Mit seinem Geist vertraut werden – 05.2017 – Grube Louise

Die hier abgedruckten Kusen wurden von Roland Rech in der Zeit vom 26.-28. Mai 2017 während
des Frühjahrslagers in Grube Louise auf französisch gehalten und direkt ins Deutsche übersetzt.

 

Freitag, 26.05.17, 1. Zazen
Konzentriert euch ab Beginn des Zazen vollständig auf eure Haltung, insbesondere auf die
wichtigen Punkte der Haltung.
Neigt gut das Becken nach vorne und drückt gut mit den Knien auf den Boden. Entspannt den
Unterleib und lasst das Körpergewicht auf das Zafu drücken. Streckt gut die Wirbelsäule von der
Taille aus und den Nacken. Entspannt gut die Schultern und den Unterleib. Zieht das Kinn zurück.
Drückt mit der Schädeldecke in den Himmel und mit den Knien in den Boden. Entspannt gut das
Gesicht.
Der Blick ruht vor einem auf dem Boden. Aber man klammert sich nicht an die Objekte des Sehens.
So ist es nicht erforderlich, die Augen zu schließen, um sich zu konzentrieren.
Man klammert sich nicht an die Gedanken. Man lässt sie vorüberziehen. So braucht man sie nicht
unterdrücken zu wollen. Das Hirn produziert ganz natürlicherweise Gedanken. Die Neuronen haben
das Bedürfnis, sich zu verbinden. Der wesentliche Punkt von Zazen ist nicht, Leere in seinem Geist
zu erzeugen.
Viele Menschen kämpfen gegen ihre Gedanken und steigern damit nur ihre geistige Aufgeregtheit.
Zazen bedeutet, den Kampf einzustellen, sich in Frieden zu setzen, indem man sich nicht bemüht,
einen besonderen Zustand zu erlangen. Man empfängt einfach Augenblick für Augenblick die
Wirklichkeit, so wie sie ist. Dazu muss man einen offenen, verfügbaren Geist haben. Nichts
ergreifen. Wie die Hände in Zazen.
Die linke in der rechten, die Daumen waagerecht, die Handkanten in Kontakt mit dem Unterleib.
Die Hände ergreifen nichts. Alles kann durch eine offene Hand hindurchgehen. Eine Faust kann
nichts empfangen. Für den Geist gilt das gleiche. Die Hände erzeugen nichts. Der Geist hört mit
seinen geistigen Erzeugnissen auf. Er begnügt sich damit, tief die Leerheit all unserer geistigen
Erzeugnisse zu sehen. Es ist nicht erforderlich, sie ausrotten zu wollen. Einfach nur vorüberziehen
lassen. Wie der Himmel die Wolkenvorüberziehen lässt. Dann wird der Geist weit. So weit, dass er
nicht fassbar ist.
Nicht nur ergreift der Geist nichts, wir bemühen uns auch nicht, den Geist zu ergreifen. Der Geist
kann sich nicht selbst ergreifen. Das, was man zu erfassen glaubt, sind Worte, Bilder,
Empfindungen. Aber der Geist selbst bleibt unfassbar. Er ist die Quelle. Aber die Quelle der Quelle
ist nicht fassbar. Das ist das ganze Universum. Also hört auf zu erfassen.
Das ist die große Freiheit, der Sinn, die Essenz von Zazen, die Praxis des Sesshins.
Freitag, 26.5.17, 2. Zazen
Zazen zu praktizieren bedeutet, völlig vertraut zu werden mit seinem Geist. Ein Sesshin machen
bedeutet, unablässig vertraut zu sein mit seinem Geist, nicht nur während Zazen, sondern auch in
unserem Alltag. Wenn man mit seinem Geist vertraut werden will, wenn man nach dieser
Vertrautheit sucht, nimmt man wahr, dass unser Geist nicht fassbar ist.
Buddha Shakyamuni sagt: „Der Geist der Vergangenheit kann nicht ergriffen werden, der Geist der
Gegenwart kann nicht ergriffen werden, der Geist der Zukunft kann nicht ergriffen werden.“
Es ist dieser nicht fassbare Geist, der seit Buddha Shakyamuni weitergegeben wurde.Während
Zazen konzentriert auf die Haltung und achtsam auf die Atmung, ergreift unser Geist nichts,
verweilt auf nichts. Das Hishiryo-Bewußtsein beginnt zu funktionieren, der Geist, der funktioniert,
ohne Unterscheidungen zu schaffen, der seine geistigen Erzeugnisse beendet. So harmonisiert sich
der Geist auf natürliche Weise mit dem Dharma, mit der kosmischen Ordnung, das heißt mit der
Unbeständigkeit aller Phänomene, nicht nur der Phänomene um uns herum, der Welt, sondern auch
der Phänomene, die unseren Geist und unseren Körper konstituieren.
In Zazen kann man unablässig das Auftauchen und Verschwinden der Gedanken, der
Empfindungen, der Erinnerungen, der Wünsche, der Gefühle sehen. Alle diese Phänomene sind
Erzeugnisse des nicht fassbaren Geistes. Der Geist selbst ist nicht Etwas, nichts Fassbares. Mit ihm
kann man sich harmonisieren, indem man unablässig auf die Körperhaltung und auf die Atmung
zurückkehrt. Jedes Mal wenn der Geist zur Körperhaltung zurückkehrt, lässt er auf natürliche Weise
unbewusst alle Gedanken los. Sobald man aufmerksam auf seine Atmung ist und der Atmung folgt,
und nicht seinen Gedanken, findet der Geist zu seiner natürlichen Flüssigkeit zurück.
Kodo Sawaki verglich den Geist, der sich mit einem Ego identifiziert mit einem Eisblock, und die
Welt, die von diesem Eisblock konditioniert ist, nannte er die ‘Welt von Null Grad’. Zazen wirkt wie
die Sonne, die diesen Eisklotz schmelzen lässt. Ein Dichter sagte:“Im Frühling sind die
Unterschiede gelöst, Eis und Wasser sind erneut Freunde.“
Der Geist des Ego und Hishiryo sind keine Feinde, es sind einfach unterschiedliche
Funktionsweisen des nicht fassbaren Geistes, der alle möglichen Formen und Funktionsweisen
annehmen kann.
Im Allgemeinen funktionieren wir immer nach dem gleichen Modus, dem Modus, der
Unterscheidungen und Anhaftungen auslöst, der Gier auslöst und Hass auf all das, was unsere
Anhaftungen stört, und blind macht und uns daran hindert, die Wirklichkeit klar zu sehen.
Ein Sesshin zu machen bedeutet, sich die Gelegenheit zu geben, eine befreite Funktionsweise des
Geistes wieder zu finden. Befreit von allen geistigen Verstopfungen. Man schafft keine Trennungen
mehr. Dann können wir unsere tiefe Einheit mit allen Existenzen sehen. Diese Wahrnehmung war
die Essenz des Erwachen Buddha Shakyamunis.
