Rechtes Handeln – 01.2015 – Grube Louise

Rechtes Handeln
Kommentare von Roland Yuno Rech zum
SHOBOGENZO IPPYAKUHACHI-HOMYOMON
108 Pforten des Dharmas
von Meister Dogen

Die hier abgedruckten Kusen wurden von Roland Rech in der Zeit vom 23.-25. Januar 2015
während des Sesshins in Grube Louise auf französisch gehalten und direkt ins Deutsche
übersetzt.

Freitag, 23.1.15, 7 Uhr
Lasst euch während Zazen nicht von euren Gedanken ablenken. Bringt eure Aufmerksamkeit
immer wieder zur Körperhaltung zurück, indem ihr das Becken gut nach vorne neigt und mit
den Knien fest auf den Boden drückt. Entspannt den Bauch und lasst das Körpergewicht auf
dem Zafu ruhen. Das Becken ist so weit nach vorne geneigt, als wolle man nicht, dass der
After das Zafu berührt. Die Nierengegend darf dabei aber nicht zu angespannt werden. Die
richtige Beckenneigung erreicht man durch die optimale Höhe des Zafus. Es ist wichtig, dass
man so sitzt, als fühle man sich gut verwurzelt. Von der Taille aus streckt man gut die Wirbelsäule
und den Nacken und drückt den höchsten Punkt des Kopfs in den Himmel. Gleichzeitig
drückt man die Knie in den Boden.
So ist der Körper völlig zwischen Himmel und Erde ausgestreckt. Himmel und Erde sind
keine Gegensätze. Die Zazen-Haltung verbindet sie, so wie sie alle Pole und jede Dualität
verbindet. Sie ermöglicht uns, die Funktionsweise des Geistes aufzugeben, die Unterscheidungen,
Trennungen und Gegensätze schafft. Mit der Zazen-Praxis wird der Geist wendig wie
die Haltung des Körpers.
Das Gesicht ist gut entspannt, besonders die Stirn und die Kiefergelenke. Das Kinn ist
zurückgezogen, der Mund ist geschlossen und die Zunge liegt am Gaumen. Der Blick ruht auf
dem Boden. Es ist nicht nötig, die Augen zu schließen, um sich zu konzentrieren, denn die
Welt um uns herum ist nicht der Grund für unsere Zerstreuung. Was uns zerstreut, ist die
Tatsache, dass wir der Welt anhaften. Aufgrund unseres auswählenden und ablehnenden
Geistes haften wir den Gefühlen und den Wahrnehmungen an, die durch unsere Verbindung
mit der Umgebung entstehen. In Zazen aber begnügen wir uns damit, uns einfach auf die
Haltung zu konzentrieren. Einfach ruhig durch die Nase ein- und ausatmen, einfach zu sitzen
ohne etwas hinzuzufügen oder etwas wegzunehmen.
Selbst wenn man während Zazen zum Beispiel der Unterweisung zuhört, haftet man nicht an
ihr. Man empfängt sie und kehrt zur Konzentration auf die Haltung zurück. Fangt nicht an,
das Kusen für euch selbst zu kommentieren. In Zazen beendet man jede Diskussion mit den
andern und mit sich selbst. Dies wird erleichtert, wenn man sich auf den Punkt konzentriert,
an dem die Zungenspitze den Gaumen berührt.
Unser Denken ist rein verbal. Wir erzählen uns Geschichten, diskutieren mit uns selbst.
Dadurch verlieren wir den Kontakt mit der Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks. In
Zazen kehren wir zur Erfahrung des Hier und Jetzt zurück und haben dadurch das Gefühl,
nach Hause zurückgekehrt zu sein. Unser Zuhause, unsere wahre Bleibe ist kein besonderer
Ort irgendwo, sondern unser Leben in Einheit mit dem ganzen Universum in jedem Augenblick.
Und so sind wir immer und überall bei uns, denn wir sind nicht auf unser kleines Ego
beschränkt, auf dieses Ego, das Trennungen schafft. Unser wahres Selbst ist die Buddha-
Natur, unsere Existenz in völliger Einheit mit allen Wesen.
Dies drückt das Mudra hokkai join aus: Die linke Hand liegt in der rechten Hand, die Daumen
sind waagerecht und die Handkanten in Kontakt mit dem Unterbauch. Meister Nyojo empfahl,
den Geist in die Kuhle der linken Hand zu legen. Wenn man so praktiziert, verwirklicht
man das wahre Samadi, jo, und man harmonisiert sich mit dem Ozean des Dharma, hokkai.
Insbesondere ist der Sinn eines Sesshins, wieder mit unserem wahren Geist völlig vertraut zu
werden, mit unserer wahren Natur, die über die Trennung zwischen uns selbst und der Welt
hinausgeht.
Freitag, 23.1.15, 11 Uhr
Auf diesem Sesshin werde ich weiter über die ‚einhundertacht leuchtenden Dharma-
Unterweisungen’ sprechen. Die leuchtenden Dharma-Unterweisungen nennt man homyomon.
Mon ist die Pforte. Es heißt: Zazen ist die große Pforte des Dharma. Zazen ermöglicht es uns,
das Dharma tief zu durchdringen. – Dharma in der Bedeutung der letztendlichen Wirklichkeit
unseres Lebens, zu der Buddha erwachte und zu der jeder von uns erwachen kann, indem er
Zazen praktiziert. Wenn man diese Pforte durchschreitet und wirklich den Weg Buddhas
durchdringt, öffnen sich viele andere Pforten, die es uns ermöglichen, die Dharma-Praxis zu
vertiefen.
Im Herbst haben wir die vier ersten Pforten betrachtet, die fünfte ist das rechte Handeln.
Dogen sagt, dass es das Ergebnis der richtigen Aktion des Körpers, des Redens und des
Denkens ist. Oft sehen wir diese drei Aktionen als getrennt an, was unser Leben schwierig
und manchmal schmerzvoll macht. Zum Beispiel weiß man in manchen Situationen, was zu
tun richtig wäre, aber leider setzt man es nicht um und macht das Verkehrte. Wenn morgens
der Wecker klingelt, weiß man, dass es gut wäre, aufzustehen und sich vorzubereiten, um zum
Zazen zu gehen, aber manchmal bleibt man doch lieber im Bett. Oder man weiß, dass es nicht
gut ist, andere zu kritisieren, aber man kann sich nicht davon abhalten.
Bei vielen Gelegenheiten im Leben sind unsere Gedanken nicht in Einklang mit unseren
Handlungen, und manchmal sind unsere Worte nicht in Einklang mit unseren Gedanken. Man
weiß, was wahr ist, aber man sagt es nicht. Man lügt aus Angst oder um andere zu verführen
oder um sich selber gut darzustellen. Manchmal sind es die Worte und die Handlungen, die
nicht in Einklang sind. Man sagt etwas, handelt aber nicht danach. Die Praxis des Buddha-
Weges besteht darin, diese drei Karmas zu harmonisieren: das Karma des Denkens, des
Redens und des Handelns. Dazu müssen wir tief Konzentration und die Beobachtung praktizieren.
