Leben, Tod, Karma – 05.2004 – Grube Louise

Die hier abgedruckten Kusen wurden von Roland Rech in der Zeit vom 15. – 23. Mai 2004
während des Sesshins in Grube Louise auf französisch gehalten und direkt ins Deutsche
übersetzt.

Samstag, 15. Mai 2004, 7.30 Uhr
Konzentriert euch von Beginn des Zazen an auf die wichtigen Punkte eurer Haltung. Bei jedem
Zazen so, als ob es das erste mal wäre, auch nach 20 Jahren Zazen, nach 30 Jahren. Die Praxis
muss immer frisch und neu sein. Zazen praktizieren heißt, ständig zum hier und jetzt unseres
Lebens zurückzukehren. Dazu ist es wesentlich, in Einheit mit seinem Körper zu sein, indem
man gut das Becken nach vorne neigt und mit den Knien fest in den Boden drückt, ohne eine
willentliche Anstrengung zu machen, nur dank der richtigen Höhe des Zafus.
Wenn ihr eine muskuläre Anstrengung in der Nierengegend machen müsst, müsst ihr das Zafu
erhöhen. Dann entspannt gut den Bauch und lasst euer Körpergewicht auf das Zafu drücken.
Setzt euch so hinsetzt, als ob ihr wolltet, dass der Anus das Zafu nicht berührt. Ausgehend von
dieser stabilen Basis des Sitzens streckt man gut die Wirbelsäule, indem man alle Spannungen
des Rückens loslässt.
Das Kinn ist zurückgezogen, und man streckt den Nacken, so als wolle man mit dem
Scheitelpunkt des Kopfes in den Himmel drücken. Die Schultern sind entspannt. Man muss den
richtigen Tonus finden, weder zuviel Anspannung noch zuviel Entspannung. Das Gesicht ist gut
entspannt, der Blick ist direkt vor einem auf den Boden gerichtet. Vermeidet es, die Augen zu
schließen, weil man dann ganz schnell einschläft. Man darf aber auch nicht durch die visuellen
Reize um einen herum gestört sein. Man sieht nur das, was vor einem ist, ohne sich daran zu
klammern. Genauso sieht man Gedanken, Empfindungen, Gefühle auftauchen, ohne sich ihnen
zu verhaften. Man wird sich ihrer für einen Augenblick bewusst und lässt sie vorbeiziehen.
Schließlich richtet man seine Aufmerksamkeit auf die Haltung der Hände. Die linke Hand liegt
in der rechten Hand, die Daumen sind waagerecht, die Handkanten in Kontakt mit dem
Unterbauch. In dieser Haltung fabrizieren die Hände nichts, ergreifen nichts. Auch wenn sie
konzentriert sind, miteinander in Kontakt, bleiben sie dennoch geöffnet. Diese Haltung heißt
Hokaijoin. Hokai bedeutet ‚Ozean des Dharma’. Das heißt, das ganze Universum, alle
Erscheinungen drücken das Dharma Buddhas aus – und umgekehrt. Join ist das Siegel.
Wenn man sich so auf die Hände konzentriert, beruhigt sich der dualistische Geist. Man folgt
nicht seinen Gedanken, man haftet nicht an ihnen. Man gibt sogar alle Absichten auf. Man ist nur
in Haltung und Atmung gegenwärtig. Letztlich denkt man nicht einmal mehr an Haltung und
Atmung. Man wird nur noch Körper-Geist, der in Zazen sitzt. Es gibt einen Körper und einen
Geist in Zazen, aber ohne Ego, ohne Absicht, ohne Anhaftung an den Gedanken „Nun mache ich
Zazen“, ohne die Absicht irgend etwas besonderes durch Zazen zu erlangen, ohne Leere in
seinem Geist herstellen oder nicht mehr denken zu wollen.
In diesem Moment gibt es keine Trennung mehr zwischen sich selbst und Zazen, zwischen sich
selbst in Zazen und dem gesamten Universum. Der Geist der Trennung ist aufgegeben. So wird
der Geist friedlich, ohne etwas zu ergreifen oder zurückzuweisen. Wenn man so praktiziert, wird
die Praxis selbst die Verwirklichung des Weges. Sie ist keine Übung.
Diese Art und Weise, in Einheit mit unserer augenblicklichen Wirklichkeit zu sein, kann
während des ganzen Sesshin andauern, während jedem Moment unseres täglichen Lebens. Das
ist der Sinn unserer Praxis. Wenn man dies durch Denken verwirklichen möchte, ist das nicht
möglich. Doch indem man einfach mit seiner Haltung und seiner Atmung vertraut wird,
verwirklicht es sich unbewusst und natürlich. Jeder Augenblick der Praxis wird zur
vollkommenen Verwirklichung, es gibt nichts darüber hinaus zu erwarten. Die Praxis wird in
sich selbst vollständig. Es gibt nichts außerhalb der Praxis, alles wird zur Praxis. So kann man
selbst die Praxis vergessen. Wenn alles zur Praxis wird, gibt es keine Praxis mehr. Nur das
Leben in Harmonie mit unserer Wirklichkeit jeden Augenblicks.

Samstag, 15. Mai 2004, 16.30 Uhr
Mondo
F: Im Atelier über das Thema ‚Leben und Tod’ haben wir über einen Text von Dogen
gesprochen. Er warnt uns davor, in die Falle von Leben und Tod zu gehen. Wir dachten, nicht
in den Dualismus zu fallen bedeutet, Leben und Tod nicht einander gegenüber zu stellen,
sondern vielmehr, Leben und Tod als etwas zu betrachten, das ein Ganzes bildet.
RR: Ja, das ist richtig. Leben impliziert Tod. Das Kanji Sho von Shoji bedeutet zugleich Leben,
aber auch Geburt. Geboren zu werden hat als automatische Konsequenz, dass man eines
Tages sterben muss. Alle Wesen, die eine Geburt haben, haben einen Tod. In diesem Sinne
ergänzen sich beide, so wie es keinen Tag ohne Nacht gibt, keine Nacht ohne Tag. Wenn
man akzeptiert, geboren zu werden – und vom buddhistischen Standpunkt aus gesehen sind
wir normalerweise für unsere Geburt verantwortlich -, impliziert das, zu akzeptieren, dass
man stirbt, denn man kann nicht nur geboren werden wollen – leben und nicht sterben -,
denn beide sind völlig miteinander verbunden.
Der Weg Buddhas bestand in der Suche danach, nicht zu sterben, d.h. nicht geboren zu
werden, um das Leiden zu vermeiden. Die einzige Lösung dafür, nicht Unbeständigkeit
Alter und Tod erdulden zu müssen, ist nicht geboren zu werden. Wenn man geboren wird,
ist es sicher, dass man altern wird, krank werden und sterben wird.
In seinem Erwachen hat Buddha das verwirklicht, was man später die Nicht-Geburt genannt
hat, die Erfahrung der Nicht-Geburt. Diese Erfahrung der Nicht-Geburt ist die Erfahrung der
Tatsache, dass es in Wirklichkeit kein Ego gibt, das geboren wird, kein substantielles Ego,
auch wenn es Elemente gibt, Aggregatzustände, die sich vereinigen und ein Neugeborenes
bilden. Wenn es ein relatives Ego gibt, d.h. man sich mit der Zeit bestimmte Verhaltensweisen
aneignet, eine bestimmten Identitätsauffassung entwickelt, so liegt das bereits in der
Sprache: Man gewöhnt sich an, ‚ich’, ‚mir’ zu sagen und glaubt schließlich, dass dies einem
speziellen Wesen entspricht.
Die Praxis von Zazen bedeutet zu realisieren, dass es im Grunde, in Wirklichkeit, kein Ego
gibt, d.h. den Zustand der Nicht-Geburt, der Nicht-Getrenntheit zu realisieren. Diesen
Zustand der Nicht-Geburt, den man in Zazen erfahren kann, wenn man sich nicht mit seinen
Gedanken identifiziert, mit den Ideen, die man sich über sich selbst macht, nennt Buddha
Nirvana.
Das zentrale Thema des Kapitels Shoji des Shobogenzo ist nicht die Dualität von Leben und
Tod, es ist die Dualität zwischen Leben und Tod, d.h. dem Samsara, einerseits und dem
Nirvana andererseits, der Prozess von Samsara und von Nirvana.
Natürlich könnt ihr euch in dem Atelier Fragen über Leben und Tod stellen. Aber das
zentrale Thema ist LebenundTod bezogen auf die Befreiung, das Erwachen, das Nirvana.
Sich von beidem zu befreien, sowohl von Geburt als auch von Tod, über Geburt und Tod
hinauszugehen.
F: Wir haben uns gefragt, ob die Antwort darauf nicht wäre, dass, wenn man im Leben ist, man
ausschließlich im Leben ist, wenn man im Tod ist, man ausschließlich im Tod ist, dass man
nichts anderes tun muss, als sich dem Tod zu stellen, ihn zu nehmen, wenn er kommt, ihn
akzeptieren.
RR: Ja, das ist die Art, jenseits aller Dualität zu praktizieren, eins mit der Wirklichkeit jeden
Augenblicks zu werden. Das Leiden des Samsara liegt darin, dass man auf eine dualistische
Funktionsweise des Geistes zentriert ist: Man hat etwas und hat Angst, es zu verlieren. Man
hat etwas nicht und will es erhalten. Man lebt, aber man denkt an den Tod, hat Angst zu
sterben. Man ist immer in Sorge, etwas zu verlieren, weil man zu stark anhaftet und nicht
realisiert hat, dass es im Grunde nichts gibt, das man ergreifen kann, nichts, das man
verlieren kann.
Das ist die absolute Wirklichkeit. Man muss gut verstehen, dass es immer zwei Ebenen des
Verstehens gibt: Auf der relativen Ebene kann man natürlich etwas verlieren, jeder macht
die Erfahrung von Verlust. Aber auf einer absolute Ebene gibt es keinen wirklichen Besitz,
also ist auch kein Verlust möglich.
Die Unterweisung Dogens in Bezug auf den Verlust des Lebens, die wichtigste Sorge des
Menschen – und das war bereits die Unterweisung Buddhas -, ist, nicht so sehr an den Tod
zu denken, sondern sich vielmehr, indem man sich bewusst wird, dass man sterblich ist, auf
das Leben in jedem Augenblick zu konzentrieren, jeden Augenblick des Lebens absolut zu
machen.
Sich ab und zu daran zu erinnern, dass man sterblich ist, dass man sterben wird, ist
stimulierend. Das ist ein bisschen wie der Kyosaku im Zazen. Das bedeutet, nicht zu sehr an
das zu klammern, was unbeständig ist, sondern im Gegenteil das zu praktizieren, was
wichtig ist, d.h. ganz jeden Augenblick in einer vollkommenen Einheit zu leben, ohne an
davor, an danach, an woanders zu denken.
F: Aber ist das nicht eine Dualität?
RR: Nein. Aber wenn man es erklärt, wird alles dualistisch durch die Erklärungen,
zwangsläufig, weil man Worte benutzt. In der Praxis ist es kein Dualismus, es ist eine
Erfahrung. Alle Zen-Meister – und Dogen ganz besonders – stellen nicht so sehr Theorien
auf, sie laden dazu ein, Erfahrungen zu machen. Dogens Unterweisung ist sehr einfach:
„Wenn ihr lebt, lebt vollständig. Wenn der Moment des Sterbens kommt, sterbt.“ Punkt.
In der Erfahrung gibt es keine Dualität. Aber wenn man anfängt darüber nachzudenken, wie
du es machst, ist das Denken zwangsläufig dualistisch. Deshalb ist die Befreiung ausgehend
vom Mentalen nicht möglich. Erklärungen zeigen lediglich eine Richtung für die Praxis.