Unsere wirkliche Natur, die Buddha Natur, ist diese Einheit aller Existenzen unser wirkliches
Gesicht vor der Geburt unserer Eltern. Dieses ursprüngliche Gesicht wiederzufinden, erlaubt es uns,
zu unserem wirklichen Normalzustand zurückzukehren, befreit von unseren Täuschungen, unseren
täuschenden Konditionierungen. Aber diese Konditionierungen sind sehr stark. Sie haben in unserer
geistigen Funktionsweise eine derart tiefe Einprägung hinterlassen, dass wir immer wieder zur
richtigen Praxis zurückkehren müssen.
Die Rückkehr zum Normalzustand bedarf einer gewissen Bemühung. Aber mit der Gewohnheit der
Praxis geschieht diese Rückkehr natürlich und schnell. Der Geist kann frei funktionieren in
Abhängigkeit der Situation, die sich zeigt. Manchmal muss man nachdenken, analysieren,
entscheiden. Dann macht man das. Es gibt eine Zeit dafür. Aber die meistens Leute verbringen ihre
ganze Zeit damit und lassen keinen Raum für eine andere Funktionsweise des Geistes.
Ein Sesshin zu machen bedeutet, sich diesen Raum zu geben und dann frei von einer
Funktionsweise in die andere gehen zu können, ohne in einer Funktionsweise gefangen zu sein. Das
geschieht natürlich und anstrengungslos. Aber es ist die Frucht einer langen Praxis. Deshalb darf
man nicht aufhören zu praktizieren. Das nennt man Gyoji, unablässige Praxis.
Freitag, 26.05.17, 3. Zazen
Wenn man während Zazen auf die Haltung und die Atmung konzentriert ist, funktioniert unser
Geist wie ein Spiegel. Man kann in ihm nicht nur unsere Gedanken sich spiegeln sehen, sondern
auch unsere Täuschungen, unsere Gefühle, unsere Anhaftungen. Das ist die Gelegenheit, sie zu
erhellen. Seine Täuschungen zu erhellen und ihnen nicht zu folgen, sondern sie fallen zu lassen, ist
eine Form von Satori.
Jedes Mal wenn man eine Täuschung aufgibt, ähnelt man Buddha. Meister Deshimaru verfügte über
die Kunst, uns zu helfen, unsere Täuschungen zu erhellen, nicht nur, indem er sie kritisierte,
sondern indem er selbst öffentlich seine Täuschungen erhellte. Er versucht nicht, wie ein
vollkommener Buddha zu erscheinen. Er erkannte ganz willentlich seine eigenen Bonnos. Wir
bewunderten ihn für seine Praxis und liebten ihn für seine menschliche Einfachheit.
Jemand hat mich gefragt, ob ich während dieses Sesshins über Meister Deshimaru sprechen könnte,
schließlich wäre es der 50. Jahrestag seiner Ankunft in Europa. Während 15 Jahren war er ein
hervorragendes Beispiel für uns. Er kam zu allen Zazen, selbst wenn er müde war, selbst als er
gegen Ende krank war. Sein Leben war Zazen geworden und Zazen, sein Leben. Er gab es durch
sein Beispiel weiter, durch die Energie, mit der er es praktizierte.
Bevor er nach Europa kam, hatten Intellektuelle die Bücher von Professor Suzuki gelesen, in denen
er von Zazen sprach. Aber Meister Deshimaru hat es uns von Anfang an gezeigt, mit seinem
eigenen Körper. Er hat kein Tempel-Zen unterwiesen. Er selbst hatte während Sesshins mit Kodo
Sawaki Zazen praktiziert. Er war zu keinem Zeitpunkt ein Tempel-Mönch gewesen. Bis er nach
Europa kam, hatte er gearbeitet und Kinder aufgezogen. Er hat unser Leben geteilt. Natürlich hat er
Regeln für das Dojo aufgestellt. Nach und nach hat er Zeremonien eingeführt und uns aufgefordert,
uns während der Zeremonien zu konzentrieren. Aber wenn wir zu konzentriert waren, machte er
den Clown. Er unterwies immer den Weg der Mitte. Er respektierte die Tradition. Zugleich schuf er
neue Formen, die an die europäische Kultur angepasst waren. Er hat die wichtigen und wesentlichen
Texte des Zen kommentiert und übersetzt. Und seine Kommentare waren immer auf die Praxis
bezogen. Nie handelte es sich um Spekulationen.
Er sagte, dass er nicht gekommen sei, um Europa eine neue Religion zu bringen, das Soto-Zen,
sondern die Praxis von Zazen, die es jedem ermöglicht, an die Quelle des religiösen Geistes
zurückzukehren, zum wirklichen religiösen Geist, der nicht in den Ritualen und Zeremonien wohnt,
sondern in der Fähigkeit, sich in der Einheit mit allen Wesen zu fühlen, und sie von da her zu
respektieren, zu lieben und ihnen zu helfen.
Als großer Bodhisattva, der er war, hatte er ein tiefes Vertrauen darin, dass Zazen helfen könnte, die
gegenwärtige Krise unserer Zivilisation zu lösen. Er konzentrierte sich nicht nur auf die Praxis im
Dojo, er traf gerne mit den einflussreichen Menschen der Gesellschaft zusammen. Er wünschte,
dass sie Zazen praktizieren.
Er war ein großer Erwecker. Er kritisierte die Irrtümer. Nicht nur die Irrtümer seiner Schüler,
sondern auch die Irrtümer der Gesellschaft: den Materialismus, den Nicht-Respekt vor der Natur. Er
war sehr ökologisch, bevor man viel von Ökologie sprach. Er sagte: „Ihr müsst Angst haben. Angst,
die Natur zu schädigen, Verschmutzungen zu schaffen.“
Er kritisierte auch das japanische Zen, das sich lediglich auf Totenzeremonien konzentrierte und
überhaupt nicht auf Zazen.
Selbst wenn er ein großer Meister war, blieb er seinen Schülern und Schülerinnen nah. Er zögerte
nicht, mit uns zu trinken. Selbst wenn er wegen der Irrtümer der Menschen manchmal traurig war,
zeigte er ganz ganz oft eine große Lebensfreude.
Mondo
Das Kusen hat mich sehr berührt. Ich habe vor, in ca. 4 Wochen auf den Gendronnière zu gehen,
um dort ein Jahr zu leben. In der Zeit, in der ich hier bin, wird mir bewusst, dass mein eigentliches
Ziel ist, den Weg jeden Tag in meinem Alltag zu realisieren, ich aber dafür Hilfe benötige.
Wie kannst du mir helfen, jeden Tag den Weg zu realisieren?
Du musst alle Phänomene, denen du begegnest, als Gelegenheiten ansehen, den Weg zu
praktizieren, selbst wenn es Phänomene sind, die dich stören. Beobachte, wie du bezogen auf diese
Phänomene reagierst. ob du mit Anhaftung, ob du mit Wut reagierst.