Wer nicht konzentriert ist, macht Fehler beim Handeln, selbst wenn die Gedanken richtig
sind. Zu Beginn eines Jahres zum Beispiel hat man oft gute Vorsätze. Man will jeden Morgen
ins Dojo gehen und an diesem oder jenen Sesshin teilnehmen, aber am Ende bleibt man zu
Hause. Oder man sagt sich: „Ich werde immer die Wahrheit sagen.“, doch letzten Endes
folgen die eigenen Worte nicht immer der Wahrheit. Durch Zazen kann man am besten
lernen, sich zu konzentrieren.
In Zazen konzentriert man sich völlig auf die richtige Haltung und auf die Atmung. Dabei
merkt man schnell, wenn man an etwas anderes denkt, weil man dann die Atmung vergisst
oder die Haltung vernachlässigt. Immer wieder muss man zur Konzentration auf den Körper
zurückkehren, zur Konzentration auf die rechte Handlung. Immer wieder den Rücken aufrichten,
den Nacken strecken und das Kinn zurückziehen und alle Gedanken fallenlassen, die
einen ablenken.
Für die rechte Handlung ist die rechte Beobachtung notwendig, die sich in der Zazen-Praxis
entwickelt. Während Zazen tauchen oft unser Bonnos, unsere Illusionen, unsere Wünsche,
unser Abneigungen, im Bewusstsein auf. Wir werden sehr vertraut mit unseren Gedanken und
können im Augenblick des Handelns diese Beobachtung nutzen, um unsere Motivation zu
beobachten. Manchmal wird unser Handeln durch eine schlechte Motivation bestimmt. Wir
handeln, um uns in den Vordergrund zu stellen, um einen persönlichen Gewinn zu erlangen
oder um jemanden zu schaden, den wir nicht mögen. Wenn wir diese Art von Motivation
erkennen, können wir augenblicklich die Handlung fallenlassen, so wie wir in Zazen unsere
Gedanken fallenlassen, um zur Haltung zurückzukehren.
Beim rechten Handeln muss man auch die Folgen der Handlung untersuchen. Wenn man
erkennt, dass die Folgen des eigenen Handelns schädlich sein und jemandem Leiden zufügen
werden, ist es besser, diese Handlung fallenzulassen. Oft ist es besser, nichts zu tun oder nur
zu handeln, wenn die Tat wohltuend für die anderen ist. Dann handelt man wie ein wahrer
Bodhisattva, wie ein Buddha. Wenn man in einer bestimmten Situation nicht weiß, was zu tun
ist, kann man sich fragen: „Was täte Buddha an meiner Stelle?“
Wie Buddha handeln ist rechtes Handeln, handeln aus einem vollkommen erwachten Geist
heraus, aus einem Geist, der nicht mehr von den Bonnos, von Gewohnheiten, von Moden oder
den Erwartungen anderer konditioniert ist. So entsteht eine wahrhaft freie Handlung in
Harmonie mit unserer wahren Buddha-Natur.
Diese Art von Handlungen kann man besonders auf einem Sesshin ausführen. So wird das
Leben auf einem Sesshin zur Vorlage für das tägliche Leben.
Freitag, 23.1.15, 16.30 Uhr
Wenn wir ein Sesshin praktizieren, werden wir immer vertrauter mit uns selbst. Das heißt
aber nicht, dass wir uns selbst kennen, denn wir sind nicht etwas. Wir sind nichts Begrenztes.
Wenn man geht, wird man ein Gehender. Wenn man lügt, wird man sofort ein Lügner. Wenn
man etwas nimmt, das einem nicht gehört, wird man sofort ein Dieb, augenblicklich. Wenn
man sich völlig auf die Zazen-Haltung konzentriert, seine Gedanken vorbeiziehen lässt und
nicht versucht, etwas Bestimmtes zu erlangen, harmonisiert man sich augenblicklich mit dem
Dharma, sogar jenseits der Gedanken. Dann wird man Buddha, das heißt, man erwacht zu
seiner wahren Natur, die aber auch nicht etwas ist. Sie ist das, was wir in Wirklichkeit sind,
wenn wir aufhören unseren Illusionen anzuhaften.
Zazen mit dem rechten Geisteszustand zu praktizieren ist rechtes Handeln, das Handeln
Buddhas. Wenn unser Geist auf nichts verweilt, harmonisiert er sich augenblicklich mit der
Unbeständigkeit. Wenn unser Geist nichts ergreift und nichts festhält, harmonisiert er sich
augenblicklich mit der Leerheit. Die grundlegende Leidensursache wird augenblicklich durchtrennt,
und die drei Siegel des Dharma werden verwirklicht. Unser Geist ist augenblicklich
friedlich und befreit von allen Leiden. In dem Augenblick gibt es nichts anderes als diesen
Augenblick.
Daher müssen wir uns immer wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren. In jedem
Augenblick sind wir das, was wir tun, was wir praktizieren. Es gibt kein Ego außerhalb der
Handlung. Genauso wie es außerhalb des Gehens keinen Gehenden gibt. Es gibt keinen
Buddha außerhalb des Loslassens der Anhaftungen und des sich Harmonisierens mit dem
Dharma. Man muss einen Geist verwirklichen, der auf nichts stagniert. Aus diesem Grund ist
es so wichtig, dass wir uns in jedem Augenblick völlig auf unser Leben konzentrieren.
Wir erschaffen unsere eigene Welt durch unser Denken und Handeln. Genauso können wir
durch unser Denken und Handeln unsere Welt verändern. Diese unsere Welt ist nicht getrennt
von der Welt außerhalb von uns. Wenn wir unsere Illusionen aufgeben, helfen wir unbewusst
allen Wesen, ihre eigenen Illusionen aufzugeben. Daher ist die Konzentration auf die rechte
Handlung, auf die rechte Praxis der beste Weg, um der Welt zu helfen sich zu entwickeln, der
weiten Welt genauso wie der Welt, die uns umgibt.
In einem Dojo zum Beispiel kann man am besten die Sangha voranbringen, wenn man sich
völlig auf seine eigene Praxis konzentriert, wenn man sich ganz darauf konzentriert, dem Weg
zu folgen, ohne den anderen etwas beibringen zu wollen. Denn die Leute brauchen keine
Ratschläge, sie brauchen Beispiele. Es sind die Beispiele, die Vertrauen schaffen, die Beispiele
des rechten Handelns und der rechten Praxis. Sie motivieren die anderen, sich ebenfalls
auf die rechte Praxis zu konzentrieren. Das ist eine stille Unterweisung.
Mondo
Heute Morgen hat mich sehr berührt, dass du von Meister Nyojo erzählt hast, der sagte, man
solle den Geist in die linke Hand legen. Das hat bei mir sofortige Wirkung gezeigt. Kannst du
darauf noch etwas ausführlicher eingehen?