Sonntag, 16. Mai 2004, 7.30 Uhr
Statt seinen Gedanken zu folgen, folgt man während Zazen seiner Atmung. Beobachtet, wie ihr
atmet, und folgt aufmerksam dem Fluß der Luft, die durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt.
Meister Deshimaru hat eine besondere Art unterwiesen, sich auf die Atmung zu konzentrieren,
die darin besteht, bis ans Ende jeder Ausatmung zu gehen, indem man gut auf die Eingeweide
nach unten drückt, ohne den Bauch einzuziehen. Das erlaubt es, die Energie im Hara zu
konzentrieren und schnell die geistige Aktivität zu stabilisieren, die Gefühle zu befrieden, die
Gedanken zu beruhigen.
Manchmal ist es schwierig, auf diese Weise zu atmen, wenn man Blockaden hat. In diesem Fall
ist man einfach aufmerksam auf die Wahrnehmung der Luft, die durch die Nasenlöcher strömt.
So entspannen sich Körper und Geist ganz natürlich und schließlich vertieft sich die Atmung auf
natürliche Weise. Das ist weniger schnell, als wenn man sich willentlich auf die Ausatmung
konzentriert. Aber man ist nicht gezwungen, die Kraft seines Willens zu benutzen.
In Zazen ist es wichtig, letztlich alle Absichten aufzugeben, alle Gegenstände. Wenn ihr euch für
einen kurzen Augenblick auf die Ausatmung konzentriert, indem ihr gut auf die Eingeweide
nach unten drückt, um die Empfindung der Stabilität zu finden, dann gebt anschließend selbst
diese Bemühung auf. Gebt euch einfach damit zufrieden, zu beobachten, was natürlicherweise
während der Atmung passiert, und gebt dann auch diese Beobachtung auf und seid einfach dieser
Körper und dieser Geist, der atmet, ohne Trennungen zu schaffen, indem ihr euer eigenes Ego in
der Atmung aufgebt, das heißt, den Willen aufgebt, ein bestimmtes Ergebnis erzielen zu wollen,
einfach gegenwärtig seid in dem, was jeden Augenblick passiert.
Wie dem auch sei, weder ergreift man seine Gedanken, noch widersetzt man sich ihnen. Das ist
die grundlegende Haltung von Zazen: die Befreiung von allem Ergreifen und von allem
Zurückweisen. Das ist genau das, was der Buddha als Nirvana bezeichnet hat – der Friede des
Geistes. Von Gier und Hass befreit zu sein, ermöglicht es, dieses Nirvana, diesen inneren
Frieden inmitten von Shoji, von Leben und Tod, zu realisieren, inmitten der Welt der
Phänomene, in der Geburt und Tod ohne Unterlass aufeinander folgen. Ohne sich an das
Erscheinen zu klammern, ohne das Verschwinden zu bedauern. Selbst wenn eine Anhaftung oder
ein Bedauern auftauchen, sieht man dies einfach nur und akzeptiert es als das, was es ist, ohne
sich daran zu haften, und ohne es zu bedauern. So kann sich unsere Sicht klären. Man kann
aufnahmefähig für die Wahrheit werden, die sich überall manifestiert.
Das veranlasste Meister Wanshi zu sagen, dass die vollkommene Sicht keine Trennung schafft.
Dann kann man realisieren, dass die Berge, die Prärien, die Wälder schon immer die Wahrheit
dargelegt haben. Indem man für diese Unterweisung, die sich überall manifestiert,
aufnahmebereit ist, kann man verstehen, dass sie wie die Stimme Buddhas ist, die niemals
schweigt, die sich überall ausdrückt: in der Bewegung der Bäume, die sich im Wind wiegen, in
den Blüten der Bäume des Frühlings. Alles drückt die Wirklichkeit aus, so wie sie ist.
Das ist es, womit uns die Praxis von Zazen ganz vertraut in Kontakt bringt.

Sonntag, 16. Mai 2004, 16.30 Uhr
Laßt während Zazen die Augen gut geöffnet. Der Blick einfach ruht vor einem auf dem Boden.
Man versucht nicht, die visuellen Gegenstände um sich herum zu unterdrücken. Man
konzentriert sich einfach darauf zu sehen, was ist, ohne dabei von den Objekten gestört zu
werden, aber auch ohne von ihnen angezogen zu sein. Das gleiche gilt für die Geräusche: Man
verhaftet sich nicht dem Gesang der Vögel, man läßt sich auch nicht von den Geräuschen seiner
Nachbarn stören. Man schaut natürlich auch nicht aus dem Fenster, um die Landschaft zu
bewundern.
Das bedeutet, die Funktionsweise unseres persönlichen Bewusstseins, unseres egoistischen
Bewusstseins aufzugeben. Man unterhält sie nicht. So wird keinerlei Trennung geschaffen. Der
Geist in Zazen ist ohne Dualität. Das ist wie das, was ich über die Haltung gesagt habe: Es bin
nicht ich, der sich auf die Haltung konzentriert, und die Haltung ist nicht der Gegenstand meiner
Konzentration. In Zazen wird man vollständig dieser Körper und Geist in Einheit in der Haltung.
Man atmet tief ein und aus. Man kann sagen, dass man eingeatmet und ausgeatmet wird: Es gibt
kein Ego, das einatmet und ausatmet. Das Ego ist in der Praxis aufgegeben, es ist von der Praxis
aufgesaugt, absorbiert. So kann die Welt ohne Trennung, ohne Dualität entstehen, ganz natürlich.
Das ist nichts Abstraktes, keine Idee. Es ist genau die Erfahrung der Praxis hier und jetzt.
Wanshi sagt: “Die Sinne und die Gegenstände verschmelzen. Prinzip und Weisheit sind Einheit.“
Wenn dieser Geist im täglichen Leben genauso funktioniert, wenn man etwas anschaut, zum
Beispiel eine Blume oder einen Baum, kann man diese Blume oder dieser Baum werden. Vor
allem, wenn man einer Person begegnet, kann man diese Person werden. Das geschieht, wenn
der Geist, der sich trennt, der sich entgegensetzt, aufgegeben wird.
Jeder hat bereits diese Erfahrung bei der Geburt gemacht: In den ersten Tagen, den ersten
Wochen unseres Lebens schaffen wir keine Trennung zwischen uns selbst und den anderen.
Dann hat man gelernt, man selbst zu werden, getrennt zu sein und man hat den Aspekt der Nicht-
Getrenntheit, der Einheit vergessen. Indem man Zazen praktiziert, kann man diese Dimension
der Nicht-Getrenntheit wiederfinden, ohne dabei seine eigene Identität zu verlieren. Man kann
sie einfach frei aufgeben. So sind Weisheit und Prinzip Einheit.
Das Prinzip ist das, was unser Leben begründet: In Wirklichkeit sind wir von nichts getrennt.
Wir leben in wechselseitiger Abhängigkeit mit allen Wesen. Das ist das grundlegende Prinzip
des Buddhismus und unseres Lebens. Weisheit besteht darin, sich ganz konkret, sich wirklich
damit zu harmonisieren, nicht nur ein Prinzip daraus zu machen. Dann wird es zur gelebten
Realität unserer Existenz. So wie Wanshi sagt: „Man selbst und die anderen sind ähnlich. Geist
und Dharmas werden eins.“ Das bedeutet, der grundlegenden Erfahrung unseres Lebens zu
begegnen. Das ist etwas, das wir seit langem vermieden haben, weil wir zu sehr damit
beschäftigt waren, unser kleines Ego zu stärken.
Zazen konfrontiert uns mit dem, was wir lange vermieden, was wir zurückgewiesen haben. Weil
es unsere vertraute tiefe Wirklichkeit ist, ist es, wenn wir sie akzeptieren, wirklich so, wie nach
Hause zu kommen.

Mondo
F: Man sagt dass während der Nonnen- und Mönchsordination das Karma abgeschnitten wird.
Was bedeutet das, und wie kann ich das im täglichen Leben erkennen?
RR: Das heißt, dass ausgehend von der Mönchs- oder Nonnenordination die Praxis des Weges
das Motiv unserer Handlungen, die Wurzel unseres Lebens sein wird. Das ist die Bedeutung
des Gelübdes, Nonne zu sein. Es sind nicht mehr die Wünsche unseres Egos, die das Karma
schaffen, sondern es ist Bodaishin, der Geist des Weg, der zum Steuer wird. Das ist es, was
das Karma abschneidet, dieses Gelübde, diese Entscheidung.
Unglücklicherweise funktioniert das nicht hundertprozentig: Selbst wenn man die
Ordination empfangen und dieses Gelübde abgelegt hat, behält man trotzdem einen Rest
von Anhaftungen und Konditionierungen; unser Ego erwartet, fordert weiterhin
Belohnungen und Befriedigungen. Also kann man, selbst wenn man Mönch oder Nonne ist,
neues Karma schaffen. Das stellt man jeden Tag fest. Aber das ist normalerweise nicht mehr
das, was unser Leben in erster Linie lenkt.
Darüber hinaus ist es Teil unserer Praxis, selbst wenn man weiterhin Wünsche und
Aversionen hat und dies neues Karma schafft, sich dessen bewusst zu werden und das, was
geschieht, umzuwandeln. So können sogar Illusionen und Fehler zur Gelegenheit werden zu
erwachen. Aber man muss sich natürlich daran erinnern, dass es unser Gelübde ist, unser
Leben zur Praxis des Weges zu machen. Man lebt weiterhin in dieser Welt des Egos, in
dieser Welt des Karmas, aber man erhellt sie. Es gibt immer dieses Bewusstsein, das das
erhellt, was passiert. Das verhindert normalerweise, dass man zu sehr von den Phänomenen
angetrieben wird. Normalerweise… Aber das ist nicht immer so. Das ist keine
hundertprozentige Versicherung.
Doch selbst wenn man sich täuscht, hat man trotzdem einen Orientierungspunkt, um sich
dessen bewusst zu werden, dass man sich getäuscht hat. Wohingegen es in den meisten
Fällen für gewöhnliche Leute diese Orientierung nicht gibt. Für sie ist die Täuschung die
Wahrheit. Es gibt keinen Irrtum, da ihre einzige Perspektive darin besteht, ihre egoistischen
Wünsche zu befriedigen. Das ist die Normalität der meisten Leute. Es gibt also für die
gewöhnlichen Leute keine Irrtümer. Sie sind sich dessen nicht bewusst, dass sie sich irren.
Es sind nur die Folgen des Karmas – das Leiden, das entsteht – die sie bewusst werden
lassen, dass sie vielleicht einen Fehler gemacht haben.
Aber wenn man Mönch oder Nonne ist, muss man nicht auf die Leiden warten, um sich
dessen bewusst zu werden, dass man einen falschen Weg gegangen ist. – Normalerweise.
Das ist natürlich das Ideal, in der Praxis sieht das sicherlich anders aus. Das funktioniert
nicht immer so wunderbar. Aber das ist die Richtung.
F: Das betrifft das zukünftige Karma, aber was ist mit dem alten Karma?
RR: An dem vergangenen Karma kann man nichts machen. Man kann das vergangene Karma
nicht ändern. Was man machen kann, ist, die Konsequenzen dieses Karmas zu verändern.
Das, was man die Ergebnisse oder die Früchte des Karmas nennt, kann man verändern.
Aber das alte Karma an sich, das, was passiert ist, kann man nicht mehr verändern. In der
Unterweisung Buddhas sind die Wirkungen des Karmas nichts Unausweichliches. Sie
können durch die Praxis verändert werden. Das ist kein Automatismus. Wenn man sich auf
die Praxis des Weges, die Gebote, die Paramita konzentriert, sind die schlechten Effekte
des schlechten vergangenen Karmas vermindert.