Im Alltag ist es wichtig, sich völlig bewusst zu sein, was in unseren Beziehungen, in unserer
Umgebung geschieht. Dafür bedarf es einer starken Zazen-Praxis. sodass der Geist meist wie ein
Spiegel funktioniert und man nicht so sehr andere als Spiegel braucht, dass man den Spiegel in sich
selbst trägt. Aber wenn du in Schwierigkeiten gerätst, die du selbst nicht lösen kannst, solltest du
nicht zögern, mich zu befragen. Wenn man einem Meister folgt, sollte man, nicht zögern, ihn
anzusprechen. Aber man sollte sich soweit wie möglich bemühen, seine Zweifel und
Schwierigkeiten selbst zu lösen.
Als ich mit Meister Deshimaru zusammen war, hat er mich manchmal angerufen und gesagt, er
wollte mich sehen. Ich wohnte nicht weit weg und während ich zu ihm ging, habe ich mir überlegt:
‘Das ist vielleicht eine Frage, die ich ihm stellen könnte.’ Ich hatte immer Fragen. Aber meistens
war es so, das die Frage verschwunden war, wenn ich bei ihm ankam. Einfach durch seine
Gegenwart schien mir die Frage entweder nicht mehr wichtig oder sie war dadurch gelöst, dass ich
sie losgelassen hatte. Oder ich habe mir vorgestellt, was er mir sagen würde. Also brauchte ich ihm
die Frage nicht mehr zu stellen. Aber manchmal habe ich ihm dann doch Fragen gestellt, ganz
besonders am Anfang, da habe ich oft gefragt.
Seit elf Jahren komme ich und praktiziere mit dir und der Sangha. Ich habe das Gefühl, ich
erwache, um wieder zu schlafen.
Heißt das, du wachst manchmal auf und schläfst sofort wieder ein?
Nein, das heißt, dass mich das Zen sehr berührt, mich sensibilisiert und es auch ein Erwachen gibt,
ich aber, wenn ich wieder auf mich selbst gestellt bin, mit großer Energie in meine Bonnos gehe.
Ich merke mehr und mehr, dass ich meine Zeit vergeude. Es ist so, als ob ich weit hinaus schwimme
und immer darauf vertraue, dass ich die Kraft habe, zurückzukommen. Aber letztendlich weiß ich es
nicht. Deswegen habe ich Angst.
Manchmal kann man sich tatsächlich in seinen Bonnos verlieren. Also sollte man aufpassen, dass
man nicht in seine Bonnos eintritt. Man sollte nicht zu sehr darauf vertrauen, dass man da wieder
herauskommt. – Meister Deshimaru sagt immer: „Der wirklich Weise nähert sich nicht der Gefahr.“
Im Leben ist es auch wichtig, die Bonnos zu erleben, zu erleben, wie sehr sie Leiden verursachen,
denn sonst sieht man überhaupt nicht ein, warum man sie aufgeben sollte. Indem man sie wirklich
lebt, versteht man wirklich, dass Bonnos Leiden sind. Aber zu oft ist man mit sich selbst zu sehr
zufrieden. Selbst wenn man weiß, dass die Bonnos Leiden sind, sagt man sich oft, dass sie trotzdem
ganz gut sind, und bemüht sich nicht zu sehr, sie zu vermeiden. Da sind beide Aspekte.
Ich glaube mit der Erfahrung und auch mit dem Alter – ich glaube, das ist im Augenblick bei dir der
Fall – sieht man, dass man bereits zu viel Zeit verloren hat. Dann sollte man die Bonnos vermeiden,
statt sich zu verausgaben, um wieder zurück zum Ufer zu schwimmen.
Es ist gut, eine Erfahrung wie ein Retreat auf der Gendronnière für ein Jahr zu machen, das erlaubt
dir, dich völlig auf den Weg zu konzentrieren, rund um die Uhr, aber das heißt nicht, das nicht auch
dort Bonnos auftauchen können. Aber weil die Praxis des Gyoji sehr stark ist, ist es einfacher, sie zu
vermeiden, einen klaren Spiegelgeist zu haben und auch einen starken Willen zu entwickeln, die
Bonnos fallen zu lassen. Also einen guten Aufenthalt auf der Gendronnière!
Es ist auch eine große Hilfe für die Gendronnière. Wenn auch andere hingehen wollen, zögert nicht!
Auch wenn ihr nur eine Woche, einen Monat da hingeht, oder auch jetzt bald ins Sommerlager.
Ich fand es sehr schön, von dir über Meister Deshimaru zu hören. Eins hat mich überrascht: Du
hast gesagt, er hätte kritisiert. Das finde ich interessant, das ist e seit langem in spannendes Thema.
In der Ordination machen wir die Aussage, nicht zu kritisieren. Wie geht diese Gratwanderung,
Dinge zu äußern, die vielleicht mehr Leid verursachen, und trotzdem den anderen damit nicht
bloßzustellen?
Meister Deshimaru kritisierte, um zu erziehen. Das geschah immer aus der Haltung großen
Mitgefühls heraus. Er half uns, unserer Irrtümer bewusst zu werden. Seine Kritik war nie
herabwürdigend.
Ich glaube, dass es, wenn man vom Gebot des Nichtkritisierens spricht, darum geht, sich nicht dem
anderen als überlegen zu zeigen. Andere abzuwerten ist nicht gut. Man muss alle respektieren. Man
darf nicht die Menschen kritisieren, man muss ihre Irrtümer kritisieren. Und immer mit Mitgefühl.
nie mit Wut. Und soweit wie möglich, dem anderen gegenüber.
Meister Deshimaru kritisierte auch oft Leute, die nicht da waren, aber dabei ging es ihm darum, uns
zu lehren. Wenn er jemanden kritisierte, der einen Fehler begangen hatte, dachte jeder, der das
hörte, darüber nach: ‘Oh, ich mache den gleichen Fehler.’ – Die Kritik, die auf jemand anderes
bezogen war, berührte uns selbst.
Manchmal wollte er jemanden nicht direkt kritisieren, also kritisierte er jemanden anderes. Aber die
Kritik betraf uns selbst, ganz direkt. Wir haben uns dann gesagt: ‘Er spricht von jemand anderem,
aber eigentlich meint er mich.’
Zu dem Zeitpunkt, als der Terroranschlag in Nizza passierte, war ich in einem Soto-Zen-Kloster.
Der Meister berichtete von dem Anschlag und sagte: „Da nützt nur noch beten.“ Ich konnte diese
Vorstellung von Beten nicht in das Zen einordnen
Gibt es im Zen-Buddhismus einen metaphysischen Urgrund für das Beten?
Ja, den gibt es. Es bedeutet, dass alle Wesen in Wechselwirkung miteinander stehen, auch in
Wechselbeziehung bezogen auf den Geist. Es gibt eine Wechselbeziehung auf der unsichtbaren
Ebene, auf der ebene des Geistes. Der Geist kommuniziert. Einfach durch das Denken. Das ist der
Grund, weshalb man Kitos macht. Kito ist eine Form von Gebet. Man betet, dass die Menschen von
ihrer Krankheit heilen.