In Zazen ist es wichtig, sich auf den Körper zu konzentrieren, aber der Körper ist groß.
Manchmal ist es besser, sich nur auf einen einzigen Punkt des Körpers zu konzentrieren.
Nyojo sprach zum Beispiel von der Kuhle der linken Hand, aber man kann sich auch auf den
Kontakt der waagerechten Daumen konzentrieren.
Sich konzentrieren heißt, völlig aufmerksam auf diesen Punkt zu sein. Seinen Geist in die
linken Hand legen oder auf den Kontakt der Daumen richten heißt, dass der Geist sich um
nichts anderes mehr kümmert als um die linke Hand oder den Kontakt der Daumen. Alles
andere lässt man in diesem Moment fallen, was augenblicklich eine Befreiung bewirkt.
Wie ich es vorhin im Kusen gesagt habe, hat das Ego keine Substanz. In jedem Augenblick
hängt alles davon ab, was wir praktizieren. Wir praktizieren die Konzentration auf den Körper
nicht mit dem Ziel, eine sportliche Leistung oder sonstige Ergebnisse zu erzielen, nicht
einmal, um die Befreiung oder das Satori zu erlangen. Wenn wir uns einfach nur konzentrieren,
ohne etwas zu erwarten oder zu suchen, ohne zu versuchen etwas abzulehnen oder zu
vermeiden, wenn wir einfach nur vollständig gegenwärtig sind auf diesen Punkt, auf diese
Berührung und dabei alles andere aufgegeben haben, dann entsteht als Auswirkung ein Gefühl
von Befreiung.
Es ist nicht nötig, willentlich zu versuchen, unseren Geist zu beherrschen oder unsere
Illusionen zu verjagen. Es reicht, sich einfach nur zu konzentrieren und den Rest zu vergessen.
Dieses Vergessen, dieses Aufgeben, geschieht ganz automatisch, wenn man wirklich
in der Lage ist, sich zu konzentrieren. Das Gleiche gilt auch beim Samu oder wenn man ein
Kesa näht.
Beim Nähen des Kesas konzentriert man sich auf jeden Punkt und vergisst alles andere. Dabei
gibt man das Ego ganz automatisch auf, außer wenn man sich mit dem Konkurrenzgeist
konzentriert. Man will schneller sein, man will besser nähen als die anderen und schaut um
sich herum, oder man ist Perfektionist und haftet an der Perfektion eines jeden Stichs, weil
man das schönste Kesa haben will. Das Ego neigt immer dazu, die Praxis zu verderben. Aber
wenn man wirklich konzentriert ist, wird einem eine derartige Illusion sofort bewusst, und
dann genügt es, wieder zur Praxis zurückzukehren und alle Hintergedanken aufzugeben.
So ist es Dogen gelungen, das zu verwirklichen, was man shin jin datsu raku nennt: jede
Anhaftung an Körper und Geist aufzugeben, das bedeutet jede Anhaftung an das Ego. Dies ist
der Sinn unserer Praxis. Die ganze Unterweisung Buddhas zielt nur darauf ab, jedem zu
ermöglichen, diese Erfahrung zu machen. Am Ende ist es gar nicht schwierig. Man braucht
nicht viel erklären. Wir haben ein Mondo. Du hast mich gebeten, etwas zu erklären, also rede
ich. Aber eigentlich bringt das nicht viel. Man muss es einfach tun.
Meine Frage geht um die Balance im Leben. Auf der einen Seite fordert der Beruf heute
immer Optimierung und Perfektionierung, auf der anderen Seite übe ich das, was wir im
Zazen immer lernen: Gedanken ziehen lassen, Dinge akzeptieren, wie sie sind. Wie kann ich
im Leben zwischen diesen beiden Facetten eine Balance finden?
Nein, nein. Im Zen machen wir nicht das Gegenteil. Wir müssen so gut wie möglich praktizieren,
das heißt, uns so gut wie möglich konzentrieren und unser Ego so oft wie möglich auf-
geben. Das ist eine beständige Praxis.
Ich weiß nicht, welchen Beruf du hast, aber wenn es eine Arbeit zu tun gibt, sollte man sie so
gut wie möglich erledigen. Wenn man Zazen macht, konzentriert man sich ganz auf Zazen,
und wenn man arbeitet, konzentriert man sich ganz auf die Arbeit, allerdings unter der
Bedingung, dass die Arbeit anderen nicht schadet, wie eine Tätigkeit, die Menschen oder die
Umwelt vergiftet, die Verschmutzung mit sich bringt oder bei der Alkohol oder Zigaretten
hergestellt werden. Mit einer derartigen Arbeit sollte man aufhören. Aber im Allgemeinen
haben alle Berufe einen Nutzen für die Gesellschaft, daher sollte man sie so gut wie möglich
ausführen. Was machst du?
Bankenaufsicht.
Diesen Beruf muss man besonders gut ausüben. Bist du in einer ehrlichen Bank oder in einer
Bank, die spekuliert?
Es gibt viele Banken. Manche spekulieren mehr, andere arbeiten solider.
Dann sollte man diese soliden Banken ermutigen.
Meine Frage hat mit den Attentaten zu tun, die vor kurzem in Paris verübt wurden, und auch
mit dem rechten Handeln. Über diese Ereignisse musste ich sehr viel nachdenken. Im Zen
lernen wir, alle Gedanken ziehen zu lassen, Gedanken, die nicht in Kontakt mit unserer
direkten Umgebung sind. Aber dieses Ereignis fand in Frankreich statt und ich fühle mich
davon sehr betroffen, auch als Franzose. Was ist die rechte mentale Haltung, die man
angesichts dieses Ereignisses haben sollte? Wie soll man damit umgehen?
Im Moment denken in Frankreich alle darüber nach, wie man vermeiden kann, dass derartige
Dinge wieder passieren. Man hat festgestellt, dass die Gesellschaft in der Vergangenheit viele
Fehler begangen hat, bei der Erziehung und auch im sozialen Bereich. Man hat Lebensbedingungen
geschaffen, die für manche Menschen völlig hoffnungslos sind. Jemand, der
derartige Taten plant, findet daher sehr leicht Kandidaten für die Ausführung. Dabei wird die
Religion benutzt, die eigentlich ein Heilmittel gegen Hoffnungslosigkeit ist. Aber es wird eine
völlig degenerierte Religion propagiert und die Hoffnungslosigkeit der Leute für politische
Zwecke ausgenutzt.
Genau wie du habe ich auch jeden Tag darüber nachgedacht, was passiert ist. Dieses Problem
geht über unsere eigene Person hinaus, es ist ein Problem der Gesellschaft. Jetzt kümmert sich
die Regierung darum, und viele Menschen überlegen, wie man die Gesellschaft in eine
bessere Richtung voranbringen kann. Aber für dich, für mich, für jeden persönlich ist es
wichtig, die Wurzel des Leidens zu finden und aufzulösen, das heißt die Wurzel des Leidens
eines Lebens, das keinen Sinn hat. Ich glaube, es ist das Hauptproblem, besonders für junge
Leute. Jeder muss letztlich erwachen – das ist die wichtigste Lösung – und den anderen einen
Weg zum Erwachen zeigen, einen Weg, um aus der Hoffnungslosigkeit herauszukommen,
indem man einem rechten Glauben begegnet und zum wahren religiösen Geist zurückfindet.