F: Es ist zwei Jahre her, dass ich das erste Sesshin gemacht habe. Neun Tage danach habe ich
bemerkt, dass sich etwas verändert hatte. Ich habe bemerkt, dass es einen Pfad zurück in
meine Vergangenheit, in meine Jugend gab. Bis zu diesem Zeitpunkt war es für mich nicht
möglich zurückzugehen. Ich habe diesen Pfad gefunden und konnte wieder erleben, wie es
war. Das war positiv für mich. Aber gestern habe ich gehört, dass du gesagt hast, dass jeder
Mensch für alles verantwortlich ist, was in seinem Leben passiert, selbst für Dinge, die in der
Jugend geschehen sind. Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren, weil ich zurückschauen kann
auf das, was passiert ist. Ich kann damit etwas Positives machen, aber ich bin nicht
verantwortlich dafür. Das geht mir einfach zu weit. Meine Frage ist: Habe ich das richtig
verstanden?
RR: Die Dinge, die einem Kind passiert sind, hat das Kind häufig nicht gewollt, hat sie nicht
wirklich bewusst ausgewählt. Aber auf dem Weg Buddhas denkt man, dass es nicht nur ein
Leben gibt. Da liegt das Problem. Das heißt, dass selbst der Ort unserer Geburt, die Familie,
in die man geboren wird, mit den Vorteilen dieser Geburt, aber auch mit ihren Nachteilen,
Frucht eines vorangegangenen Karmas ist. Aber es ist nicht das Kind selbst, das für seine
Geburt verantwortlich ist, sondern das Wesen, das dieser Geburt vorangegangen ist, dessen
Fortsetzung die Geburt ist.
Es ist so, dass man erst ab dem Alter, wo man den Verstand entwickelt hat, entsprechend die
Verantwortung für seine Handlungen und ihre Wirkungen übernehmen und damit
entscheiden kann, etwas zu verändern oder sich etwas zu widersetzen. Vom Standpunkt der
Unterweisung Buddhas aus muss man sich seiner selbst und der Konsequenzen seiner
Handlungen bewusst sein, um verantwortlich zu sein.
Ein kleines Kind, ein Säugling, besitzt dieses Bewusstsein nicht. Darüber hinaus kann ein
Kind auch Handlungen von Erwachsenen erleiden, ohne etwas gegen sie machen zu können,
weil es zu schwach ist. Natürlich ist es nicht für die Handlungen der Erwachsenen ihm
gegenüber verantwortlich.
Wenn ich also von der Verantwortung für unser Leben gesprochen habe, dann wollte ich
einfach sagen, dass unser Leben nicht mit unserer Geburt beginnt und dass diese Geburt das
Resultat eines vergangenen Karmas ist. Unsere Verantwortung in diesem Leben besteht
darin, diese Situation umzuwandeln; gegebenenfalls, indem wir in eine Praxis wie die des
Zen eintreten.
F: Hat Buddha selbst schon von Karma gesprochen, oder kam das erst später dazu?
RR: Nein, er hat nicht nur davon gesprochen, sondern es ist sogar Teil seines eigenen
Erwachens. Er hat viele Male davon gesprochen, wie die Nacht verlaufen ist, in der er das
Erwachen erlebt hat.
F: Für mich ist die Idee des Karma neu und schwer zu akzeptieren und auch zu verstehen.
RR: Das stimmt, es ist schwer. Aber diese Idee nicht zu akzeptieren, macht die Dinge noch
schwieriger!
F: Danke.

Montag, 17. Mai 2004, 7.00 Uhr
Vergeudet während Zazen nicht eure Zeit damit, eure Gedanken wiederzukäuen. Meister
Deshimaru sagte uns immer: „Ihr müsst Zazen so praktizieren, als ob ihr euch in euren Sarg
legen würdet.“ Wenn man in diesem Bewusstsein praktiziert, wird man sicherlich keine Zeit
damit verlieren, Anhaftungen zu unterhalten, die man auf jeden Fall bald aufgeben muss. Bevor
man stirbt, konzentriert man sich darauf, das zu realisieren, was zu realisieren wichtig ist.
Einige Monate bevor er starb, sprach Meister Deshimaru sehr viel von der Nicht-Angst. Als ich
ihn 1972 das erste Mal traf, sprach er von der Angst. Er sagte: „Ihr müsst Angst vor der
kosmischen Ordnung haben, Angst davor, ihr nicht zu folgen, euch nicht mit der Realität zu
harmonisieren.“ Aber bevor er starb, sprach er vor allem von der Nicht-Angst. Da das Thema der
Workshops in diesem Frühjahrslager den Tod betrifft, möchte ich gerne über die Unterweisung
von Shakyamuni über den Tod sprechen. Die erste betrifft das Thema der Angst. Bestimmt ist
das ein Thema, das jeden betrifft.
Eines Tages suchte ein Brahmane den Buddha auf. Er sagte zu ihm: „Unter den Menschen, die
dem Tod verfallen sind, gibt es niemanden, der keine Angst hätte, wenn er an den Tod denkt.“ –
Der Buddha antwortete ihm: „Ich stimme Ihnen nicht zu. Das ist nicht wahr. Unter den
Sterblichen gibt es Wesen, die keine Angst vor dem Tod haben. – Aber lasst uns zunächst
betrachten, wer diejenigen sind, die Angst vor dem Tod haben.“
Er spricht von vier Gruppen von Menschen, die Angst vor dem Tod haben. Zunächst gibt es
diejenigen, die nicht von ihren Leidenschaften und Wünschen befreit sind. Wenn sie eine
schwere Krankheit bekommen, denken diese Personen: ‚Meine Leidenschaften, die ich so geliebt
habe, werden sich von mir trennen. Die Wünsche, die ich hatte, kann ich nicht mehr unterhalten,
nicht mehr verwirklichen.’ Indem sie so an ihre Leidenschaften und Wünsche denken, werden
sie traurig, beklagen sich und bekommen Angst.
Das Gleiche gilt für diejenigen, die nicht frei von Wünschen bezüglich ihres Körpers sind. Wenn
sie eine schwere Krankheit bekommen, beklagen sie sich und bekommen Angst. Sie denken:
‚Dieser Körper, den ich derart geliebt habe, wird sich bald von mir trennen.’ Außerdem leiden
diese Menschen bereits aufgrund ihrer Krankheit an ihrem Körper. Also trauern sie der Zeit
nach, in der ihr Körper sich guter Gesundheit erfreute. Sie können die gegenwärtige Situation
nicht akzeptieren, weil sie ihrem eigenen Körper stark verhaftet sind.
Dann gibt Menschen, die nicht die rechten Handlungen begannen haben. Sie haben z.B. nicht
den Personen geholfen, denen sie hätten helfen können. Sie haben nicht die Handlungen
begannen, die sie hätten begehen sollen. Sie haben ihre Zeit damit verloren, unnütze Handlungen
zu begehen, z.B. Reichtum, Ehre, unnützes Wissen anzuhäufen. Sie haben sogar grausame Taten
begangen, die andere Leute haben leiden lassen. Kurz, sie haben das gemacht, was sie nicht
hätten machen sollen, und nicht das gemacht, was sie hätten machen sollen. Wenn diese Leute
glauben, dass sie bald sterben werden, sind sie natürlich voller Bedauern und Ängste.
Letztlich gibt es die Menschen, die im Zweifel sind, denen es nicht gelungen ist, das Erwachen
zu realisieren, zur Wirklichkeit, so wie sie ist, zu erwachen. Wenn sie spüren, dass sie bald
sterben werden, sind auch sie voller Bedauern, dass sie nicht die Wahrheit in ihrem Leben
realisiert haben, dass sie mit all ihren Zweifeln werden sterben müssen.
Das sind die Menschen, die eine sehr große Angst vor dem Tod haben.
Das heißt aber umgekehrt, dass es andere Menschen gibt, die keine Angst vor dem Tod haben.
Das sind offensichtlich diejenigen, die die entgegengesetzte Haltung realisiert haben. Diesen
Punkt unterstreicht Buddha: Diejenigen, die sich von ihren Bonnos, von ihren Leidenschaften
und Wünschen befreit haben, beklagen sich nicht, wenn sie sehr krank werden und spüren, dass
sie sterben müssen. Sie haben keine Angst davor, den Gegenstand ihrer Leidenschaften und
Wünsche zu verlieren.
Ebenso werden die, die frei von der Anhaftung an ihren eigenen Körper sind, nicht von der Idee
geängstigt, den Körper, den sie so sehr geliebt haben, zu verlieren.
Genauso ergeht es denen, die immer die rechten Handlungen begannen haben, die den anderen
geholfen haben, die kein Leiden um sich herum geschaffen haben. Diese Personen können ohne
Bedauern und ohne Angst sterben.
Auch diejenigen, die das Erwachen realisiert haben und zur Wahrheit erwacht sind, die all ihre
Zweifel aufgegeben und ein tiefes Vertrauen realisiert haben, das auf ihren Erfahrungen beruht,
haben keine Angst vor dem Tod.
All diese Personen können dem Tod mit Vertrauen entgegentreten, mit großem Frieden des
Geistes, weil sie sich nicht sagen: ‚Es ist zu früh. Ich habe noch zu viele Wünsche zu
verwirklichen, zu viele Dinge zu verstehen, muss noch falsche Handlungen korrigieren.’ Diese
Personen sind bereit, sich sofort in ihren Sarg zu legen. Ohne Angst, ohne Bedauern.
Selbstverständlich ist es besser, nicht auf den Moment des Sterbens zu warten, um diesen
Zustand zu realisieren. Deshalb hat uns Meister Deshimaru sehr oft daran erinnert, Zazen so zu
praktizieren, als ob wir uns in unseren Sarg legen würden. Und Kodo Sawaki empfahl, so zu
leben, als wenn man sterben würde, sodass man, wenn man stirbt, nicht bedauern muss, nicht das
praktiziert zu haben, was man hätte praktizieren sollen, und nicht das vermieden zu haben, was
man hätte vermeiden sollen.
In der Unterweisung Buddhas, in der Unterweisung des Zen gründet die Nicht-Angst vor dem
Tod nicht auf einem Glauben an etwas, was nach dem Tod kommt, sondern sie basiert darauf,
jeden Tag ein rechtes Leben zu führen., So wird der Gedanke an den Tod – statt Ursache von
Angst zu sein – zur Stimulation für eine rechte Praxis, ein rechtes Leben, wird zur Quelle des
Lebens.

Montag, 17. Mai 2004, 16.30 Uhr
Während Zazen ist unser Geist häufig wie der eines Insektes, das herumfliegt und sich
schließlich auf etwas setzt, statt kehrt zu machen und direkt durch die große, offene Tür nach
draußen zu fliegen, die in die Natur führt. Für das Insekt wäre das seine Befreiung. Deshalb muß
es aufhören, sich ständig auf etwas niederlassen zu wollen.
Einige erhoffen durch Zazen einen besonderen Geisteszustand erlangen zu können, die
Erinnerungen an ihre Kindheit wieder zu finden, besser ihre Wünsche, ihre Motivation zu
erkennen, besser ihr Ego zu erkennen, das Mittel zu finden, um es im Leben besser zu
befriedigen. Andere suchen besondere spirituelle Zustände in der Hoffnung, sich auf etwas
ausruhen zu können. Demgegenüber ist der wahre Geist, der in Zazen zu verwirklichen ist, ein
Geist, der auf nichts stehen bleibt, der nichts erwartet und der nichts zurückweist. Das ist vor
allem ein Geist, der wirklich von den Sorgen unseres Ego befreit ist. Das bedeutet, Zazen nicht
für dessen Befriedigung zu benutzen, sondern den Zustand zu entdecken, der frei von diesem
Ego ist.