Dann kann man natürlich fragen: „Zu wem betet man?“ Im Kito verwendet man den Satz: „Maka
Hannya Haramita“. Man betet zur Großen Weisheit. „Dai Maka Hannya Haramita“ schreit man
während des Kitos. Man betet, dass die Große Weisheit, die in der Tiefe jedes Wesens existiert,
jedem hilft, aus seinen Irrtümern zu erwachen und von seinen Krankheiten zu genesen.
Kitos habe sehr oft einen positiven Einfluss, auch auf der Energieebene, z.B. bei Menschen, die
krank sind. Die Grundlage dafür zu erfassen, ist sehr schwierig. Aber ich glaube, dass die Energie,
mit der man für eine Person betet, einen Einfluss hat.
In den Vereinigten Staaten wurde eine Untersuchung bezüglich der Gebete durchgeführt. Zwei
Gruppen von Menschen hatten ungefähr die gleichen Krankheiten. Für eine Gruppe wurde gebetet,
für die andere nicht. Die Menschen, für die gebetet wurde, wussten nicht, dass für sie gebetet
wurde. Von dieser Gruppe sind viel mehr geheilt, als von der anderen Gruppe, für die nicht gebetet
wurde. Das war völlig unabhängig von dem, was gebetet wurden und was als metaphysische
Grundlage diente. Tausend Menschen haben für diese Gruppe gebetet. Die Energie der Gebete hat
positive Auswirkungen erzeugt.
Man kann nicht alles rational erklären. Wichtig ist, in der Erfahrung zu erleben, was geschieht. Das
ist wie Wunder. Das sind Dinge, die man nicht erklären kann. Deswegen sagt man, es seien
Wunder. Das geschieht. Und wenn es geschieht, muss man es glauben.
Samstag, 27.05.17, 1. Zazen
„Was seid ihr gekommen hier zu suchen?“ – Auf diese Frage antworteten Mönche häufig, wenn sie
zu einem Kloster kamen: „Ich suche Buddha.“, „Ich möchte Buddha finden,“ Sehr oft hatten sie
lange Pilgerreisen unternommen, bis sie auf der Suche nach Buddha im Kloster ankamen. Vielleicht
gilt das auch für euch. Andere suchen, Gott zu begegnen.
In der Tiefe suchen wir alle das, was uns übersteigt. Wir fühlen uns in uns selbst gefangen. Daher
suchen wir das, was jenseits unseres kleine Egos ist. Manchmal nennt man es Gott, manchmal
Buddha. Weil unsere Anhaftung an unser kleines Ego viel Leid bei uns verursacht, suchen wir
Buddha außen, außerhalb unserer selbst. Oder das Himmelreich nach dem Tod, das Nirvana nach
dem Tod, das Buddha Land, in dem man hofft wieder geboren zu werden. Wir suchen das, was
jenseits unseres Egos, jenseits unserer Selbst ist.
Aber auf diese Frage antwortet der wirkliche Meister: „Hör auf, herum zu irren. Du bist Buddha.“,
„Das Himmelreich liegt in deinem eigenen Körper.“, „Hör auf, außen zu suchen.“ Es ist der Sinn
des Sesshins, die Vertrautheit mit unserem Geist wiederzufinden, der Buddha ist, der erwacht ist. So
ist dies zu einer traditionellen Zen Unterweisung geworden. Es war insbesondere die Unterweisung
von Meister Basso, ze butsu, der Geist selbst ist Buddha.
Es gibt Menschen, die glauben, in uns existiere ein ewiger Geist, der Buddha ist, identisch bleibt
und wieder geboren wird. Wenn der Körper stirbt, glauben sie, dass dieser Geist, der Buddha ist,
identisch bleibt und woanders wieder geboren wird. Man macht aus dem Geist, der Buddha ist, ein
unabhängiges Etwas. Wie den Atman der Inder.
Buddha hat diese Täuschung unablässig zurück gewiesen. Alle Phänomene, auch der Geist, sind
ohne Substanz, existieren nicht aus sich selbst heraus, sondern nur in Wechselbeziehung zu den
anderen Phänomenen.
Ein anderer Irrtum besteht darin zu glauben, dass, weil unser Geist Buddha ist, es nicht erforderlich
ist zu praktizieren. Viele Gurus unterweisen das: „Ihr seid erwacht, nicht erforderlich zu
praktizieren, nicht nötig das Erwachen zu suchen.“ Sie machen glauben, dass unser gewöhnlicher
Geist, der ständig unterscheidet und sich an alles Mögliche heftet, erwacht ist.
Meister Dogen bezeichnete dies als die naturalistische Täuschung. Sie ist heute sehr verbreitet. Es
ist eine verführerische, aber falsche Theorie. Der wirkliche Geist der Buddha ist der Geist, der das
Erwachen anstrebt, der sich in der Praxis engagiert und der im Praktizieren das Erwachen realisiert.
Aber dieses Erwachen wird nur realisiert, wenn man auf rechte Weise praktiziert. Das heißt, ohne
etwas zu suchen oder irgendetwas zu erwarten. Wenn die Funktionsweise des dualistischen Geistes
aufhört, wenn der Geist sich an keinerlei Objekt mehr klammert, wenn der Geist sich für unsere
wirkliche Einheit mit dem ganzen Universum öffnet, wenn er sich mit der wirklichen Natur der
Existenz harmonisiert. Es ist dieser Geist, der nicht unterscheidet, der wirklich der Weg ist. Es ist
der Geist, dem wir während eines Sesshins begegnen können, in der Praxis.
Samstag, 27.05.17, 2. Zazen
Während dieses Sesshins können wir tiefe Freude empfinden darüber, dass wir uns
zusammengefunden haben, um den Weg zu teilen, der uns von den Grenzen unseres kleinen Egos
befreit, der uns von unseren Anhaftungen befreit, die Ursachen von Leid sind, und der uns zur
wirklichen Dimension unseres Lebens erweckt. Das ist das wichtigste in unserem Leben.
Selbst wenn wir in der Existenz alle möglichen Erfolge gehabt haben, selbst wenn wir das besitzen,
was wir uns zu besitzen wünschen, realisieren wir, dass das nicht das wirkliche Glück ist, dass
unser wirkliches Glück nicht von unserem Erfolg oder Besitz abhängt. Der wirkliche Erfolg eines
Lebens besteht darin, den Weg zu realisieren und zur höchsten Dimension unserer Existenz zu
erwachen. Wenn man das erfährt, wenn man in Zazen sitzt, empfindet man die gleiche Freude wie
jemand, der über viele Jahre hinweg auf verschiedenen Wegen herumgeirrt ist und sich dann
schließlich wirklich zuhause findet, dort wo er wirklich er selbst sein kann, dort, wo man nicht
vieler Dinge bedarf, um wirklich glücklich zu sein. Einfach nur das Wesentliche realisieren und
diese Verwirklichung mit den anderen teilen.
Es gibt kein wirkliches Erwachen alleine. Denn Erwachen bedeutet, unsere Existenz in Einheit mit
allen Wesen zu realisieren. Auch wenn man nur selbst praktizieren kann, erweckt uns die Praxis zu
dem Leben, das völlig mit dem Leben aller anderen verbunden ist. Das Erwachen muss geteilt
werden, um ein wirkliches Erwachen zu sein. Es ist wie mit Freude: Freude dehnt sich aus. Wenn
man voller Freude ist, möchte man alle anderen umarmen.