Die Karikaturisten bei Charlie Hebdo sind Menschen, die ständig die Religion kritisieren.
Und sie haben Recht damit, die Fehler der Religionen zu kritisieren, denn Fehler oder Mängel
bei einer Religion sind besonders schlimm, weil Religionen so wesentlich sind. Für den Menschen
ist es wesentlich, im Leben seinen rechten Glauben zu finden. Die Verantwortlichen
einer Religion, die den wahren religiösen Geist verraten, sollte man kritisieren. Nicht die
Religion ist zu kritisieren, im Gegenteil, man muss wieder zur rechten Religion, zur richtigen
religiösen Praxis zurückkehren. Es gibt in jeder Religion etwas, das in der Tiefe wirklich
richtig ist. Übrigens war es das Ziel von Meister Deshimaru, als er nach Europa kam. Er
sagte: „Ich bin nicht hergekommen, um eine neue Religion zu bringen, sondern um den
Europäern zu helfen, den wahren Sinn ihrer Religion wiederzufinden.“
Ich finde es sehr wichtig, dass die Christen das Wesentliche der Unterweisung von Jesus
Christus wiederfinden und in ihrer Praxis umsetzen. Das Gleiche gilt für die Moslems. Was
ist das Wesentliche im Islam? – Zum Beispiel sagt man immer, im Islam sei die Unterwerfung
sehr wichtig. Es gibt Leute, die das missbrauchen, indem sie andere unter Druck setzen und
den Geist der Unterwerfung benutzen, um unter anderem Verbrechen zu begehen. Aber die
wahre Unterwerfung im Islam ist, sich der kosmischen Ordnung zu unterwerfen, was im
Grunde bedeutet, das Ego aufzugeben.
In allen Religionen ist es so: einfach nur lernen, das Ego aufzugeben. Das ist der beste Weg,
um Frieden in die Welt zu bringen. Nicht mehr den religiösen Geist verraten, sondern zur
Quelle dieses religiösen Geistes zurückkehren. Dies gilt nicht nur für den Terrorismus,
sondern für alle Menschen und vor allem für die jungen Leute, die sehr oft verloren sind. Sie
wissen nicht, woran sie sich orientieren sollen und sind leicht beeinflussbar. Gerade sie
müssen die tiefen Wurzeln ihres Lebens wiederfinden. Ich glaube, es ist die Aufgabe der
Zazen-Praktizierenden zu zeigen, dass dies möglich ist, indem sie sich auf ihre eigene Praxis
konzentrieren und zeigen, was die rechte Praxis ist und damit anderen Vertrauen geben.
Samstag, 24.1.15, 7 Uhr
Konzentriert euch während Zazen weiter auf eure Haltung. Neigt das Becken gut nach vorn,
streckt von der Taille aus die Wirbelsäule und den Nacken und drückt den Kopf in den
Himmel. Das Kinn ist zurückgezogen, die Schultern sind gesenkt, der Bauch ist entspannt.
Atmet tief durch die Nase ein und aus. Statt unseren Gedanken zu folgen, folgen wir der
Bewegung unserer Atmung. Das heißt, wir kehren immer wieder zurück zum Hier und Jetzt
unseres wahren Lebens. Wir lassen uns nicht durch die Gedanken ablenken. So wird unser
Geist klar. Wir können shoken praktizieren und die Wirklichkeit klar sehen, so wie Kannon es
im Hannya Shingyo lehrt.
Was sehen wir, wenn wir shoken praktizieren? Wir sehen, dass alles, was unser Ego
ausmacht, Leerheit ist. Go on kai ku, die fünf Aggregate oder Bestandteile des Seins, das heißt
der Körper, die Empfindungen, die Wahrnehmungen, die Geistesregungen und das
Bewusstsein, sind Leerheit. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren. Leerheit
bedeutet nicht ‚nicht existieren’, sondern existieren ohne feste Substanz, ohne etwas
Beständiges, oder anders gesagt: existieren in völliger Wechselbeziehung mit dem gesamten
Kosmos, ohne Trennungen. Die rechte Beobachtung, die rechte Sichtweise, shoken, befreit
uns von unserer Blindheit, unserer Ichbezogenheit und erweckt uns zur Wirklichkeit und zur
völligen Einheit mit allen Wesen. Dies hat Kannon verwirklicht. Daher ist er der große
Bodhisattva, das erwachte Wesen, das nur einen Wunsch hat: mit allen Wesen das Erwachen
zu teilen, um ihre Leiden zu lindern und ihnen zu ermöglichen, in Harmonie mit ihrer tiefsten
Wirklichkeit zu leben.
Dieser Ansatz, diese Haltung ist die Essenz des religiösen Geistes. Sie ist oft auf Glauben
gegründet, aber im Buddhismus und insbesondere im Zen basiert sie auf das Verständnis. Wir
haben Vertrauen in Buddha und seine Unterweisung, weil er die Wirklichkeit vollkommen
verstanden hat. Er hat uns den Weg gezeigt, damit wir das gleiche Verständnis verwirklichen
können. Für uns handelt es sich nicht um einen blinden Glauben in etwas Mysteriöses und
Unerkennbares sondern um ein tiefes Vertrauen in die Möglichkeit eines jeden, das Erwachen
zu verwirklichen. Dies nennt man bodaishin. Rechtes Handeln besteht darin, bodaishin in all
unseren Tätigkeiten im Alltag umzusetzen, was bedeutet, allen Wesen gegenüber vom Geist
des Mitgefühls und Wohlwollens motiviert zu werden.
Bevor man eine Handlung ausführt, überlegt man, ob diese Handlung mit diesem Ideal in
Einklang steht. Manchmal ist etwas Bemühung nötig, um das Handeln mit diesem Ideal zu
harmonisieren. Das liegt an unserem alten Karma. Wir haben die Gewohnheit angenommen,
auf ichbezogene Weise zu funktionieren und müssen uns manchmal Mühe geben, um dies zu
ändern. Aber wenn wir uns bemühen und mit Mitgefühl und Wohlwollen handeln, stellen wir
fest, dass wir dadurch viel glücklicher werden.
So zu handeln stellt kein Opfer dar. Das Ego aufzugeben ist kein Opfer, sondern eine
Verwirklichung. Wer diese Erfahrung täglich wiederholt, muss sich immer weniger bemühen,
um das rechte Handeln zu praktizieren. Es wird immer natürlicher, und die Gebote werden
unnötig. Dann geht es nicht darum, dass wir nichts Schlechtes begehen dürfen, sondern wir
können es nicht mehr. Es ist uns nicht mehr möglich, Leiden bei anderen zu verursachen. Wir
können nicht mehr anders als ihnen helfen, so wie Kannon, indem wir in jeder Situation die
geeigneten Mittel finden.