So hat Buddha Shakyamuni einem Laienschüler empfohlen, einen anderen Schüler zu begleiten,
der krank war und kurz vor dem Tod stand. Der Laienschüler war gekommen, um Buddha um
Rat zu fragen. Buddha sagte ihm zunächst, dass es vier Arten von Trost gibt, mit denen er helfen
kann:
 Zunächst das heitere Vertrauen in Buddha zu bewahren. – Im Zen würde man nicht nur
sagen, in Buddha Shakyamuni, sondern in unsere wahre Buddhanatur.
 Weiterhin Vertrauen in das Dharma zu bewahren. Das erlaubt es, sich augenblicklich von
allen Leiden zu befreien.
 Ebenso das Vertrauen in die Sangha zu bewahren, in die Gemeinschaft.
 Und da es sich um einen Laienschüler handelte, auch das Vertrauen in die Gebote zu
bewahren, die er bis zu diesem Augenblick beschützt hat.
Das erlaubt es, den Geist in Frieden zu halten und die rechte Konzentration zu finden.
„Wenn dieser Laienschüler sich Sorgen um seine Angehörigen, seine Frau, seine Kinder, seine
Eltern macht, müsst Ihr ihm sagen, dass seine Sorgen nichts nützen, dass sie weder seiner
Familie helfen, noch ihn daran hindern wird zu sterben. Also soll er so gut wie möglich
versuchen, alle Sorgen aufzugeben.“
All diese Empfehlungen richten sich natürlich nicht nur an Sterbende. Das bedeutet
beispielsweise, sich nicht unnötig Sorgen zu machen. Es gibt Leute die sind ständig wegen allem
möglichen beunruhigt. Richtig ist es, sich nur um das Sorgen zu machen, was zu verändern in
unserer Macht steht, und sich wahrhaft darauf zu konzentrieren, aber sich nicht unnötig
beunruhigen.
„Wenn Ihr dann bemerkt,“ fährt Buddha fort, „dass dieser Schüler immer noch an seinen
Wünschen haftet, an den Sinnesfreuden, müsst Ihr ihm sagen, dass das Glück der himmlischen
Zustände unendlich viel höher ist als all diese Sinnesfreuden. So konzentriert sich der Schüler
darauf, diese verschiedenen Zustände der Glückseligkeit, die verschiedenen himmlischen
Zustände zu realisieren. Wenn er sie schließlich erreicht, müßt Ihr ihm sagen, dass diese
Zustände selbst völlig unbeständig sind.“
Natürlich sind sie den einfachen Sinnesfreuden vorzuziehen, aber sie sind ebenfalls unbeständig.
Man kann sich nicht auf diese Zuständen stützen, nicht in ihnen verweilen. Das gleiche gilt für
alle Zustände von Glückseligkeit, die manche in der Meditation realisieren.
Buddha schließt damit zu empfehlen, den Wunsch aufzugeben, diese Zustände zu erlangen, und
sich einfach nur darauf zu konzentrieren, das Ego aufzugeben. Nur dies. Das ist letztlich die
wichtigste Empfehlung Buddhas für die Begleitung dieses Sterbenden, die Anhaftung an seine
Individualität aufzugeben.
„Wenn er das realisiert,“ sagt der Buddha „unterscheidet sich dieser Laienschüler nicht mehr von
einem Mönch, der die große Befreiung verwirklicht hat.“
Diese Unterweisung Buddhas zur Begleitung eines Sterbenden zu verstehen, ist die beste
Begleitung für alle Lebenden, um das wahre Leben zu realisieren, das Leben jenseits der
Grenzen unseres kleinen Egos. Das ist es, was uns in unserem gesamten Leben, in unserer
ganzen Praxis begleiten soll und was es uns ermöglicht, die anderen wirklich zu begleiten, ihnen
wirklich zu helfen, nicht nur bestimmte Befriedigungen zu erlangen, sondern die große
Befreiung, die selbst über Glück und Unglück hinausgeht – jenseits aller unbeständigen
Zustände.

Mondo
F: In meiner Praxis habe ich eine Zeit lang den Eindruck gehabt, auf dem Weg zu sein, ohne
wirklich darauf zu sein, weil ich auf der Suche nach Verantwortlichkeiten war, nach
Anerkennung, nach Aufwertung. Es bedurfte dem Auftreten der Krankheit in meinem Leben,
dass ich mit der Zeit und mit deiner Hilfe das Leben sowohl in der Sangha wie auch das
gesellschaftliche Leben auf eine andere Art und Weise sehen konnte. Wir haben während des
Workshops die These aufgestellt, dass vielleicht Krisen, Krankheiten, Trennungen, Trauer,
Verluste eine offene Tür zum Leben hin sein können, zum Erwachen. Heute würde ich mein
Leben nicht gegen das Leben von vor einigen Jahren eintauschen. Ich möchte einfach wissen,
was du darüber denkst.
RR: Ich denke, dass das sehr gut ist. Das kann man eine gute Verwendung von Krisen nennen.
Ich denke, dass das für alle eine gute Lektion ist. Ich hoffe aber, dass nicht alle darauf
warten, eine schwere Krankheit zu bekommen, um dahin zu gelangen. Aber das ist ein sehr
schöner Beweis.
F: Kann man Verluste in allen Bereichen wirklich mit den Toden in seinem Leben gleichsetzten?
RR: Ja natürlich, es ist der Tod von etwas. Man hat an etwas gehaftet und verliert es, also kann
der Teil des Egos, der in das investiert hat, an dem man gehaftet hat, nicht mehr
funktionieren, kann nicht mehr existieren.
F: Kann das wirklich andauernd die offene Tür zu etwas anderem hin sein?
RR: Nein, nicht zwangsläufig. Es gibt Leute, die eine schwere Depressionen durchmachen und
sich umbringen. Es ist nicht unbedingt das Tor zur Befreiung. Deshalb ist es gut, dass so
etwas von einer Praxis des Weges begleitet wird und von der Hilfe eines Meisters oder von
jemandem, der dieser Person hilft.
Die meisten Leute sind deprimiert, wenn sie etwas verlieren, ihre Gesundheit, ihre Arbeit,
ihre Ehre, jemanden, den sie lieben, durch Tod oder Trennung. Die erste Reaktion ist häufig
eine Depression. Damit diese in eine Quelle des Erwachens umgewandelt werden kann,
muss es eine Praxis der Verwandlung geben, die es erlaubt, die Dinge anders zu sehen; eine
Praxis, die uns bewusst werden lässt, dass das, was wir verloren haben, dem wir nachtrauern
und von dem wir glauben, dass es die Bedingung für unser Wohlbefinden ist, etwas
sehr Unbeständiges, etwas sehr Relatives, sehr Unzuverlässiges war und nicht die wirkliche
Lösung, um den Frieden des Geistes zu finden. Nur ein Glück, das von nichts abhängt, ein
Glück, das nicht vom Haben abhängt, kann ein wahrhaft stabiles Glück sein. Häufig wird
man sich dessen erst bewusst, wenn man es verliert. Anfangs hat man kein Gefühl dafür,
dass es sich um etwas handelt, dem man nicht anhaften kann. Oft ist es der Verlust, der es
uns bewusst macht.
Wenn man beispielsweise dem Weg Buddhas folgt, sagt man sich anlässlich eines
Verlustes: „Ach, dann ist die Unterweisung Buddhas wirklich richtig!“ Das führt dazu, dass
man die Unterweisung des Loslassens vertieft und selbst loslassen möchte. Aber wenn
jemand sich nicht auf die Unterweisung Buddhas beziehen kann, wenn sein einziger Bezug
sein kleines Ego ist, das etwas behalten will, gibt es für ihn, wenn er etwas verliert, nichts
mehr und er ist deprimiert. Damit eine Krise Nutzen bringt – und das ist etwas sehr Tiefes,
sehr Wahres – ist es daher erforderlich, dass sie von einer Unterweisung, einer Praxis und,
wenn möglich, von einem Lehrer begleitet wird.
F: Vor zwei Tagen hast du von zwei Wirklichkeiten gesprochen, der einen, die relativ ist, und
der anderen, die absolut ist. In der relativen Wirklichkeit kann man erfahren, dass man sich an
etwas klammert und dass man jemanden verlieren kann. In der absoluten Wirklichkeit gibt es
keine Trennung. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die relative Wirklichkeit das, was wir
im Alltag erfahren. Aber ist die absolute Wirklichkeit dann eine Theorie?
RR: Nein, ganz und gar nicht. Man kann auch sie erfahren, aber von einem anderen Standpunkt,
dem Standpunkt der Leerheit aus. Das ist der Standpunkt, die Wirklichkeit so zu sehen, wie
sie im Grunde ist.
Zum Beispiel habe ich, seit ich klein bin, einen bestimmten Charakter entwickelt, bin eine
Person mit einer Geschichte. Also habe ich ein Ego. Das ist die relative Wirklichkeit und
tatsächlich hat in diesem Sinne jeder ein Ego, das er zu befriedigen, zu verteidigen, zu
bestätigen sucht. Man möchte als jemand Gutes anerkannt zu werde, zum Beispiel befördert
werden. Das ist der Narzissmus des Ego.
Aber wenn man auf den Grund schaut, sieht man, dass all das, was man “Ich“, “mein Ego“
nennt, nur geistige Konstrukte sind, Gedanken, die man unterhält, Ideen, die man sich über
sich selbst macht. Man versucht etwas zu erschaffen, das einigermaßen stabil scheint. Aber
wenn man die Wirklichkeit betrachtet, sieht man, dass es keine Substanz gibt. Das ist die
absolute Wirklichkeit, die tiefe, reale Wirklichkeit, die man intuitiv während der Praxis von
Zazen wahrnehmen kann.
Wenn ich mich in Zazen anschaue, kann ich kein Ego finden, kann ich keine Essenz meines
Egos finden. Es existiert nicht. Das ist die Unterweisung des Hannya Shingyo.
Natürlich gibt es den Körper, man hat Empfindungen, manchmal fühlt man sich wohl,
manchmal hat man Schmerzen in den Knien oder woanders, manchmal ist es still,
manchmal hört man ein Geräusch, ein Insekt, den Godo, der spricht, alle möglichen
Wahrnehmungen, Gedanken, Erinnerungen, Wünschen sind da. Alle diese Erscheinungen
tauchen auf und verschwinden ohne Unterlass. Man ist sich dessen bewusst und versucht, all
das zu vereinen, und sagt: „Das ist mein Ego. Ich bin jemand, der Empfindungen hat, der
dieses mag und jenes nicht, der so oder so denkt.“ – Relativ gesehen ist das richtig. Das ist
die Konstruktion unserer Persönlichkeit. Man konstruiert sich. Psychotherapien z.B. helfen
Menschen, sich zu konstruieren, eine möglichst genaue Vorstellung von sich zu bekommen,
in der Lage zu sein, ihre Wünsche zu erkennen und dahin zu kommen, sie mehr oder
weniger zu befriedigen.
Aber im Grunde hat all das keine Substanz. All das ist Leerheit. Und Leerheit ist keine
Theorie. Sie ist die Wirklichkeit. Wenn man ganz tief schaut, stellt man die Abwesenheit
von Substanz fest. Also sind relative und absolute Dimension der Wirklichkeit wie die
Handfläche und der Handrücken. Das gehört immer zusammen. Shiki, die Form, die
Phänomene, und Ku, die Leerheit. Ku ist die wahre Natur von Shiki. Die absolute
Dimension ist die wahre Natur der relativen Dimension. Sie sind niemals getrennt von
einander, es ist lediglich eine Frage der Sichtweise. Die Art und Weise, wie man schaut,
lässt einen die Dinge anders sehen.
Man könnte also sagen – um die westlichen Kategorien wieder aufzunehmen – dass es auf
der einen Seite die Erscheinungen gibt und auf der anderen Seite die Wirklichkeit. Das ist
recht einfach zu verstehen. Zum Beispiel sieht man Farben, einen Baum, der rot ist, einen
anderen, der grün ist, Formen. Aber in Wirklichkeit sind es nur Schwingungen, die die
Netzhaut berühren, die etwas im Gehirn bewirken. Man nimmt Formen wahr und sagt: „Ah,
dieser Baum ist rot. Er ist schön.“ Aber das ist nur eine Konstruktion unseres Geistes. In
Wirklichkeit gibt es nur Schwingungen.