Im Dojo begnügen wir uns damit, Gassho zu machen. Aber in Gassho werden wir völlig eins mit
dem anderen.
Man unterweist immer, dass alle Wesen die Buddha-Natur haben. Gemeinsam ein Sesshin
praktizieren bedeutet, das aus der Tief seines Körpers und Geistes zu realisieren. Das ist kein
Glaube oder kein Dogma mehr, sondern eine wirkliche Verwirklichung. Diese Verwirklichung
nennt man Bodaishin, den Geist des Erwachens, der die Bodhisattvas beseelt, der sie dahin treibt,
die vier Großen Gelübde abzulegen, nicht als eine Verpflichtung, als etwas, das man verwirklichen
muss, sondern als natürlichen Ausdruck unserer Praxis.
Manchmal sagt man, dass die Bodhisattvas auf das eigene Erwachen verzichten und in der Welt des
Samsara, der Welt des Leidens bleiben, um den anderen zu helfen. Aber den Weg mit und für die
anderen zu praktizieren ist die Verwirklichung des Erwachens. Da gibt es keinerlei Opfer. Es ist
ganz im Gegenteil die wirkliche Verwirklichung des lebendigen Nirvanas, die wirkliche
Verwirklichung des Himmelreichs auf dieser Erde, die zur Erde Buddhas wird, wenn man auf diese
Weise praktiziert, wie an diesem Ort, hier und jetzt.
Samstag, 27.05.17 3. Zazen
Mondo
Ich habe eine Frage zur rechten Rede, und zwar zum den Umgang mit Sarkasmus. Ich möchte ein
Beispiel nennen: Ich habe dieses Gesicht, und ich habe einen Bart. Dieses Gesicht und dieser Bart
ist eine Garantie, dass ich in eine Polizeikontrolle komme. In meinem Alltag werde ich eigentlich
nahezu täglich auf meine Mitgliedschaft im islamischen Staat angesprochen. Im Alltag ist das o.k,
damit kann ich umgehen. Mich wundert allerdings, wenn ich in die Sangha komme, mit
Weggefährten zusammenlebe, und ich ebenfalls auf meine Mitgliedschaft im islamischen Staat
angesprochen werde.
(Lachen)
(Roland zeigt auf ein Sangha-Mitglied) Du hast auch einen Bart. Fragt man dich auch, ob du dem IS
angehörst?
Nein.
Mir geht es um rechte Rede und Sarkasmus: Ich spiegele das den Leuten auch: Wenn mich jemand
aus der Sangha fragt: „Gehörst du dem islamischen Staat an?“, sage ich zum Beispiel, wenn ich
keine Lust mehr darauf habe: „Du denkst, ich vergewaltige Frauen, bringe Kinder um?“ – „Nein,
das hbe ich nie gedacht.“ Mir geht es um dieses Wechselspiel. Wenn wir auf dem Weg sind, wenn
ich über Sarkasmus nachdenke, wann fängt es an, wann sollte man aufhören, wenn man andere
Leute damit verletzt?
Wenn man mit jemand anderes spricht, muss man sich immer an die Stelle dieser Person versetzen
und auf jeden Fall verletzende Worte vermeiden.
Ich bin sehr erstaunt, dass Mitglieder der Sangha so mit Dir sprechen. Mir ist diese Idee überhaupt
nicht gekommen. Ich finde das eine bizarre Idee für die Sangha. Das beweist, bis zu welchem Punkt
die Menschen im Augenblick in Angst leben. Es gibt viele Ereignisse, die in der Welt passieren,
und das stört den Geist.
Ich glaube, dass Menschen, die Zazen praktizieren, einen ruhigeren Geist haben sollen und nicht
ausgehend von geistigen Projektionen sprechen sollten. Wenn ich einem Islamisten begegne,
verachte ich ihn nicht und kritisiere ihn auch nicht. Ich möchte einfach verstehen, warum er Islamist
geworden ist. Es ist ein für mich völlig fremdes Phänomen, in einen solchen Zustand zu kommen.
Ich glaube gar nicht, dass es sich da um Sarkasmus handelt. Es ist einfach ein unangebrachtes
Reden, das damit verknüpft ist, dass es den Menschen an Empathie fehlt. Wenn man mit jemandem
spricht, muss man sich immer an die Stelle des anderen begeben und sehen, welche Auswirkungen
die eigenen Worten haben werden. Das ist eine Grundlage unserer Praxis.
Wenn man mit dir so spricht, kannst du es spiegeln und fragen: „Was geschieht eigentlich in
deinem Kopf, dass du so mit mir sprichst?§ Das gibt den Menschen die Möglichkeit nachzudenken.
Also jetzt wisst ihr alle: Er ist kein Islamist.
Ich bin Grundschullehrerin. Das heißt, ich unterrichte Kinder von 6 – 10 Jahren. Seit einigen
Jahren stellen meine Kolleginnen, dass, weil Schule immer ein Spiegel unserer gesellschaftlichen
Veränderungen ist, sowohl die Kinder, wie auch die Erwachsenen, die Eltern in diesem Fall, immer
größere Defizite im sozialen Umgang miteinander haben.
Was heißt das?
Im Schulalltag habe ich als Lehrerin sehr viel mit Respektlosigkeit und Grenzüberschreitungen im
Verhalten zu tun, das geht bis hin zu Beleidigungen. Ich möchte meine Aufgabe als Lehrerin
natürlich mit dem Bodhisattva-Geist leben, aber ich spüre, dass mein Reservoir an Gleichmut und
Mitgefühl immer häufiger an seine Grenzen kommt. Und ich verzweifle manchmal darüber. Wie
kann ich mich spirituell im Alltag auftanken?
Du musst versuchen zu verstehen, was da abläuft. Wenn ihr mehrere Kolleginnen seid, die das
Gleiche feststellen, dann müsst ihr ein Treffen mit den Eltern der Kinder machen, denen sagen:
„Das stellen wir fest.“ und ein Erziehungsprojekt für diese Kinder aufstellen, damit Eltern und
Lehrerinnen darin übereinstimmen, dass sie diese Verhaltensweisen korrigieren. Das scheint mir
sehr wichtig zu sein, wirklich sehr wichtig für die Zukunft der Gesellschaft.
Normalerweise sind die Lehrenden da, um zu lehren, und die Eltern, um zu erziehen. Bei den
Kleinen ist das so. Aber die Erziehung ist zum Problem geworden. Sie ist inzwischen wichtiger als
der Unterricht. Ich unterstelle, dass ihr Lehrerkonferenzen habt und auch Treffen mit den Eltern.
Sprecht ihr da nie über diese Probleme?
Das ist nicht das Problem. Das ist nicht der Inhalt meiner Frage. Ich fühle, dass mein Bodhisattva-
Geist wie eine Pflanze ist, die zwischen Pflastersteinen blühen muss. Ich brauche spirituelles
Wasser.