Heute Morgen werden wir das Kannon Gyo singen, nicht nur um Kannon zu bitten, uns zu
helfen, sondern um selbst Kannon zu werden, was bedeutet, unsere Fähigkeit zu entwickeln,
anderen zu helfen, und uns so mit unserem Erwachen zur Wirklichkeit zu harmonisieren.
Ein Sesshin ist der beste Moment, um dies zu praktizieren. Aber es darf nicht auf den
Zeitraum des Sesshins begrenzt sein, sondern muss zum Leitfaden für unser ganzes Leben
werden. Dann wird unser Leben einen tiefen Sinn haben und uns glücklich machen. Dieses
Glück ist kommunikativ, das heißt, wir haben den natürlichen Wunsch, es mit den anderen zu
teilen. Dies ist der Geist der Sangha, der Familie der Bodhisattvas, in der jeder zu einem Arm
und einer Hand von Kannon wird.
Samstag, 24.1.15, 11 Uhr
Wenn wir ein Sesshin praktizieren, lernen wir wie Buddha zu leben. Das heißt, wir lernen auf
erwachte Weise zu leben, erwacht zur Wirklichkeit. Dies nennt man engi. Alle Daseinsformen
existieren nur aus Beziehungen untereinander heraus, und während eines Sesshins kann man
diese Wechselbeziehungen, die Beziehungen untereinander richtig leben. Wir leben dank der
anderen.
Auf egozentrische Weise zu leben, steht im Gegensatz zur kosmischen Ordnung. Es ist eine
Krankheit. In unserer Gesellschaft hat sich der Individualismus sehr stark entwickelt. Man
möchte frei von allen Einschränkungen sein, aber dies ist nicht möglich. Wahre Freiheit heißt
nicht, so zu leben, als wären wir allein. Sie besteht im Gegenteil darin, in Harmonie mit
unserer wahren Natur zu leben, und diese wahre Natur gehört uns nicht allein. Sie ist die
wahre Natur aller Wesen. Selbst wenn es zwischen jedem von uns und jedem Wesen
Unterschiede gibt, so sind diese Unterschiede oberflächlich. Im Grunde sind wir uns alle
ähnlich.
Shakyamuni Buddha führte das gleiche Leben wie die anderen Menschen. Er hat das Leben
der Männer und Frauen seiner Zeit völlig geteilt. Als er erwachte, rief er: „Ich habe das
Erwachen mit allen Wesen des Universums verwirklicht.“
Meditieren und vertraut mit sich selbst zu werden besteht nicht darin, jemand Besonderes zu
sein und anders als die anderen zu werden, sondern in uns selbst die universellste Dimension
zu berühren. Wenn wir unserem Ego anhaften, entfernen wir uns von den anderen. Wir neigen
dazu, uns selbst zu bestätigen, indem wir uns von den anderen unterscheiden. Aber wenn wir
dem Weg folgen, lernen wir, uns in den anderen hineinzuversetzen. Aus diesem Grund ist die
Sangha eine harmonische Gemeinschaft. Wenn es in der Sangha keine Harmonie gibt, liegt es
daran, dass jeder an der eigenen Position festhält und nicht versucht, den Standpunkt des
anderen zu verstehen.
Dies ist die Wurzel aller Konflikte des Menschen. Um zu überwinden, was uns trennt, müssen
wir lernen, uns selbst zu vergessen, so dass wir empfänglich für die anderen werden. Dann
werden die Gebote ganz natürlich respektiert. Sie werden nicht als Einschränkungen erlebt,
sondern als richtige Weise des Handelns in Harmonie mit unserer wahren Natur und in
Harmonie mit den anderen. Diese Harmonie ist die Quelle des wahren Glücks. Im Grunde ist
sie genau das, was alle suchen. Wir dürfen daher keine Angst haben diese Grundhaltung zu
fördern, indem wir sie selbst praktizieren.
Samstag, 24.1.15, 16.30 Uhr
Mondo
Du sagtest heute Morgen sinngemäß: Die Menschen stellen sich einander eher entgegen, statt
sich ineinander einzufühlen, und das führt zu Konflikten. Kannst du dieses Einfühlen oder
sich in den anderen Hineinversetzen genauer erläutern?
Es bedeutet, nicht an seinem eigenen Standpunkt festzuhalten, sondern sich zu bemühen, sich
in den andern hineinzuversetzen. Eigentlich geht es um die Fähigkeit, Empathie zu entwickeln.
Ich denke, es ist eine natürliche Fähigkeit, durch die wir in der Lage sind, zum Beispiel
Mitgefühl zu empfinden. Aber selbst wenn es eine natürliche Fähigkeit ist, wenn man
spontan versucht, sich in den anderen hineinzuversetzen, wenn man miteinander spricht und
versucht, die Frage des anderen zu verstehen, gibt es oft ein großes Hindernis zu dieser
Empathie: Man hat das Bedürfnis, sich selbst als anders zu bestätigen.
Wenn man sich in den anderen hineinversetzt, bekommt man Angst, seine eigene Identität zu
verlieren und man schützt sich. Oft wird dies zu einem Hindernis. Daher sollte man in der
Lage sein, dies aufzugeben und nicht zu vergessen, dass es nur vorübergehend, nur kurzzeitig
ist. Wenn jemand in Schwierigkeiten steckt, ist es wichtig zu spüren, dass er in Schwierigkeiten
steckt. Aber sich in den anderen hineinzuversetzen heißt nicht, sich selbst in Schwierigkeiten
zu begeben. Sobald man verstanden hat, dass der andere Schwierigkeiten hat, muss
man zu seinem eigenen Bewusstsein zurückkehren, um zu überlegen, wie man ihm bei seinen
Schwierigkeiten helfen kann.
Ich denke es ist wichtig, zwischen der eigenen Position und der Position des anderen hin und
her pendeln zu können. Zum Beispiel in einer Beziehung zwischen Mann und Frau sind beide
im Allgemeinen ziemlich verschieden. Für Männer ist es oft schwierig, sich in Frauen hineinzuversetzen.
Vielleicht haben sie Angst, ihre männliche Identität zu verlieren, und so bleiben
sie auf ihrer Position. Wenn die Frau zum Beispiel unglücklich ist, wird der Mann versuchen,
eine Lösung zu finden. Aber eine Frau braucht nicht unbedingt, dass man ihr eine Lösung
anbietet. Manchmal will sie nur, dass der Mann ihr zuhört und sie ein bisschen tröstet. Aber
der Mann sagt, was sie tun müsste, und gibt ihr Ratschläge. Dabei möchte die Frau doch nur,
dass man ihr zuhört. Wenn ein Mann diesen Unterschied fühlt, dann muss er seine männliche
Sichtweise aufgeben, die immer eine Lösung sucht, und versuchen, sich in die Frau hineinzuversetzen,
um zu sehen, was sie als Frau benötigt. Aber gleichzeitig reicht dies nicht aus.
