt es noch mich, mein Bewusstsein, das wie ein
Spiegel funktioniert, und die äußeren Objekte. Diese Sichtweise kann zu Irrtümern führen. Deshalb
sagt Meister Dogen im Bussho: „Die ganze Welt ist völlig frei von Staub und von Objekten, die den
Subjekten gegenüber stehen. Denn genau hier und jetzt gibt es keine zweite Person.“ Alles, was sich
in unserem Geist widerspiegelt, ist Teil des Geistes. Das ist nicht etwas außerhalb, etwas
Getrenntes. Die Phänomene, die wir wahrnehmen, sind die augenblickliche Form, die der Geist
angenommen hat.
Nicht nur sind alle Wesen Buddha-Natur, sondern jedes Wesen ist an sich die Gesamtheit aller
Wesen. Das ist die wirkliche Bedeutung der Buddha-Natur. Das, was wir in der Regel Illusionen
nennen, sind keine Dinge, die von außerhalb kommen wie Besucher, sondern Manifestationen
unseres Geistes. Auch Buddha ist kein Besucher. Er ist die wahre Form unseres Geistes. Aus
diesem Grund sagt man im Zen immer: „Sucht Buddha nicht außerhalb. Ihr seid Buddha.“ Buddha
ist keine zweite Person, kein Objekt. Weder Buddha noch die Illusionen sind Objekte. Und weil es
keine Objekte gibt, gibt es auch kein Subjekt. Nur die Gesamtheit, ein Ganzes. Ohne Trennung.
Und jeder ist diese Gesamtheit.
Solange man dies nicht tief und vertraut versteht, läuft man weiter den Illusionen hinterher. Man
bleibt Gefangener einer dualistischen Sichtweise und erkennt nicht, dass in Wirklichkeit die Wurzel
der Illusionen schon abgeschnitten ist. – Deshalb kann man nicht durch willentliche Anstrengung
erwachen. Solange man glaubt, dass es etwas abzuschneiden gelte, bleibt unsere Praxis illusorisch
und hält ständig Hass und Gier aufrecht. Man ist frustriert, weil man glaubt, dass es etwas zu
erhalten gäbe und etwas, das verhindert, dass man es erhält. Man bleibt in der Illusion der Trennung
von Subjekt und Objekte gefangen. Dann bleiben Gott und Buddha weit entfernt, versteckt,
verborgen, und man hat den Eindruck, nirgends zuhause, Fremder in dieser Welt zu sein. Man sieht
nicht, dass die Trennung an der man leidet, von uns selbst erzeugt ist.
Aber weil all das ohne Substanz ist, kann es sich schnell ändern. Wenn man sich mit Vertrauen
völlig der Zazen-Praxis hingibt, hat Zazen die Kraft, uns aus unseren geistigen Erzeugnissen heraus
und zu unserem wahren, ursprünglichen Zustand jenseits aller Trennungen zurück zu bringen. Dann
können wir das Leben Buddhas erfahren, das erwachte Leben. Das Leben, so wie es in Wirklichkeit
ist.

 

8.10.2006, 11 Uhr
Während des Mondos gestern fragte jemand, wie es um das Subjekt stehe, wenn alles unbeständig
und wechselseitig abhängig sei. Da wird unterstellt, dass es ein bewusstes Subjekt jenseits der sich
verändernden Phänomene geben muss, ein getrenntes, permanentes Subjekt, das die
Unbeständigkeit der Dinge und die wechselseitige Abhängigkeit betrachtet. Einige glauben, dass
dieses Subjekt das wahre Selbst ist und verwechseln dies mit der Buddha-Natur. Sie machen aus der
Buddha-Natur und aus dem Selbst ein geistiges Konstrukt und sind in der Dualität zwischen Subjekt
und Objekt, zwischen einem selbst und der Welt gefangen. Wenn man so denkt, bleibt man
Gefangener der grundlegenden Wurzel der Täuschung. Meister Dogen hat dies sein ganzes Leben
lang kritisiert.
Es ist die natürliche Neigung unseres Geistes, Objekte zu erzeugen, die er sich dann aneignen kann.
Der Sinn der Praxis des Buddha-Weges liegt genau darin, uns davon zu befreien. Um diese
Befreiung zu verwirklichen, können wir nicht unser persönliches Bewusstsein benutzen. Denn man
kann das Feuer nicht mit Feuer löschen. Deshalb impliziert das wirkliche Sich-Selbst-Kennenlernen
das Sich-Selbst-Vergessen. Wenn man sich selbst nicht vergisst, kann man sich selbst nicht
verstehen. Wenn man die bedingte Funktionsweise des Geistes nicht aufgibt, kann man nicht zur
Wirklichkeit erwachen.
Sich auf die Zazen-Praxis konzentrieren, wie wir es hier tun, auf die Praxis des Gyoji, ist die uns
gegebene Möglichkeit, uns selbst, die bedingte Funktionsweise unseres Geistes zu vergessen,
darüber hinaus zu gehen und so die Intuition zu entwickeln. Man nennt das manchmal Weisheit,
Prajna, mit einem weiten Blick sehen, mit einem weiten Geist verstehen, der die Pole all unserer
Dualitäten umfasst, der sich nicht von unseren geistigen Konstrukten täuschen lässt.
Deswegen nennt man dies ‚Erwachen’. Als würde man aus seinem Traum erwachen. Wir halten
unsere Vorstellungen für die Wirklichkeit. Aber natürlich sind Traum und Vorstellung auch Teil der
Wirklichkeit. Die Unterschiede, die Dualität, shiki und ku sind auch Teil der Wirklichkeit.
Sich selbst vergessen, unsere durch unser Karma begrenzte Sichtweise aufzugeben heißt durch alle
Phänomene erweckt sein zu können. Dieses Erwachen kann sich in jedem Augenblick des täglichen
Lebens fortsetzen. Denn alle Wesen sind Natur des Erwachens, Buddha-Natur. Wir können dem
nicht entgehen. Meist stellt man sich vor, es ginge um etwas anderes, um etwas weit Entferntes,
Verborgenes. Zazen praktizieren, an Sesshins teilnehmen ist eine Gelegenheit mit dem vertraut zu
werden, was wir in Wirklichkeit sind: lebende Buddhas.

Veröffentlicht in Roland.