Beide sind wahr: Ja, ein Baum ist schön. Man kann ihn malen. Man kann Gedichte über die
Schönheit der Bäume verfassen. Aber hinter dieser Form, dieser Erscheinung, gibt es nur
Schwingungen, nichts Substantielles. Beide sind wahr. Aber wenn man nur eine Seite sieht,
wenn man nur die Erscheinung, die Phänomene, sieht, neigt man dazu, sich daran zu
klammern, weil man glaubt, dass das, was man sieht, wirklich ist und andauern wird,
Substanz hat und man es besitzen kann. Das gleiche gilt für die eigene Persönlichkeit, das
eigene Ego.
Nur die Erscheinung zu sehen, ermutigt zur Anhaftung. Die Wirklichkeit zu sehen, so wie
sie ist, erlaubt es, von dieser Anhaftung geheilt zu werden. Das ist die Unterweisung
Buddhas, die Unterweisung des Dharmas. Buddha hat nie bestritten, dass es ein Ego gibt,
eine Persönlichkeit. – Es gibt Leute, die glauben, dass Buddha das Ego, die Persönlichkeit,
verneint hat. Das stimmt nicht. Er hat nur gesagt, dass das Ego sehr relativ ist, dass es keine
Substanz hat. Deshalb kann man sich davon lösen, selbst wenn es relativ gesehen existiert.
Aber wenn man an das Ego als etwas Absolutes, etwas Festes glaubt, das immer weiter
bestehen wird, kann man sich nicht befreien, kann man sich nicht loslösen. Es ist die
Unterweisung der absoluten Wahrheit, die Unterweisung der Leerheit, die hilft, sich zu
befreien.
Aber das ist nur eine Arznei. Letztlich darf man sich auch nicht an die Leerheit klammern.
Man darf sich auch nicht der absoluten Dimension verhaften, sonst kann man in das Extrem
des Nihilismus fallen: „Ach, nichts existiert, nur Schwingungen!“ Auch das ist falsch.
Immer beide zusammen, mit beiden Augen sehen.
F: Was ist eigentlich der Geist?
RR: Der Geist hat viele Dimensionen. Am Ende ist der Geist nicht fassbar. Man kann nicht
sagen: Das ist der Geist! Man kann den Geist nicht begrenzen.
Aber der Geist funktioniert auf verschiedene Weise. Der Geist ist zum Beispiel das
Bewusstsein. Das Bewusstsein ist eine Manifestation des Geistes, die es erlaubt, sich einer
Sache bewusst zu werden, bewusst Formen und Farben sehen, bewusst Töne hören. Das ist
eine Form des Geistes. Es gibt andere Formen des Geistes: Ein Geist, der sich nicht einfach
damit zufrieden gibt, die Gegenstände, die Gedanken, die Wahrnehmungen zu erkennen.
Das ist der Geist, der die Dinge intuitiv wahrnimmt, der Geist der Weisheit. Immer noch der
gleiche Geist, der aber auf eine andere Art und Weise funktioniert. Wie zum Beispiel ein
Klavier: Auf einem Klavier kann man einen Militärmarsch spielen, aber auch einen Walzer
von Chopin, man kann Jazz machen, man kann aber auch einfach nur Krach, indem man auf
die Tasten haut. Der Geist ist wie ein Musikinstrument, das viele Saiten hat, viele
Möglichkeiten, unterschiedlich zu funktionieren.
Es gibt beispielsweise den dualistischen Geist, der nach dem, was die Neurologen sagen,
ausgehend von der linken Gehirnhälfte funktioniert, der von der Sprache konditioniert ist.
Entsprechend hat er die Gewohnheit angenommen, zu definieren. Die Sprache funktioniert
über Worte, die die Wirklichkeit in kleine Stücke zerschneiden. Worte bauen auf
Gegensätzen auf, sind dualistisch: Man lernt, das Gute und das Böse, das, was wahr ist, und
das, was falsch ist, das Licht und die Dunkelheit, ich und du, usw. zu unterscheiden. Das ist
die Funktionsweise des Geistes, die die Unterschiede erkennt.
Der Geist gibt in Zazen diese Funktionsweise auf und schafft keine Trennungen mehr. Er
nimmt die andere Seite der Realität wahr, die Nicht-Dualität.
Das ist ein sehr weites Thema, man könnte einen Vortrag über den Geist halten. Es ist zum
Beispiel interessant, dass im Chinesischen und im Japanischen das Wort für Geist Shin ist.
Aber das Kanji Shin schließt viele Bedeutungen ein. Es begrenzt nicht. Es schließt all die
Bedeutungen ein, von denen ich schon gesprochen habe, den gewöhnlichen Geist, den
dualistischen Geist, das Bewusstsein. Man spricht auch vom Geist Buddhas, vom Geist der
Erweckung und auch von dem Geist, der dem Unbewussten entspricht, d.h. dem Geist, der
alle Erinnerung der Vergangenheit speichert. Das ist auch eine Form des Geistes, die
Erinnerung an die Vergangenheit seit unserer Geburt, und sogar davor. Dann heißt Shin
auch Energie. Nicht nur Geist, wie wir ihn begreifen, sondern auch Energie. Letztlich ist
alles Energie, alles Geist, all diese Schwingungen, von denen ich gesprochen habe, alles das
ist der Geist.
F: Aber gibt es einen universellen Geist, oder hat jeder seinen eigenen Geist?
RR: Beides. Aber im allgemeinen sieht man nur seinen eigenen Geist. Aber unser eigener Geist
ist ein bisschen wie die Spiegelung des Mondes auf einem Tautropfen. Man kann den
kleinen Tropfen mit der Widerspiegelung des Mondes betrachten, das ist der individuelle
Aspekt, aber wenn man zum Himmel aufschaut, kann man das beobachten, was sich in
jedem widerspiegelt.
Eine Praxis wie Zazen hilft uns, mit dem Universellen in uns in Kontakt zu treten, mit
unserem universellen Geist, und die Grenzen unseres kleinen Egos zu überschreiten, unserer
geistigen Kategorien, unseres engen Geistes. Das ist der universelle Geist, der sich in jedem
von uns widerspiegelt.

Dienstag, 18. Mai 2004, 7 Uhr
Zur Zeit Buddhas war eines Tages Ananda, sein Sekretär, weg gegangen, um Nahrung zu
erbetteln, und an das Haus einer Frau gekommen, die ihm folgende Frage stellte: „Wie kommt
es, dass der Buddha sagte, dass jemand, der ein reines Leben geführt hat, nach seinem Tod die
gleiche Bestimmung haben kann, wie ein jemand, der kein reines Leben geführt hat? Mein Vater
beispielsweise,“ sagte sie „ist einer reinen Lebensführung gefolgt. Er hat darauf verzichtet,
Schlechtes zu tun, er hat sogar auf sexuelle Beziehungen verzichtet. Nach seinem Tod hat
Buddha gesagt, dass er den Zustand eines Sakadâgâmin erreichet hat,“ was im Theravada die
zweite Stufe auf dem Weg der Befreiung ist. „Demgegenüber hat der Bruder meines Vaters
überhaupt kein reines Leben geführt. Nach seinem Tod hat der Buddha gesagt, dass er die
gleiche Stufe erreicht hat, den gleichen Zustand der Befreiung. Sie sind also beide in den
gleichen Himmeln wiedergeboren worden.“ Ananda antwortete ihr: „Ihr müsst genau verstehen,
was der Buddha sagen wollte.“
Anschließend befragte Ananda selbst den Buddha. Buddha sagt zu ihm: „Diese Frau hat
überhaupt nichts verstanden. Was die Wiedergeburt nach dem Tod betrifft, so gibt es zehn Arten
von Menschen. Zum Beispiel gibt es einen Menschen, der unmoralisch ist, der nicht die
Befreiung von den Gedanken durch Weisheit versteht, so dass seine Unmoral nicht gelöst
werden kann. Selbst wenn dieser Mensch die Unterweisung Buddhas gehört hat, hat er den
rechten Standpunkt nicht verstanden. Dieser Mensch kann nach seinem Tod nur in einen
niederen Zustand zurückfallen. Ein anderer Mensch, der ebenfalls unmoralisch ist, der ebenfalls
nicht die Befreiung durch Weisheit erlangt hat, der aber die Unterweisung Buddhas gehört und
den rechten Standpunkt verstanden hat, hat, selbst wenn er das gleiche Leben wie der andere
geführt hat, durch sein Verständnis der Unterweisung eine provisorische Befreiung erlangt. Nach
seinem Tod erreicht er einen höheren Zustand. Selbst wenn beide vergleichbare Eigenschaften
hatten, das gleiche Verhalten während ihres Lebens, gibt es letztlich einen, der vorangekommen
ist, und einen anderen, der zurückgefallen ist, weil einer von ihnen letztlich die Unterweisung
verstanden hat. Dank dieses Verständnisses hat er eine gewisse Befreiung erlangt.“
Buddha sagt auch, dass die Schüler andere weder beurteilen noch vergleichen dürfen. Er sagt zu
Ananda: „Ihr sollt Menschen nicht einschätzen.“ Das ist ein sehr wichtiger Punkt für die Sangha.
Buddha sagt: „Diejenigen, die andere einschätzen, verlieren sich. Denn nur ein Buddha ist in der
Lage, die anderen zu bemessen.“
Das ist der Punkt, den ich heute morgen unterstreichen möchte. In der Sangha gibt es viele
Urteile, viele Vergleiche, viel Kritik. Sehr häufig beurteilt man andere nach sehr begrenzten
Kriterien, z.B. nur nach der Moral oder nur nach der Konzentration. Jedoch gibt es Menschen,
die sehr moralisch sind, aber überhaupt keine Weisheit und kein Mitgefühl haben. Es gibt auch
Menschen, die sehr konzentriert sind, die sich aber in eine falsche Richtung konzentrieren. Dann
gibt es Menschen, die eine große Weisheit haben, aber mangels Konzentration nicht in der Lage
sind, sie in die Praxis umzusetzen. Es ist sehr heikel, die spirituelle Entwicklung von jemandem
einschätzen zu wollen. Nur Buddha kann das tun.
In der Sangha ist es das Beste, wenn sich jeder vollkommen darauf konzentriert, selbst so gut
wie möglich zu praktizieren, ohne spirituellen Hochmut zu entwickeln, Überlegenheit anderen
gegenüber und ohne andere zu beurteilen. Selbst jemand, der sich offensichtlich sein ganzes
Leben lang getäuscht hat, kann, wenn er im letzten Moment seines Lebens die Wahrheit der
Unterweisung Buddhas versteht, in einem einzigen Augenblick befreit werden. – Aber wer kann
das beurteilen?

Dienstag, 18.5.2004, 16.30 Uhr
Teisho
Das Thema dieses Vortrages ist das Karma. Dieses Thema interessiert viele Leute, aber weil es
etwas kompliziert ist, ist es schwierig, während des Kusen darüber zu sprechen. Ich glaube, dass
es gut ist, besser zu verstehen, was Karma ist. Einfach schon deshalb, weil wir hier und jetzt
aufgrund eines vergangenen Karmas existieren. Wir sind Frucht des Karma, also ist es gut zu
wissen, durch welchen Prozess wir die Frucht eines vergangenen Karmas werden. Darüber
hinaus hat Dogen die Überlegung angestellt, dass man nicht wirklich bereit ist, in die Praxis des
Weges einzutreten, wenn man die karmische Kausalität nicht versteht. Wenn man glaubt, dass
die Dinge zufällig geschehen, ist es schwierig, die Motivation zu finden, in eine Praxis der
Veränderung, der Umwandlung einzutreten. Aber wenn man glaubt, dass unser gegenwärtiges
Leben die Wirkung eines vergangenen Karmas ist, kann man darauf vertrauen, dass unsere
gegenwärtige Handlung, unsere gegenwärtige Praxis ein anderes, besseres Leben für die Zukunft
bewirken kann. Aber es kann auch das Phänomen der Wiedergeburten beseitigen, denn dies ist
an das Karma gebunden.