Eine Frau muss auch die Stärke des Mannes spüren. Wenn ihr Mann zu weiblich, zu sensibel
wird, kann es auf sie verunsichernd wirken.
Man muss einen wendigen Geist haben, und normalerweise hilft uns Zazen, diesen wendigen
Geist zu entwickeln. Das heißt, nicht an eine bestimmten Seinsweise festzuhalten sondern in
der Lage zu sein, je nach Situation oder Person etwas zu ändern. Das ist die grundlegende
Qualität eines Bodhisattvas. Ein Bodhisattva sollte nicht immer nur allen Menschen das
Dharma predigen. Es gibt Praktizierende, die, sobald sie jemandem begegnen, der in
Schwierigkeiten steckt, ihm die vier edlen Wahrheiten lehren, und das ist recht töricht.
Man muss die Situation und den Geisteszustand des anderen spüren und sich dementsprechend
in ihn hineinversetzen, aber auch nicht zu sehr. Wenn man zum Beispiel einen Alkoholiker
als Freund hat, ist es wichtig, ihn nicht zu verdammen und in der Lage zu sein, seine
Abhängigkeit zu verstehen und auch vielleicht mal mit ihm anzustoßen. Aber wenn man dabei
selber zum Alkoholiker wird, bringt das nichts. Dem anderen nahe zu sein bedeutet, seine
eigene Position aufzugeben, aber immer nur vorübergehend für eine kurze Zeit.
Das Leben ist sowieso vorübergehend, das Leben ist eine Aneinanderreihung von Augenblicken.
Es gibt kein festes Ego. Das ist die grundlegende Unterweisung Buddhas. Aber das
bedeutet auch, dass ich meine Position ändern und mich auch mit verschiedenen Situationen
harmonisieren kann, um immer die rechte Weise des Handelns zu finden.
Ich sprach während dieses Sesshins über das rechte Handeln, aber rechtes Handeln ist nicht
immer gleich. Es ist die Handlung, die der Situation angemessen ist, und dazu benötigt man
einen wendigen Geist, den Geist von Zazen.
Wie kann ich mit dem steigenden Druck im Beruf umgehen? Es wird von mir immer mehr
erwartet. Ich soll alles schneller machen und immer erreichbar sein. Gibt es einen Weg, mit
diesem Druck konstruktiv umzugehen, oder bleibt mir nur als Lösung zu kündigen?
Diese Situation habe ich persönlich nicht erlebt. Ich hatte das Glück, zu einer Zeit in der
Industrie zu arbeiten, als es noch nicht so war. Es gab nicht einen derartigen Druck, der
natürlich auch von deiner Stellung im Unternehmen abhängt.
Ich denke, du solltest das Gespräch mit deinem Vorgesetzen suchen und versuchen, ihm deine
Lage zu erklären, um einen Kompromiss zu finden zwischen dem, was er von dir erwartet,
und was du in der Lage bist zu schaffen, um deine Arbeit gut zu erledigen, ohne dass du in
einem Burnout endest. Das kann auch bedeuten, dass du die Tätigkeit im Unternehmen
wechselst, wenn du eine findest, die dir besser liegt. Es gibt Leute, die sehr kreativ sind oder
die gut verhandeln können. Verhandlungen sind eine Kunst, bei der man nicht ein sofortiges
Ergebnis erwartet. Aber jemand, der gut verhandeln kann, kann dem Unternehmen sehr viel
Geld einbringen. Du musst herausfinden, welcher Bereich dir am besten liegt und in welchem
Bereich du das Beste für die Firma einbringen kannst.
Aber ich glaube nicht, dass man akzeptieren muss, ständigem Druck ausgeliefert zu sein,
abends zuhause zu arbeiten und um 23 Uhr seine E-Mails zu bearbeiten. Auf Dauer ist es gar
nicht möglich, so zu arbeiten, und es ist auch nicht gut für die Atmosphäre in der Firma. Ich
denke, der Chef müsste das auch verstehen, ansonsten wird er seine Mitarbeiter nicht gut
motivieren können. Ihr müsst es aushandeln und darüber reden und nicht nur ertragen.
Dies ist ein allgemeines Problem, das viele Menschen betrifft. Ich höre oft davon. Du bist
nicht allein. Gleichzeitig sehe ich auch, dass viele Unternehmen verstanden haben, dass sie
nicht übertreiben dürfen und dass die Lebensqualität ihrer Angestellten auch für die Arbeit
wichtig ist, damit die Angestellten motiviert bleiben. Wenn sie sie keine Motivation mehr
haben, wird es für das Unternehmen schlimmer werden.
Ich habe gelernt, dass ich mir die Frage nach Leben und Tod stellen muss, wenn ich den Weg
des Erwachens gehen will. Ich spüre einen Widerstand, und ich weiß auch nicht, wie ich das
machen soll. Ich verstehe es nicht.
Ich war es zwar nicht, der dich aufgefordert hat, dir diese Frage zu stellen, aber ich glaube
schon, dass sie wichtig ist, weil im Grunde sich jeder Mensch die Frage nach dem Sinn seines
Lebens stellt. Es war die grundlegende Frage Buddhas: Welchen Sinn hat das Leben, wenn
wir sowieso sterben müssen, wenn wir alle Dinge verlieren werden, an denen wir in unserem
Leben hängen? Für die meisten Menschen ist das ein Problem.
Wenn ein Meister oder Godo sagt: „Ihr müsst euch die Frage über Leben und Tod stellen.“,
geht es eher darum, sich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen und nicht den
Schwierigkeiten der Unbeständigkeit aus dem Weg zu gehen. Viele Menschen vermeiden
diese Frage, indem sie sich mit vielen Aktivitäten, Ambitionen und Vorhaben beschäftigen.
Sie versuchen, nicht an die grundlegende Frage zu denken, die Frage nach dem Sinn des
Lebens. Das ist schade, weil man viel Energie für alle möglichen Sachen verbraucht, die oft
nur ein Ziel haben: nicht an den Tod zu denken. Um sich abzulenken oder zu betäuben, setzt
man sich alle möglichen Ziele: ‚Das will ich noch schaffen.’ ‚So will ich noch werden.’ Während
dieser Zeit denkt man nicht darüber nach, dass man sterben wird, und man stellt sich
nicht die Frage, welchen Sinn das Leben hat.