Das spirituelle Wasser ist in der Praxis von Zazen und auch das Verstehen, dass, wenn die Leute
sich falsch verhalten, dies das Ergebnis von bestimmten Ursachen und Bedingungen ist. Aufgabe
der Bodhisattvas ist es, das zu verstehen, um zu helfen, diese Probleme zu lösen. Deswegen habe
ich von den Versammlungen gesprochen.
Ich glaube nicht, dass die Menschen schlecht sind. Aber sie sind in einem schlechten Umfeld, also
muss man an diesen Bedingungen arbeiten. Und weil es sich um ein soziales Problem handelt,
beinhaltet das den Dialog mit verschiedenen Seiten.
Du solltest sehen, dass diese Vorkommnisse eine Gelegenheit zu praktizieren sind und kein
Hindernis für die Praxis.
Ich war sehr beeindruckt von der Unterweisung Vimalakirtis. Er sagte: „Wenn ein Bodhisattva von
jemand anderem schlecht behandelt wird, sollte er denjenigen, der ihn schlecht behandelt als großen
Bodhisattva ansehen, der ihn erzieht, der ihn dazu treibt, seine Praxis zu vertiefen, insbesondere die
Praxis der Geduld.“ Auch die Weisheit, um zu verstehen, was da geschieht, und um Mittel zu
finden, das Problem zu lösen.
Bodhisattva zu sein bedeutet, die richtige Weise zu finden, sich diesen Problemen zu stellen.
Würden wir in einer vollkommenen Welt leben, wo es derartige Probleme nicht gäbe, bedürfte es
der Bodhisattva-Gelübde nicht. Weil wir in einer Welt des Leidens leben, das durch die
Täuschungen und Irrtümer der Menschen hervorgerufen wird, müssen wir gegen die Bonnos
arbeiten, gegen die Leid schaffenden Ursachen, und Heilmittel gegen sie finden. In uns selbst, aber
auch für die anderen.
Alles ist eine Frage des Geistes. Erzieherinnen wie du haben eine ganz grundlegende Rolle, um den
Geist zu ändern, besonders bei Kindern. Statt also zu zweifeln, ist es gut zu sagen: „Das ist eine
gute Gelegenheit, meine Gelübde in die Praxis umzusetzen.“ – Ich weiß, dass das schwierig ist.
Aber ich glaube, dass es der einzig mögliche Weg ist. Das ist ein sehr positiver Weg.
Morgen werden wieder Ordinationen stattfinden. Ich überlege mir, ob ich mich nächstes Jahr
vielleicht auch ordinieren lasse. Was macht einen guten oder einen ernsthaften Bodhisattva aus?
Ein Bodhisattva ist ein Wesen das zunächst einmal völliges Vertrauen in die Zazen-Praxis hat und
das die vier Gelübde der Bodhisattvas ausgehend von seiner Zazen-Praxis zum Ausdruck bringt, als
den Sinn, den sie oder er dem Leben geben möchte. Dafür empfängt man während der Ordination
die Hilfe der Gebote, die Hinweise auf ein richtiges Verhalten sind. Also musst du diese Gebote
studieren und überlegen, ob du mit ihnen übereinstimmst, zumindest ob du sie als Leitlinien für
dein Leben akzeptieren möchtest, selbst wenn die Gelübde und die Bodhisattva-Gebote als sehr
ideal erscheinen und du nicht glaubst, auf der Höhe dieses Ideals zu sein.
Sehr oft sagen Menschen, insbesondere sehr ehrliche, ernsthafte Menschen, dass diese Gelübde viel
zu hoch seien und sie das nicht praktizieren könnten. Aber man muss wissen, dass man, wenn man
um die Bodhisattva-Ordination bittet, zeigt, dass man Vertrauen in diesen Weg hat. Man muss keine
vollkommene Bodhisattva sein, um um die Bodhisattva-Ordination zu bitten. Es genügt zu wissen,
dass das die Richtung ist, in der man leben möchte.
Das sind Werte, die uns ansprechen, unser Leben inspirieren und ihm einen tiefen Sinn geben.
Selbst wenn man schlechtes Karma hat, unter schlechten Einflüssen steht, in Schwierigkeiten ist.
Man muss einfach den festen Entschluss haben, auf dem Weg voranschreiten zu wollen, und
Vertrauen haben, dass Zazen uns helfen wird.
Der zweite Aspekt ist, dass die Bodhisattva den anderen zugewandt ist. Sie ist von Bodaishin
belebt, von dem Gefühl, das sie in der Praxis entdeckt hat, den Wunsch, als Bodhisattva allen
Wesen zu helfen, ihre Leiden zu lösen. Man selbst ist recht schwach, um den anderen zu helfen,
ihre Leiden zu lösen. Aber die Praxis von Zazen ist sehr kraftvoll, um den anderen zu helfen. Denn
sie bringt jeden in Kontakt mit seiner eigenen Buddha-Natur.
Eines der grundlegenden Gelübde der Bodhisattvas ist es also, andere zu ermutigen, Zazen zu
praktizieren, und die Praxis der anderen durch das eigene Beispiel zu stimulieren, das heißt im Dojo
sehr aktiv und gegenwärtig sein, der Funktionsweise des Dojos und der Praxis zu helfen.
Meine Frage betrifft die Zazen-Praxis und die Phänomene, denen man während Zazen begegnen
kann. Ich habe bei mir eine Tendenz zu kommentieren und zu bewerten festgestellt. Wenn ich zum
Beispiel in eine tiefe Konzentration komme, sage ich mir: „Oh, das ist wirklich gut.“ Die positive
Erfahrung, die ich habe, wird auf diese Weise ein Hindernis. Ich habe den Eindruck, dass es mir
schwerfällt, während Zazen mushotoku zu sein. Hast Du da Ratschläge?
Diese Bewertungen sind typische Funktionsweisen unseres Geistes, der unterscheidet und beurteilt.
Es ist also natürlich, dass das auftaucht. Man darf sich nur nicht daran klammern. All das ist Teil
der unbeständigen, substanzlosen Phänomene. Unsere Praxis besteht darin, sich nicht daran zu
klammern, diesen Phänomenen nicht zu erlauben, sich weiterzuentwickeln. Wenn du denkst: ‘Ah,
meine Praxis ist jetzt gut. Das ist bestimmt das Satori.’ Einfach nur lächeln und vorbeiziehen lassen,
sich nicht an das klammern. Das nicht zu ernst nehmen, das nicht als wahr annehmen: ‘Das ist eine
Täuschung von vielen.’ Das ist also einfach eine Gelegenheit dir dessen bewusst zu werden, was
gerade in dir los ist.
Wenn du aber diese Art von Urteilen ernst nimmst und dich an sie klammerst, dann musst du dir
sagen: ‘Das ist ein Irrtum.’
Es ist natürlich, diese Art von Gedanken zu haben. Das ist genauso natürlich, wie zu denken: ‘Das
Zazen heute ist viel zu lange. Wann hört der endlich auf?’ – Das ist Teil der natürlichen Gedanken,
die auftauchen. Unsere Praxis besteht nicht darin, gute Gedanken zu haben, sondern darin, sich
nicht an die Gedanken zu klammern, ob sie jetzt gut oder schlecht sind: Alles vorüber ziehen zu
lassen.