Ich werde das etwas präzisieren: Jede willentliche Handlung, die einen moralischen Wert hat,
trägt einen karmischen Effekt. Aber nicht alles ist Karma. Es gibt Leute, die glauben, dass alles
eine Wirkung des Karmas sei. Das stimmt nicht. Buddha war nicht mit dieser Vorstellung
einverstanden. Karma ist eine bestimmte Art von Ursache, die eine bestimmte Art von Wirkung
hervorruft. Aber es gibt auch andere Kausalitäten im Leben. Buddha zählte vier Arten von
Kausalität auf, die unseren aktuellen Zustand bedingen und vom Karma zu unterscheiden sind.
Aus der Sicht Buddhas betrachtet gibt es zum Beispiel die atmosphärischen Ursachen. Man kann
sich schlecht fühlen, weil es ein Gewitter geben wird. Das ist nicht die Wirkung unseres Karmas.
Darüber hinaus gibt es auch biologische und physiologische Ursachen. Die vierte Art nichtkarmischer
Kausalität sind die psychologische Ursachen.
Das ist interessant, denn man hat die Tendenz, alles zu vermischen. Wenn man z.B. während
seiner Kindheit psychische Verletzungen erlitten hat, hat das wahrscheinlich das Leben lang
Konsequenzen, tiefe Wirkungen. Aber diese psychologische Kausalität ist keine karmische
Kausalität. Nehmen wir z.B. an, dass ein Kind Opfer sexueller Gewalt wurde. Das Kind trägt
nicht die Verantwortung dafür. Es handelt sich nicht um eine Handlung des Kindes. Also sind
die daraus entstehenden Konsequenzen für das Kind keine karmischen Konsequenzen. Es sind
psychologische Konsequenzen. Das Kind kann nichts für den sexuellen Missbrauch. Das ist
nicht sein Karma. – Man kann sich natürlich sagen, dass diese schlechte Kindheit, vielleicht von
einem vergangenen Karma bedingt ist. – Aber es bedeutet auf jeden Fall, dass nicht alles
karmisch ist. Es ist wichtig, die Dinge gut zu unterscheiden, insbesondere auf der
psychologischen Ebene.
Was ist nun, im Gegensatz dazu, karmisch? Das sind die Handlungen, die in vollem Bewusstsein
begangen werden, willentlich, und die von Absichten gefärbt sind, von Absichten motiviert sind.
Absichten, die gut sein können, beispielsweise die Absicht, ein Fuse zu machen, jemandem zu
helfen. Das ist ein Karma. Es erzeugt günstige Effekte für denjenigen, der diese Handlungen
begeht.
Aber Karma ist nicht erst die Handlung, bereits der Gedanke ist Karma. Gedanke, Rede und
physische Handlung können Karma sein.
Zum Beispiel ein Blick: Wenn ich jetzt meine Armbanduhr betrachte, – es ist 5 Uhr 20 -, ist das
eine willentliche, aber keine karmische Handlung. Die Handlung erzeugt kein Karma. Oder
wenn man sich eine Tasse Tee zubereitet, ist das eine ganz und gar willentliche Handlung, aber
sie erzeugt keinerlei karmischen Effekt, weil sie nicht mit einer moralischen Motivation
begangen wurde. Wenn ich aber die Uhr der Person neben mir anschaue und mir dabei sage:
„Das ist wirklich eine schöne Uhr. Ich würde sie gerne stehlen. Wie kann ich das am besten
anstellen?“, wenn ich diese Uhr voller Begehren betrachte und Pläne schmiede, sie zu stehlen, ist
dies selbst dann Karma, wenn es mir nicht gelingt. Der gierige Blick und der Gedanke, die Uhr
zu stehlen, bewirkt, dass das Hinsehen Karma wird.
Karma ist etwas Komplexes. Z.B. denkt man, dass Menschen, die eine negative Handlung
begehen, automatisch eine schlechte Wiedergeburt haben werden. Aber es ist nicht so, dass eine
schlechte Handlung zwangsläufig eine Wirkung hat. Töten, Stehlen, Lügen sind Handlungen, die
ein sehr schlechtes Karma erzeugen, die anderen leiden lassen. Aber es gibt Menschen, die ihr
Leben lang getötet, gestohlen oder gelogen haben, die damit fortfahren, kriminelle Handlungen
zu begehen und dennoch augenscheinlich ein vollkommen glückliches Leben führen. – Auf jeden
Fall passiert ihnen kein Unglück, sie entkommen der Polizei und leben bequem. – Aber das heißt
nicht, dass ihre schlechten Handlungen keine Auswirkungen haben werden. Diese Wirkungen
können sich in einem kommenden Leben zeigen, in der nächsten Wiedergeburt. Bestimmtes
Karma erzeugt keine sofortigen Wirkungen, hat verspätete Wirkungen. Aber auch das ist nicht
automatisch, weil es alle möglich Arten anderer Ursachen gibt, die eine Rolle spielen. Z.B.
verringert Reue den karmischen Effekt, selbst wenn man erst einen Moment vor oder im
Augenblick des Sterbens bereut.
Das ist auch der Grund, warum Karma nichts Schicksalhaftes ist. Das Gesetz des Karma ist nicht
fatalistisch. Es ist eine bestimmte Art von Kausalität, die durch andere Ursachen verändert
werden kann. Beispielsweise verringert es die Wirkungen eines vergangenen schlechten Karmas,
sich seinen Fehler einzugestehen. Man kann auch das schlechte Karma wieder gut machen,
indem man z.B. die sechs Paramita praktiziert. Sie sind wie ein Heilmittel, ein Gegengift gegen
das schlechte Karma.
Ich möchte an ein Sutra Buddhas erinnern, in dem er auf die Frage antwortete, warum die
Menschen nicht alle gleich, sondern unterschiedlich sind. – Heute würde man natürlich sagen,
dass wir nicht alle die gleichen Gene haben. Die genetische Lotterie ist natürlich eine biologische
Kausalität. Darüber hinaus gibt es auch den Einfluss der Erziehung, des Milieus. Das ist eine
andere Kausalität. Noch einmal: Buddha sagte nicht, dass alles karmisch ist. Nicht alles lässt sich
durch das Karma erklären. – Buddha sagte, dass die Lebewesen ihr Karma aufgrund von
Erbschaft haben. Er sagte, ihr Karma sei wie Eltern. Wir sind die Erben unseres Karmas, wir
sind die Kinder unseres Karmas. D.h., die Eltern sind nicht eine Erklärung für alles im Leben.
Das Karma ebenso wenig, aber es hat einen Einfluss.
Ein Beispiel: Warum gibt es Lebewesen mit einem kurzen Leben, und andere, die lange leben? –
Für Buddha war das zu einem großen Teil mit bestimmten Handlungen verbunden, wie töten,
grausam sein, die Absicht haben, Schlechtes zu tun, dem Mangel an Mitgefühl für die
Lebewesen. Diese Art von negativen Handlungen führt entweder zu einer Wiedergeburt in einer
Welt großen Leidens, einer Art Höllenwelt, oder, wenn man in menschlicher Gestalt
wiedergeboren wird, hat es mit Sicherheit ein kurzes Leben zur Konsequenz. Umgekehrt bewirkt
es ein langes Leben, mit dem Töten aufzuhören, mitfühlend und wohlwollend gegenüber allen
Wesen zu sein.
Krankheiten sind nicht die Auswirkungen davon, dass man getötet hat, sondern die Wirkung
davon, dass man grausam zu Lebewesen gewesen ist. – Das soll nicht heißen, dass man jedes
mal, wenn man krank ist, grausam zu einem Lebewesen war. Es gibt viele Gründe dafür, krank
zu sein. Aber bei jemandem, der grundsätzlich grausam ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, oft
in seinem Leben krank zu sein. Umgekehrt bewirkt die Praxis des Wohlwollens für alle
Lebewesen karmisch eine gute Gesundheit.
Die karmische Ursächlichkeit zu sehen, weist bereits auf das Heilmittel hin. Für jede Art
unglücklichen Schicksals gibt es ein Heilmittel. Es gibt eine Haltung, eine Praxis im Leben, die
die negativen Ursachen, deren Erbe man ist, ausgleichen kann. Zum Beispiel gibt es Menschen,
die ein angenehmes Aussehen haben, die schön sind, und andere, die nicht sehr schön sind, die
sogar hässlich sind. Buddha sagte, dass auch das Ergebnis eines vergangenen Karma ist und
schrieb die Ursache der Wut zu.
Das ist interessant. Denn jemandem, der sein ganzes Leben über vom Gefühl der Wut bestimmt
ist, der sich über Nichtigkeiten aufregt, der ständig wegen irgendetwas beleidigt ist, der ständig
Unzufriedenheit, Hass oder Feindseligkeit ausstrahlt, prägt sich all dies in sein Gesicht ein, so
dass man das am Ende seines Lebens gut von seinem Gesicht ablesen kann. Entsprechend
begünstigt die Praxis des Gegenteils, d.h. niemals wütend zu werden, sich nicht unnötig
aufzuregen etc., ein angenehmen Aussehen.
Es gibt noch zwei oder drei weitere Aspekte karmischer Wirkungen. Beispielsweise gibt es
Menschen, die mit ganz wenigen Mitteln geboren werden. Das ist Buddha gemäß damit
verbunden, eifersüchtig und neidisch gewesen zu sein, z.B. traurig gewesen zu sein, wenn
jemand anderem etwas Gutes widerfahren ist. In Armut geboren zu werden, hängt mit einem
Mangel an Großzügigkeit gegenüber den Menschen zusammen, die ein religiöses Leben führen.
– Ich denke, das war als Ermutigung gedacht, den Mönchen und Nonnen gegenüber großzügiger
zu sein.
Im selben Sutra sagt Buddha auch, dass, wenn man in eine Familie mit niedrigem sozialen Stand
geboren wird, dies die Wirkung von Hochmut ist, von der Verachtung anderer. Nicht sehr
intelligent geboren zu werden, ist das Ergebnis davon, den Mönchen nicht die richtigen Fragen
gestellt zu haben. – Das erscheint kurios, ist aber sehr interessant: Was ist wahre Intelligenz? –
Den richtigen Leuten die richtigen Fragen zu stellen. Die Fragen, die wichtig für unser Leben
sind, den Personen zu stellen, die fähig sind, darauf zu antworten. Wenn man also wiederholt
vernachlässigt, sich und den Vertretern der Religionen, die darauf antworten können, die
richtigen Fragen zu stellen, läuft man große Gefahr, eine Wiedergeburt zu haben, die von
Dummheit verdunkelt wird.
Das ist also das Sutra, mit dem der Buddha die Frage eines jungen Brahmanen beantwortet hat,
warum es unterschiedliche Menschen gibt. – Man sollte nicht glauben, dass das Karma etwas
Automatisches ist, aber hat es einen gewissen Einfluss, es spielt eine bestimmte Rolle.
Jetzt möchte ich von Dingen sprechen, über die viel Verwirrung besteht. Zum Beispiel spricht
man im Buddhismus nicht von Reinkarnation, weil es keinen Glauben an eine Seele oder einen
beständigen Atman gibt, die sich reinkarnieren. Man spricht von Wiedergeburt. Das ist ein
besseres Wort, aber es gibt nicht wirklich jemanden, kein Ego, das wiedergeboren wird. Die viel
tiefere Sicht besteht darin, die Wiedergeburt als Fortbestehen eines Karmas anzusehen, noch
genauer als die Fortführung der Kette der zwölf wechselseitig abhängigen Ursachen, die durch
das erste Kettenglied in Gang gesetzt wird, durch die Unwissenheit.