Wenn ich heute Abend sterben müsste, würde ich das weitermachen, was ich gerade mache? –
Nun ja, bis heute Abend ist vielleicht ein kurzer Zeitraum. Wenn du weißt, dass du innerhalb
eines Jahres sterben müsstest, würdest du deine Vorhaben, deine Projekte, die du für dieses
Jahr geplant hast, auch so weiterführen? Oder würdest du sagen: „Nein, nein, wenn ich nur
noch ein Jahr zu leben habe, höre ich mit all dem auf und mache etwas ganz anderes?“
Ich glaube, das ist eine gute Art und Weise, uns die Frage nach Leben und Tod zu stellen,
weil sie uns zwingt, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht unser Leben zu
vergeuden, indem wir zum Beispiel das Risiko eines Unfalls eingehen, der zum Tod führen
könnte, oder falls man schlimm erkrankt, sich nicht sagen muss: „Hätte ich vorher gewusst,
dass ich jetzt sterben muss, hätte ich mein Leben anders gestaltet.“ Anders gesagt handelt es
sich um eine sehr positive Frage, weil sie dich zum Nachdenken angeregt hat. Wie kann man
ohne Bedauern sterben? Wie kann man ohne Bedauern leben? Man könnte antworten: „Nicht
den gegenwärtigen Augenblick vergeuden! In jedem Augenblick, an jedem Tag, in jedem Jahr
das tun, was wirklich wichtig für dich ist.“ Auf diese Weise ist diese Frage auch gar nicht
deprimierend, sie regt im Gegenteil an, gut und richtig zu leben.
Um unsere Praxis zu stimulieren, sagte Meister Deshimaru zum Beispiel: „Ihr müsst Zazen
praktizieren, als würdet ihr gerade in den Sarg steigen.“ In diesem Augenblick ist man wirklich
konzentriert, um noch vor dem Sterben mindestens fünf gute Minuten Zazen zu machen,
nicht immer über die gleichen Dinge nachzudenken. Dies ist eine gute Anregung. Wenn ihr so
denkt, könnt ihr ein viel glücklicheres Leben führen und ihr verliert nicht eure Zeit. Wir
wissen nie, wieviel Zeit uns zum Leben bleibt, und daher sollten wir keine Zeit verlieren.
Wenn euch ein Godo so eine Empfehlung gibt, müsst ihr verstehen, was er mit ihr sagen will,
sonst bringt sie euch nichts. Wenn dir jemand sagt, du musst dies oder jenes tun, und du
verstehst nicht, was die Person sagen wollte, weil es nicht klar oder widersprüchlich ist, kann
es dir nicht helfen. In der Unterweisung Buddhas sollte man nie eine Unterweisung annehmen,
ohne sie zu verstehen. Man sollte wirklich versuchen zu verstehen und nicht gläubig
werden sondern weise.
Vor ein paar Jahren habe ich mich entschieden, vegan zu essen. Aber vor kurzem habe ich
aufgehört, weil es manchmal zu schwierig ist. Was sollten wir Ihrer Meinung nach essen?
Im Zen ist man, was die Nahrung angeht, nicht besonders dogmatisch. Im Allgemeinen wird
jedoch geraten, kein Fleisch zu essen und natürliche, gesunde Nahrung zu sich zu nehmen, um
eine gute Energie für die Praxis zu haben und seine Gesundheit zu bewahren. Meister
Deshimaru sagte immer, man sollte nicht zu strengen Diäten folgen, sonst wird der Geist zu
eng.
Es ist wichtig, vielfältig zu essen, und man sollte in der Lage sein, sich mit den andern zu
harmonisieren. Wenn du zu einer Pizza eingeladen bist und denkst, dass das keine so gute
Nahrung ist, kannst du dich vielleicht trotzdem harmonisieren und mit den anderen essen. Du
kannst aber natürlich auch sagen, dass du diese Nahrung nicht magst und das nächste Mal
etwas anderes möchtest. Wenn du als Vegetarier zu einem Fleischessen eingeladen wirst, ist
es heikel. Dann kannst du sagen: „Vielen Dank, ihr habt euch sehr viel Mühe gemacht, diese
Mahlzeit zuzubereiten, aber normalerweise esse ich kein Fleisch und werde daher nur wenig
davon nehmen.“ Dann wissen die anderen Bescheid und werden beim nächsten Mal etwas
anderes servieren.
Man darf aber nicht zu starr sein. Wer zu starr ist, bekommt einen engen Geist. Dann stellt
man sich immer diesem oder jenem entgegen: „Dies ist nicht gut.“, „Das ist nicht rein.“ Alles
wird kompliziert, und das beeinflusst den Geist. Der Zazen-Geist ist der Geist, der vermeidet,
auszuwählen. Soweit möglich sollte man aufnahmebereit sein und einen weiten Geist haben,
was aber natürlich nicht heißt, dass man alles beliebig akzeptieren muss. Für die Nahrung gilt
das Gleiche. Menschen, die sehr wählerisch bei der Nahrung sind, sind oft recht egoistisch.
Sie haften zu sehr an ihrer Gesundheit und harmonisieren sich schwer mit den andern. Das
gilt natürlich nicht für diejenigen, die geschwächt oder krank sind. Auf die muss man Acht
geben.
Gestern haben Sie gesagt, wir sollten uns auf der Arbeit konzentrieren wie beim Zazen.
Meiner Meinung nach ist das nicht möglich, weil es im Berufsleben Konkurrenz gibt und
andere Regeln, die nicht von uns gemacht werden. Es ist eine andere Welt als beim Zazen.
Es gibt in der Gesellschaft viele Regeln, die nicht von uns aufgestellt wurden und denen wir
trotzdem folgen müssen, nicht nur im Berufsleben. Es gibt Gesetze, denen wir folgen müssen,
wenn wir in einer Gesellschaft leben, selbst wenn wir nicht mit ihnen einverstanden sind.
Hingegen es ist nicht nötig, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Man kann sich durchaus gut
auf das konzentrieren, was man zu tun hat, einfach nur aus der Freude heraus, seine Arbeit gut
zu machen. So wie ein Künstler, der sich darauf konzentriert, sein Werk gut zu machen, ohne
eine Belohnung zu erwarten. Problematisch wird es, wenn man der Belohnung anhaftet.
Theoretisch.
Nein. Als ich in den sechziger, siebziger Jahren in der Industrie gearbeitet habe, war die
Atmosphäre zwar etwas anders, aber es gab auch damals schon Konkurrenz. Damals war ich
schon Zen-Mönch und konzentrierte mich darauf, meine Arbeit gut zu machen. Es hat mich
überhaupt nicht interessiert, eine Vorgesetztenposition zu bekommen. Vielleicht habe ich nur
Glück gehabt, denn ich wurde mehrmals befördert, weil die Leute es zu schätzen wussten,
dass ich meine Arbeit gut machte und mich nicht an Intrigen oder Ähnlichem beteiligte. Am
Ende habe ich die Firma verlassen, weil man mir den Stellung des Direktors angeboten hatte.
Da dachte ich: „Nein, das ist zu viel. Vielen Dank.“ und ich bin gegangen. Vielleicht läuft es
heutzutage anders.
Samstag, 24.1.15, 20.30 Uhr
Der Schnee, der gefallen ist, bedeckt die ganze Landschaft.
Die Häuser, die Bäume, die Hügel,
Alle Daseinsformen tragen die gleiche Farbe.
Die Unterschiede sind verschwunden.