Ich habe eine Frage zu den drei Giften. Mir erscheint leicht verständlich, dass Gier und Hass
störend ist für den Frieden des Geistes. Aber die Unwissenheit zu verstehen fällt mir schwer, denn
Allwissenheit gibt es nicht.
Unwissenheit ist nicht das Gegenteil von Allwissenheit. Allwissenheit ist die Qualität eines
vollkommenen Buddhas. Das hat nichts mit dem Erwachen zu tun, das wir in Zazen verwirklichen.
Die Geschichte von einem vollkommenen Buddha ist etwas mystisch. Das ist ein Wesen, das
wirklich vollkommen in Einheit mit allen Wesen des Universums ist. Es ist also das Universum
selbst geworden. Und selbstverständlich hat es dann diese Allwissenheit über das, was im
Universum geschieht, weil es identisch mit dem ganzen Universum ist.
Man sollte diese Allwissenheit nicht als eine Entwicklung der Weisheit ansehen. Das ist ein etwas
metaphysisches Phänomen.
Die Weisheit, die von Zazen erzeugt wird, heilt uns von der Unwissenheit, nicht die Leerheit
unserer geistigen Fabrikation zu sehen. Unwissenheit bedeutet, diese Leerheit nicht zu sehen,
insbesondere die Leerheit unserer geistigen Konstrukte, die das Ego ausmachen.
Deshalb ist Unwissenheit die Ursache von Gier und Hass. Wir haben immer den Eindruck, dass uns
etwas fehlt. Also entwickelt man alle möglichen Arten von Wünschen, um diesen Mangel
auszugleichen. Aber das funktioniert nicht. Man wird immer von irgendetwas gestört, und man
hasst das, was unseren gierigen Wunsch stört, was verhindert, dass das eintritt, von dem wir
glauben, dass es uns ergänzt.
Meister Deshimaru sagte oft: „Unwissenheit ist sich nicht selbst verstehen.“
Aber als Bodhidharma vom Kaiser gefragt wurde: „Wer bist Du?“, hat er geantwortet: „Das weiß
ich nicht.“ „Fushiki.“ – Das scheint paradox, war aber ganz im Gegenteil der Ausdruck des großen
Erwachens Bodhidharmas, zu realisieren, dass unser Ego letztlich nicht fassbar ist, weil es ohne
Substanz ist. Es ist nicht etwas. Es ist nur das Ergebnis der Wechselbeziehung des ganzen
Universums. Also kann man sich selbst letztlich nicht kennen. Aber dieses Nicht-Wissen zu
akzeptieren, dieses Verstehen ‘Ich bin nicht etwas.’, ‘Dieses Ich kann ich nicht erfassen.’, ist
wirkliche Weisheit.
Verstehst du? – Wenn du das verstehst, bist du nicht zu unwissend.
Meine Frage ist ein bisschen philosophischer Natur. Im Hannya Shingyo heißt es: „Shiki fu i ku.
Ku fu i Shiki. – Die Erscheinungen, das, was da ist, werden zu Ku und aus dem, was verschwunden
ist, werden wieder Erscheinungen. Für mich ist das der Zugang zum Kreislauf des Lebens. Mir geht
es um die Natur von Ku. Was ist Ku? Könnte das einfach Erdsubstrat oder der Sternenstaub sein?
Ku ist die Wechselbeziehung. Weil kein Phänomen eine Existenz in sich selbst hat, sind alle
Phänomene leer. Das heißt nicht, die Phänomene existieren nicht. Aber sie existieren nicht aus sich
selbst heraus. Sie sind also frei von einer Eigennatur oder einer autonomen Existenz. Das heißt, dass
die Phänomene nie von der Leerheit getrennt sind. Denn die Leerheit von eigener Substanz ist die
Natur der Phänomene. Also ist jedes Phänomen Ku. Phänomene werden nicht Ku, sie sind Ku in
ihrer Essenz. Alle Phänomene sind unbeständig, daher werden sie ständig etwas anderes, in
Abhängigkeit von verschiedenen Einflussfaktoren. Das Klima zum Beispiel, ändert sich unablässig,
weil es viele Faktoren gibt, die es beeinflussen.
Also ist das Verständnis als Kreislauf nicht richtig? Dass etwas für eine Zeitlang lebt und daraus
später wieder entsteht, dass Ku sich wiederholt.
Aber das geschieht von einem Augenblick zum nächsten Augenblick. Die Menschen sind zum
Beispiel geboren, deswegen sterben sie auch wieder, glücklicherweise. Alles, was geboren wird,
muss sterben. Ganz einfach, weil die Geburt von bestimmten Faktoren bedingt ist. Wenn die
Faktoren, die das Leben hervorrufen, nicht mehr funktionieren, dann endet das Leben. Es ist die
Eigenart des Lebens, dass es sich permanent verändert.
Dogen sah es so, dass die Unbeständigkeit die Buddha-Natur ist. Alle Wesen, einschließlich der
Berge, der Flüsse, der Sterne, alle Wesen sind Buddha-Natur, weil sie alle in diesen
Wechselbeziehungen existieren.
Sie sind alle Ku, aber zur gleichen Zeit auch Shiki. Ku und Shiki sind wie Vorder- und Rückseite.
Es ist eine Frage, wie du dir das anschaust. Du kannst es von der einen Seite betrachten und sagen:
„Dieser Körper hier ist Ku, denn er ist unbeständig, er hängt von allem möglichen ab. Ich kann
morgen sterben oder sogar im nächsten Augenblick. Nichts, was diesen Körper ausmacht, diese
Haut, diese Fleisch, diese Knochen gehören mir nicht. Das ist Sternenstaub.“ – In diesem Sinne ist
es Ku.
Aber wenn man die andere Seite betrachtet: Dieser Körper existiert.
Aber die Natur seiner Existenz ist Ku zu sein. Ku ist nicht das Gegenteil von Existenz. Ku ist das
Gegenteil einer autonomen, permanenten Existenz. Anders gesagt ist es die Leerheit unserer
Täuschung, dass Dinge und Wesen aus sich selbst heraus existieren.
Man muss aufpassen, dass man sich nicht zu sehr an Ku, an die Leerheit, klammert. Nagarjuna hat
diese Herangehensweise an Ku und Shiki sehr weit entwickelt. Er sagt: „Alle Buddhas haben die
Leerheit unterwiesen. Aber wenn ihr euch an die Leerheit klammert, seid ihr verloren. Denn die
Leerheit ist ein Heilmittel gegen die Anhaftung. Doch wenn ihr euch an die Leerheit klammert,
dann funktioniert das Heilmittel nicht mehr. Dann ist das Heilmittel etwas Substanzielles geworden,
an das ihr euch klammert. Dann ruft es das Gegenteil hervor.“
Deshalb unterwies Buddha immer den Weg der Mitte. Das heißt: Alle Phänomene stehen in
Wechselbeziehung und die Leerheit existiert nicht ohne die Phänomene und umgekehrt auch nicht
die Phänomene ohne die Leerheit. Das sind einfach zwei Sichtweisen auf die gleiche Wirklichkeit.