Was ist die größte Unwissenheit? – Die wichtigste Unwissenheit, auf die Buddha in seiner
Unterweisung abzielt, ist die Täuschung, die dazu führt, dass man sich etwas aneignet. Dabei
handelt es sich um die Aneignung der fünf Aggregatzustände durch die Täuschung, die uns
glauben macht, dass diese fünf Zustände ein Ego sind, um die Vorstellung, dass dieser Körper
mein Körper ist, mein Ego, dass seine Empfindungen meine Empfindungen, mein Ego sind, dass
seine Wahrnehmungen meine Wahrnehmungen, mein Ego sind. Das Gleiche gilt für die
Wünsche, den Willen und alle geistigen Erzeugnisse und das Bewusstsein. Wenn man denkt,
dass das Bewusstsein, das man von den Dingen hat, unser Bewusstsein ist, dass es Ausdruck,
Manifestation unseres Egos ist, heißt das, dass es diese Aneignung gibt. D.h. man sieht nicht,
dass diese fünf Zustände Leerheit sind, Früchte der wechselseitigen Abhängigkeit. – Das
bedeutet nicht, dass sie nicht existieren, sondern einfach, dass sie Frucht der wechselseitigen
Abhängigkeit und nicht Frucht meines Egos sind.
Solange es diese Aneignung durch die Täuschung eines Egos gibt, bleibt die Serie der
wechselseitig abhängigen Ursachen bestehen: Ausgehend von der Unwissenheit werden
Handlungen begangen, die das Bewusstsein beeinflussen, die das Erschaffen dessen
beeinflussen, was man Nama-Rupa nennt – Körper und Geist –, die den Sinnesorganen ihren
Platz geben, die ihrerseits den Kontakt mit den Gegenständen der Sinneswahrnehmung fördern,
und auch Wünsche und Abneigungen, was Anhaftung schafft, was wiederum den Willen zu
leben verstärkt, den Willen in der Existenz eines Seins fortzufahren und das führt nach Verfall
und Tod zu einer erneute Geburt. Das ist ein Prozess, der sich selbst verkettet.
Man muss gut aufpassen, dass man sich nicht sagt: „Das ist mein Karma“, so als ob man der
Urheber dieses Karmas sei. Nicht wir sind die Urheber unseres Karmas, sondern die Ich-Illusion.
Es gibt kein Selbst, keine Seele, kein Atman, das das Karma erzeugt. Noch weniger transmigriert
es. Der einzige Urheber all dessen ist das Gesetz der Kausalität. Wenn man das versteht, ist man
erwacht und von der Verkettung von Ursache und Wirkung befreit.
Ein anderer Fehler, der häufig begangen wird, besteht darin, sehr viele Schuldgefühle um das
Karma herum zu schaffen und die Früchte des Karmas, die Ergebnisse des Karmas, entweder als
Belohnung oder als Bestrafung zu betrachten. Das würde ein höheres Wesen voraussetzen, das
urteilt – wie das Jüngste Gericht in der Bibel -, um die Schlechten zu bestrafen und die Guten zu
belohnen. Das ist ganz und gar nicht die Unterweisung Buddhas. Im Buddhismus gibt es
niemanden, der jemanden bestraft, und niemanden, der jemanden belohnt. Aber es gibt die
natürlichen Wirkungen, das Gesetz der Kausalität, das dazu führt, dass gute Taten gute
Wirkungen nach sich ziehen und schlechte Taten schlechte Wirkungen. Es gibt also keinen
Grund, sich schuldig zu fühlen. Manchmal sagen Leute: „Ihr habt euer Leiden selbst zu
verantworten.“ Es gibt Menschen, die meinen: „Es ist es notwendig zu verstehen, warum ich
jetzt wegen meines vergangenen Karmas leide,“ und sie versuchen, ihre vorangegangenen Leben
zu erforschen. Dies entspricht überhaupt nicht der Unterweisung Buddhas. Denn das Leiden
entsteht durch die Täuschung, durch Irrtümer, durch das Nicht-Erwachen. Das bedeutet, dass,
wenn diese Illusion zerstört ist, die Wurzel des Leidens durchtrennt ist.
Nicht nur das Zen lehrt, man solle sich hier und jetzt konzentrieren. Auch Buddha und der
ursprüngliche Buddhismus betrachteten es als vollkommen unnütz und verlorene Zeit, sich
seinem vergangenen Karma zu verhaften, zu versuchen, es zu entdecken, sich daran zu erinnern,
Das kann sogar eine Bremse sein: Es ist so, als ob man sein Auto steuern wollte, indem man
immer in den Rückspiegel guckt. Das ist gefährlich. Also haben Buddha und ebenso alle Zen-
Meister empfohlen, sich hier und jetzt zu konzentrieren. Hier und jetzt kann man durch rechtes
Handeln alle vergangenen Fehler korrigieren und die Voraussetzung für eine bessere Zukunft
schaffen.
Ein anderer, oft begangener Fehler besteht darin, sich zu sagen, das Karma sei im Grunde ein
indischer Glaube und Buddha habe vielleicht an das Karma geglaubt, weil er Inder war und zu
seiner Zeit alle an Karma glaubten. Aber tatsächlich war es Bestandteil seines eigenen
Erwachens, und er hatte eine klare Sicht davon. – Es ist kein Glaube. Es ist eine Erfahrung. – Die
Mönche, die mit Buddha praktizierten, machten sehr oft diese Erfahrung, entweder als intuitive,
ausreichend klare Sicht ihres vorherigen Lebens oder durch Wahrnehmung des Schicksals
anderer, das heißt, sie hatten, wenn jemand starb, die Vision, wie diese Person wiedergeboren
wird. – Das ist Teil der übernatürlichen Kräfte, die durch die Praxis der Konzentration entwickelt
werden. Das ist etwas Natürliches. Das Prinzip der Praxis intensiver Konzentration kann zu
dieser Art Vision führen. Aber in der Unterweisung Buddhas darf man daran nicht haften, nicht
einmal danach streben, diese Art von Vision zu erlangen. Wenn es aber geschieht, besteht der
Vorteil darin, dass es die Unterweisung Buddhas bestätigt. Das gibt ein größeres Vertrauen. Es
bestätigt die großen Wahrheiten der Unterweisungen Buddhas, nämlich der Unbeständigkeit, des
Leidens und des Nicht-Ichs, des Nicht-Selbst.
Auch wenn zu Buddhas Zeit viele Mönche darauf konzentriert waren, Wiedergeburten zu
vermeiden und so die Wirkungen des Karmas zu beenden, hat es immer Bodhisattvas gegeben.
Sie sind keine Erfindung des Mahayana. Zum Beispiel war Shakyamuni selbst ein Bodhisattva.
Die Jataka, eine Sammlung von Geschichten über die früheren Leben Buddha Shakyamunis,
erzählen, wie er all diese Leben als Bodhisattva geführt hat. Für einen Bodhisattva ist es kein
vordringliches Ziel, die Wiedergeburten zu beenden. Er fährt fort zu handeln, aber nicht
getrieben von den Illusionen seines Egos. Er handelt ausgehend von seinem Erwachen, und das
Ziel seines Handelns ist es nicht, seine egoistischen Wünsche zu befriedigen, sondern allen
leidenden Wesen zu helfen.
Durch diese Art der Handlungen, besonders durch die Praxis der sechs Paramita, erzeugt der
Bodhisattva viel Karma. Aber es ist gutes Karma, es sind Verdienste, die gute Wirkungen haben.
Aber er benötigt sie nicht für sich selbst. Er widmet die Verdienste seiner Taten, die guten
Wirkungen des Karmas, der Hilfe für andere.
Habt ihr Fragen? Gewöhnlich ist das ein Thema, was viele Fragen aufwirft!

Mondo:
F: Ist Buddha dem Gesetz von Ursache und Wirkung entkommen?
RR: Ja, bei seiner letzten Geburt. – Vielleicht werde ich für diese Antwort als Fuchs
wiedergeboren! – Die Frage wurde einmal einem Meister gestellt, der darauf antwortete,
dass ein erwachtes Wesen tatsächlich dem Gesetz der Kausalität entkommt. Es heißt, dass er
wegen dieser Antwort während fünfhundert Leben als Fuchs wiedergeboren wurde. Eines
Tages nahm der Geist dieses alten Mönches, der in einen Fuchs verwandelt war, an einem
Vortrag von Meister Hyakujo teil und erzählte diesem seine Geschichte. Er fragte Hyakujo:
„Könnte Ihr mir helfen, mich aus diesem Zyklus der Wiedergeburten als Fuchs zu erlösen?“.
Hyakujo antwortete: „Ja. Du musst mir nur erneut die Frage stellen, die Dir gestellt wurde.“
Da stellte der alte Mönch die Frage erneut: „Entkommt ein erwachtes Wesen dem Gesetz
der Kausalität?“ Und Hyakujo antwortete ihm: „Es ignoriert es nicht.“ Der alte Mönch
erwachte augenblicklich und verließ seine Transmigration als Fuchs.
Man kann denken, Hyakujos Antwort bedeute, dass selbst ein erwachtes Wesen dem Karma
unterworfen ist. So wird Hyakujos Antwort im allgemeinen interpretiert, als Bestätigung,
dass die karmische Kausalität universell ist. Aber seine Antwort ist viel subtiler, weder ja
noch nein: „Es ignoriert es nicht.“ Das heißt, das erwachte Wesen ist vollständig zur
Erscheinung der karmischen Kausalität erwacht. So kann er sie frei gebrauchen, um die
anderen zu erwecken.
Man kann also sagen, dass er nicht der karmischen Kausalität unterworfen ist. Er ist aber
auch nicht außerhalb von ihr.
F: Ich frage mich, warum ich mich mit dem Karma beschäftigen soll. Die Motivation zum
Handeln besteht nicht zwangsläufig darin, gutes oder schlechtes Karma zu erzeugen. Wenn
ich eine Handlung mushotoku begehe, ist sie dann außerhalb von Karma?
RR: Man kann karmische Handlungen begehen, auch wenn man nicht an Karma glaubt oder
daran denkt. Es reicht aus, dass die Handlung bewusst und willentlich ist und einen
positiven oder negativen Wert hat. Das ist alles. Ob du daran glaubst oder nicht, ob du daran
denkst oder nicht, ändert überhaupt nichts. Das Gesetz funktioniert. Aber wenn du dieses
Gesetz nicht ignorierst – was die Erwachten charakterisiert -, kannst du damit spielen, kannst
du es nutzen, um die Befreiung aller Wesen zu unterstützen.
Das Schlimmste ist, es zu ignorieren. Dann sieht man die Wirklichkeit nicht und befindet
sich in der Täuschung, was der Hauptgrund für das Fortbestehen dieses Zyklus’ ist.
Du hast jedoch ein sehr wichtiges Wort gebraucht: Mushotoku. In unserer Praxis des Weges
konzentriert man sich nicht darauf, das Richtige zu praktizieren, weil man darauf hofft, gute
karmische Wirkungen zu erhalten. Das ist nicht das Ziel. Normalerweise macht man einfach
das, was richtig ist, weil man ausreichend erwacht ist, um in Kontakt mit seiner wahren
Natur zu sein. Das bewirkt, dass man nichts Unrechtes tun kann. So kann man auf rechte Art
handeln ohne zu denken: „Ich werde das und das tun, um ein schlechtes Karma zu
vermeiden oder um ein gutes Karma zu erzeugen. Man kann sagen, dass Mushotoku, d.h.
die Handlung ohne persönliches Ziel, das Heilmittel für die drei Gifte ist, für Gier, Hass und
Verblendung, die die Ursache aller Leiden sind. So ist die Mushotoku-Handlung die
wahrhaft erwachte Handlung.