Genau so ist die Landschaft von Zazen.
Sonntag, 25.1.15, 7 Uhr
Gebt während Zazen all eure Energie der Haltung, um die rechte Haltung zu praktizieren.
Dann werdet ihr von der Haltung eine starke Energie empfangen. Richtet eure ganze Aufmerksamkeit
auf die Atmung. Von der Atmung erhalten wir das Leben. Wenn wir aufmerksam
auf die Atmung sind, schaffen wir eine große Präsenz im Leben eines jeden Augenblicks.
Unser Leben selbst ist eine Gabe. Wir haben unser Leben von unseren Eltern empfangen und
es hat sich dank der Gaben der Natur entwickelt. Jeden Morgen wenn wir das Mahlzeiten-
Sutra rezitieren, singen wir: „Woher kommt diese Nahrung? Unsere Dankbarkeit gilt allem,
was dazu beigetragen hat.“ Leben ist geben und nehmen. Um ein harmonisches Leben führen
zu können, muss man die Gabe, das Fuse praktizieren.
Meister Dogen sagt: „Geben heißt nicht begehren.“ Keinen Gefallen, keine Belohnung suchen.
Gestern sagte jemand, bei der Arbeit gäbe es starke Konkurrenz, weil alle etwas begehren und
mehr haben wollen als die anderen. Man hat nie genug und ist nie zufrieden. Begehren ist
eines der drei Gifte des Geistes.
Wenn wir den Weg nicht praktizieren, verwirklichen wir nicht die tiefe Dimension unserer
Existenz. Dann werden wir nie zufrieden sein. Dieser Mangel, nicht zur Wirklichkeit erwacht
zu sein, kann durch nichts, durch kein Wunschobjekt ausgeglichen werden. Solange wir in der
Illusion unseres kleinen Egos eingeschlossen sind, fühlen wir uns bedroht. Wir leben in
Angst, wir haben Angst davor zu verlieren oder nicht genügend zu bekommen. Aus diesem
Grund werden wir oft aggressiv, denn Gier führt zu Hass. Und manchmal, wenn man nicht
das bekommt, was man wünscht, hasst man sogar sich selbst.
Zazen praktizieren ist das völlige Gegenteil. In Zazen sehen wir deutlich, dass unser Ego nur
aus fünf Aggregaten besteht und nichts Substanzielles, nichts Getrenntes, nichts Beständiges
ist. Also können wir aufhören, uns an das Ego zu klammern, und jede Angst, jedes Hindernis
verschwindet aus unserem Geist. Dann können wir frei geben, ohne Angst zu haben, das zu
vermissen, was wir gegeben haben. Und wir können geben, ohne eine Belohnung zu erwarten,
weil die Belohnung das Geben selbst ist.
Geben ist nicht nur eine Gelegenheit, gute Verdienste zu erlangen, wie es oft gelehrt wird.
Geben mit dem Ziel, Verdienste zu erlangen, könnte man das ‚Dharma des Samsara’ nennen,
eine begrenzte Unterweisung, die es ermöglicht, ein wenig Wohlergehen zu bekommen. Aber
mit dem Mushotoku-Geist zu geben, ohne eine Belohnung zu erwarten, ist das Dharma des
Nirvana, das heißt der großen Befreiung, das wahre Glück in unserem Leben.
Es beginnt damit, dass wir unsere Zeit und Energie der Zazen-Praxis mit den anderen geben.
Die Gegenwart eines jeden hier trägt zur starken Atmosphäre in diesem Dojo bei. Sie ist eine
große Gabe und eine kostbare Hilfe für jeden. Gleichzeitig zu geben und zu empfangen
bedeutet, sich mit dem kosmischen Leben zu harmonisieren. Aus diesem Grund sagen wir:
„Zazen selbst ist Satori.“ Es gibt jenseits von Zazen nichts zu erwarten, denn in der Praxis ist
bereits alles enthalten. Daher müssen wir die rechte Praxis, den Mushotoku-Geist beschützen.
Sonntag, 25.1.15, 11 Uhr
Auf diesem Sesshin hat jeder viel Zazen und viel Samu gemacht. Aber eigentlich haben wir in
Wirklichkeit nichts gemacht, denn Zazen oder Samu zu machen heißt, aufzuhören etwas zu
machen. Mit jedem Machen aufhören und sich einfach dem Weg hingeben.
Der Weg wird nicht durch uns erbaut. Der Weg existiert unter unseren Füßen, das heißt
absolut überall. Er hat nicht auf unsere Praxis gewartet, um zu existieren, aber er wird durch
die Praxis offenbart. Die Praxis erweckt uns zur Wirklichkeit, die immer genau hier und jetzt
und jenseits jeden Machens ist. Die Essenz von Zazen ist, aufzuhören etwas zu machen. Sich
einfach der Praxis der rechten Haltung hingeben, tief einzuatmen und ohne Angst vollständig
auszuatmen, ohne etwas zurückzubehalten. Dann kann man empfangen. Sich selbst dem Weg
hingeben heißt, den Weg zu empfangen. Sich dem Weg des Erwachens hingeben heißt,
Buddha zu werden.
Dies bedeutet aber nicht, etwas zu bekommen, Buddha oder Satori oder den Weg zu erreichen.
Der Weg bleibt immer beim Weg. Man ergreift ihn nicht, man nimmt ihn nicht für sich.
Der Weg manifestiert sich genau hier und jetzt, wenn man aufhört, irgendetwas ergreifen zu
wollen, wenn man versteht, dass es nicht nötig ist, nach etwas zu greifen, denn wir sind
bereits der Weg, schon immer.
Ihr müsst darauf vertrauen. Es ist das wahre Vertrauen, das alle Ursachen von Angst und
Unzufriedenheit auslöscht. Dann braucht man nicht mehr viele Dinge, um glücklich zu sein.
Einfach in jedem Augenblick mit Vertrauen das aufgeben, was uns vom Weg trennt.
In seiner Unterweisung über Leben und Tod sagte Meister Dogen: „Wenn ihr euren Körper
und Geist aufgebt, betretet ihr das Haus Buddhas. Dann ist es Buddha, der euch leitet, und ihr
braucht ihm nur noch folgen, ohne Anstrengung, ohne nachzudenken, befreit von Leben und
Tod. So werdet ihr selbst Buddha.“
Anders gesagt, ihr werdet zu dem, was ihr schon seit jeher seid: eins mit der höchsten Wirklichkeit,
die uns nie verlassen hat, die aber viel zu oft in Vergessenheit geraten ist. Zazen ist
dazu da, um sie uns in Erinnerung zu rufen. Die Praxis drückt sie unbewusst und natürlich
aus, als Geschenk, als Fuse für alle Wesen. So wie der Schnee, der im Winter fällt, und die
Blumen, die sich im Frühling öffnen, die Früchte, die im Sommer reifen und die Blätter, die
im Herbst fallen. Unbewusst und natürlich.

Veröffentlicht in Roland.