Sonntag, 28.05.17 1. Zazen
Zu Beginn eines jeden Zazen konzentriert man sich immer wieder bewusst auf die Praxis. Man
erinnert sich an die wichtigen Punkte der Haltung. Man konzentriert sich darauf, sie zu praktizieren.
Man neigt gut das Becken nach vorne, drückt gut mit den Knien in den Boden, streckt sanft
Wirbelsäule und Nacken, entspannt gut die Schultern und auch den Bauch. Man atmet ruhig durch
die Nase ein und aus. Man folgt der Bewegung der Atmung, aber nicht der Bewegung seiner
Gedanken. Seiner Gedanken wird man sich einen Augenblick lang bewusst und lässt sie vorüber
ziehen. Das ist die richtige Weise Zazen zu praktizieren und man strengt sich an, dieser richtigen
Weise zu folgen.
Wenn man so praktiziert, praktiziert man aber immer noch mit seinem Ego. Das heißt, mit dem
Bewusstsein, dass unterscheidet zwischen, dem was richtig ist, und dem, was es nicht ist. Es gibt
die gute Haltung, die richtige Haltung, und die Haltung, die nicht richtig ist. Es gibt die richtige
Geisteshaltung und die falsche Geisteshaltung. Seinen Gedanken folgen ist die falsche Haltung. Sie
loslassen ist richtig.
Das bedeutet, dass man einer Unterweisung folgt. Das ist nötig, aber es reicht nicht. Es ist nötig, um
unsere schlechten Gewohnheiten zu korrigieren. Ohne Bemühungen hat man keinen Erfolg. Aber
solange man mit Bemühungen praktiziert, handelt es sich nicht um die wirkliche Befreiung.
Man muss also bis zu einem bestimmten Punkt bewusst praktizieren. Bis zu dem Punkt, wo man
auch die bewusste Konzentration vergisst, bis zu dem Punkt, wo man nichts mehr praktiziert, bis zu
dem Punkt, wo man nicht mehr Zazen macht, wo man Zazen Zazen machen lässt. Man begnügt sich
damit, einfach zu sitzen. Aber dafür muss man zufrieden sein, einfach zu sitzen. Und um zufrieden
zu sein, muss man die Erfahrung machen.
Das gleiche gilt für alle Unterweisungen Buddhas. Ausgehend von seinem Erwachen hat er uns sehr
viele Empfehlungen gegeben, wie man das praktiziert, was richtig ist, und das Schlechte vermeidet.
Das ist der Sinn aller Gebote.
Heute werden vier Personen die Gebote empfangen. Den Geboten zu folgen bedeutet, wie ein
Buddha zu leben. Anders gesagt zu vermeiden, Schlechtes zu tun, Leiden für andere oder für einen
selbst zu erzeugen und alles Gute zu praktizieren. Das Gute zu praktizieren macht glücklich,
zufrieden, erfüllt einen mit Freude. Wenn man den Geboten und allgemein gesprochen, den
Unterweisungen Buddhas folgt, wenn man lernt, wie ein Buddha zu leben, kann man die Richtigkeit
dieser Lebensweise spüren.
Aber Buddha nachmachen ist nicht Buddha sein. Da ist noch Dualismus, ist noch Unterscheidung,
noch Urteil. Man betrachtet seine Praxis. Manchmal sagt man sich: „Die Praxis ist gut.“ Dann läuft
man Gefahr sich, an diese Vorstellung des Guten zu klammern. Vielleicht wird man sogar arrogant:
„Ich hab es verstanden, meine Praxis ist gut!“, und sofort ist die Praxis durch diese Art von
Anhaftung pervertiert. Umgekehrt neigt man dazu, sich Schuldgefühle zu machen, wenn man seine
Praxis als schlecht beurteilt. Man zweifelt, entweder an der Praxis oder an sich selbst, und das wird
Quelle von Leiden.
Dieses Leiden zeigt uns, dass etwas falsch ist in unserer Weise zu praktizieren. Genauso wie die
Anhaftung an das Gute, die Arroganz des Egos, dass sich im Richtigen, im Wahren glaubt, auch
Quelle von Leiden ist.
Wenn man das erfährt und den Geist der Unterscheidung aufgibt, dann vertraut man Zazen, dann
vertraut man unserer wirklichen Buddha-Natur und erlaubt es dieser Natur, sich in der richtigen
Praxis zu verbreitern, ohne auf die Anstrengung des Willens zurückgreifen zu müssen.
Im Kapitel des Shobogenzo über Leben und Tod vergleicht Meister Dogen dies damit, in das Haus
Buddhas einzutreten, das heißt in sein wirkliches Zuhause und sich von Buddha lenken lassen, das
heißt sich von der Buddha-Natur leiten zu lassen.
Aber dafür muss man das Vertrauen haben, dass das möglich ist. Alle Unterweisungen zielen darauf
ab, uns dieses Vertrauen zu geben. Bis zu dem Punkt, wo wir nicht mehr der Unterweisung
bedürfen, weil sie sich ganz vertraut in uns selbst verwirklicht.
Das ist der Sinn unserer Praxis, des Gyoji, unserer unablässigen Praxis. Jenseits des Gedankens,
dass wir irgendetwas Besonderes praktizieren.
Die Ordination zu empfangen ist eine große Hilfe, um dieses Vertrauen zu stärken, um uns von
unserer wirklichen Buddha-Natur leiten zu lassen.
Sonntag, 28.05.17, 2. Zazen
Neun Tage lang haben wir das Glück empfinden können, die Praxis des Weges zu teilen. Die
Essenz des Weges ist das Teilen. Die Praxis des Weges lässt uns die wirkliche Einheit mit allen
Wesen realisieren. Wir sind grundlegend ähnlich. Die Essenz unseres Lebens ist unsere völlige
wechslseitige Abhängigkeit voneinander. Dazu zu erwachen erlaubt es, seinen Egozentrismus
aufzugeben. Es fällt uns dann viel leichter, uns an die Stelle der anderen zu versetzten, ihr Leiden zu
empfinden und zu wünschen, es ihnen zu erleichtern. Das ist Mitgefühl, das erste Gelübde der
Bodhisattvas.
Zugleich strebt jedes Wesen nach Glück. Durch die Praxis haben wir spüren können, dass Zazen die
Quelle wirklichen Glücks ist, das darin besteht, in Einklang mit dem leben zu können, was wir in
der Tiefe und wirklich sind. Dieses Glück wünschen wir mit anderen zu teilen. Dies machen zu
können, bringt viel Freude.
So wünsche ich uns allen, dass wir das Leben des Teilens fortsetzen können und daraus Freude
ziehen, die das größte Stimulanz ist, um die Praxis zu vertiefen. Jenseits der Bemühung, frei,
natürlich.

Veröffentlicht in Roland.