F: Kann man etwas für das Karma bereits Verstorbener tun?
RR: Ja. Das ist die Bedeutung aller Zeremonien, die für die Toten gemacht werden. Man kann
sagen, das auf dem Glauben an die Übertragung der Verdienste beruhen. Den gibt es schon
seit sehr langer Zeit, nicht nur im Mahayana. Seit dem Beginn der Unterweisung Buddhas
gibt es die Vorstellung, dass die Verdienste anderen übertragen werden können. Wenn man
z.B. ein Sesshin macht, ist das ein gutes Karma, eine gute Praxis, und man kann es als
Gelegenheit nehmen, eine Zeremonie zu machen und sie den Toten widmen, als eine Art
Gebet, dass die positiven Wirkungen dieser Praxis zu denen gelangen, die Hilfe benötigen,
um ihr Karma umzuwandeln. Das ist auch ein wesentlicher Aspekt des Bodhisattvas.
Letztlich kann die Übertragung der Verdienste andere aber nicht erwecken: Man kann nicht
jemand anderen erwecken. Man kann nur selbst erwachen. Man kann das Erwachen nicht
weitergeben. Jedoch kann die Übertragung der Verdienste Menschen die besten
Bedingungen ermöglichen, um selbst zu erwachen.

Mittwoch, 19. Mai 2004, 7 Uhr
Kehrt immer wieder zur Konzentration auf eure Haltung zurück. Streckt gut die Wirbelsäule und
den Nacken, indem ihr das Becken gut nach vorne neigt, und drückt gut mit dem Scheitelpunkt
des Kopfes in den Himmel. Entspannt Schultern und Bauch. Atmet tief ein und aus.
Weil es schwierig ist, sich gleichzeitig auf verschiedene Dinge zu konzentrieren, ist es das Beste,
sich einfach auf den Kontakt der Daumen zu konzentrieren. Wenn man sich auf den Kontakt der
Daumen konzentriert, liegt all unsere Aufmerksamkeit nur auf diesem Kontakt, d.h., dass man an
nichts anderes denkt und Gedanken, selbst wenn sie auftauchen, schnell vorbei ziehen – wie
Wolken am Himmel.
Man kann sich auch auf die Atmung konzentrieren, zum Beispiel auf die Empfindung, wie die
Luft durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt. In diesem Moment konzentriert man sich nur auf
diese Atmung. Wenn man sitzt, ist man nur ein sitzender Körper und Geist, völlig in Einheit mit
der sitzenden Haltung. In diesem Moment beruhigen sich alle Kompliziertheiten des Geistes, alle
Gefühle. Alle Schwierigkeiten kommen aus der Geteiltheit des Geistes. Wenn man zu einem
Geisteszustand zurückfinden kann, der in Einheit mit der Wirklichkeit des Augenblicks steht,
kann man frei von all seinem vergangenen Karma sein. Auch wenn sich hier und jetzt karmische
Wirkungen zeigen, kann man sie empfangen, ohne erschüttert zu sein, ohne kompliziert zu
werden, denn wir sind in der Wirklichkeit dieses Augenblicks verwurzelt. Das ist die essentielle
Unterweisung dessen, was man Shikantaza nennt. Manchmal denkt man, dass diese
Unterweisung eine Spezialität des Zen ist, insbesondere des Soto-Zen. Aber in Wirklichkeit ist es
das ursprüngliche Dharma Buddhas.
Zur Zeit Buddhas gab es einen Hindu, der Askese praktizierte. Er hieß Bahya. Er war ein Mann,
der sich der Dringlichkeit der spirituellen Verwirklichung bewusst war. Eines Tages wurde er
gewahr, dass seine Praxis nicht stimmte. Man empfahl ihm, den Buddha aufzusuchen. Er brach
auf und nach einigen Tagen kam er in den Ort, in dem Buddha sich befand. Buddha war jedoch
auf dem Bettelgang. Da Bahya es sehr eilig hatte, suchte er ihn in den Straßen der Stadt
Schließlich traf er ihn beim Betteln. Buddha sagte zu ihm: Es ist jetzt nicht der richtige Moment,
um Fragen zu stellen. Wir sind dabei, unseren Bettelgang zu machen. Komm später wieder.“
Aber Bahya gab nicht nach. Er sagte: „Man weiß nie, was uns im Leben passieren kann. Also
unterweist mich bitte schnell in eurer Lehre.“ Nachdem er dreimal darum gebeten hatte,
akzeptierte Buddha schließlich. Er gab ihm eine sehr einfache Unterweisung. Er sagte: „Ihr
müsst auf diese Weise praktizieren: Die Handlung des Sehens soll nur die Handlung des Sehens
sein, die Handlung des Hörens soll nur die Handlung des Hörens sein, die Handlung des
Empfindens soll nur die Handlung des Empfindens seins, die Handlung des Erkennens nur die
Handlung des Erkennens. Wenn ihr auf diese Weise praktiziert, seid ihr nicht mehr von all den
Erscheinungen konditioniert. Das ist das Ende von Dukkha, des Leidens.“ Da Bahya ein Mensch
mit einem sehr schnellen Geist war, verstand er schnell und praktiziert es. Kurz darauf starb er
durch einen Unfall. – Er hatte also gute Gründe, es eilig zu haben. – Als Buddha seinen Leichnam
sah, den man verbrennen wollte, bat er seine Schüler, eine Zeremonie für ihn zu machen, und
sagte zu ihnen: „Bahya war einer eurer Brüder, der die Realisation vollständig erlangt hat.“
Diese Geschichte ist sehr interessant, denn sie zeigt, dass Buddha genauso die Laien oder die
Gläubigen anderer Schulen unterwies und dass, egal wer, auch Nicht-Mönche, auch diejenigen,
die nicht von Buddha ordiniert waren, mit Hilfe seiner Unterweisung vollständig erwachen
konnten. Für Buddha war natürlich die beste Voraussetzung, um den Weg zu praktizieren,
Mönch oder Nonne zu werden. Aber alle Wesen konnten, auch ohne Mönch oder Nonne zu sein,
durch seine Unterweisung erwachen; und nicht immer nur in der Folge einer sehr langen Praxis.
Bestimmte Leute, so wie Bahya, der einen schnellen Geist hatte, konnten in einem einzigen
Augenblick verstehen und erwachen. In seinem Fall war es einige Minuten, bevor er starb.
Auch wenn Buddha vieles unterwiesen hat, war die Essenz seiner Unterweisung sehr einfach,
das, was er Bahya unterwiesen hat. Es unterscheidet sich nicht sehr von der Unterweisung von
Shikantaza:
Wenn ihr sitzt, dann sitzt nur.
Wenn ihr esst, dann begnügt euch damit, nur zu essen.
Wenn ihr geht, dann begnügt euch damit, nur zu gehen.
Wenn ihr zuhört, dann konzentriert euch einfach auf das Zuhören.
Wenn ihr etwas betrachtet, seid vollständig in der Handlung, etwas zu betrachten.
Wenn ihr an etwas denkt, konzentriert euch einfach auf die Handlung des Denkens.
Was auch immer, seid ständig eins mit dem, was ihr gerade tut.
Das ist die Praxis des Sesshins, die Essenz der Praxis während eines Sesshins: den Geist von
Nicht-Zwei, den ungeteilten Geist zu verwirklichen. In dieser Praxis ist das Ego vollständig
aufgegeben, durch die Praxis selbst aufgesogen. Das ist das Ende von Dukkha, der
Unzufriedenheit und des Leidens, die Verwirklichung der Essenz unseres Leben, eines Lebens
ohne Trennungen, ein Leben in Einheit mit dem gesamten Universum, ausgehend von der
Einheit mit der einfachen Handlung dieses Augenblicks.

Mittwoch, 19. Mai 2004, 16.30 Uhr
Von dem Moment an, in dem man ins Dojo eintritt, konzentriert man sich völlig auf die Praxis
mit dem Körper. Man tritt mit dem linken Fuß ein, man macht Gassho, man geht zu seinem Platz
und nimmt die Zazen-Haltung ein. In Zazen wird man völlig Einheit mit der Haltung und mit der
Atmung. Während der Zeremonie ist man völlig in Einheit mit Sampai, Gassho, dem Gesang der
Sutras und mit seiner eigenen Funktion während der Zeremonie, wenn man eine bestimmte
Funktion hat.
Diese Weise völlig eins zu sein mit dem, was man tut, völlig darauf konzentriert zu sein, d.h. im
Zentrum unseres Lebens hier und jetzt zu sein, ist die Praxis, die es ermöglicht, die
Transmigration anzuhalten. Wie ich heute morgen gesagt habe, glaubt man häufig, dass dies eine
Besonderheit des Zen ist, doch wie ihr selbst aus dem Mund Buddhas gehört habt, ist es die
Essenz seiner Unterweisung.
Eins zu sein, ist eine praktische Erfahrung und kein philosophisches Konzept. Es ist die beste Art
das Leiden zu heilen, das, was man Dukkha nennt, d.h. die Unzufriedenheit, den Teufelskreis, in
den man eintritt, wenn man immer etwas anderes wünscht als das, was gegenwärtig ist, weil man
seine gegenwärtige Situation, seine gegenwärtige Handlung nicht akzeptieren kann.
Es ist nicht so, dass das ein Fehler oder dass es schlecht wäre, etwas, das man kritisieren müsste.
Aber es ist das, was unser Leiden und das Leiden der Welt verursacht. Immer etwas anderes zu
wollen und so niemals in Frieden, niemals in Kontakt mit dem wahren Leben des Augenblicks
zu sein, unterhält die Unzufriedenheit. Wenn man nicht gegenwärtig ist in dem, was man tut, lebt
man wie ein Gespenst und wird vom Wind seiner Gefühle, seiner Wünsche, seiner Abneigungen
vorwärts getrieben.
Ich habe gestern während des Vortrages lange über das Karma gesprochen. Karma ist das, was
unsere Transmigration verursacht, d.h. der Sachverhalt, immer etwas anderes zu wollen. Das
bedeutet, dass die Energie immer in die Zukunft gerichtet ist: ‚Später wird es besser sein.’ ‚Wenn
ich nur dies oder das erhalten könnte, wäre ich schließlich glücklich.’ Manchmal beeinflusst das
sogar die spirituelle Praxis: ‚Ach, wenn ich nur das Satori erhalten könnte, dann ginge es besser.’
‚Wenn ich unter günstigeren Bedingungen wiedergeboren werden könnte, wäre es besser.’ Man
praktiziert mit diesem Ziel. Das scheint logisch, aber es ist eine Sackgasse in der Praxis.
Natürlich schafft man, wenn man die Gebote respektiert, wenn man gut handelt, Verdienste und
erlaubt eine bessere Transmigration. Aber die meisten Buddhisten wünschen nicht wirklich die
Befreiung. Sie hoffen einfach nur auf eine gute Wiedergeburt und legen mit diesem Ziel einen
Vorrat an Verdiensten an. Natürlich ist das möglich. Es ist ein Aspekt in der Unterweisung
Shakyamunis. Aber der tiefste Aspekte seiner Unterweisung ist natürlich, die Transmigration
anzuhalten und Dukkha, dem Leiden, hier und jetzt ein Ende zu setzen. Wenn man mit einem
Ziel praktiziert, indem man darauf hofft das Nirvana zu erlangen, die Befreiung in der Zukunft,
fährt man in Wirklichkeit damit fort, das Rad der Wünsche und der Transmigration
weiterzudrehen. Auch die Anhaftung an das Nirvana ist eine Anhaftung. Der Wunsch nach dem
Satori ist ebenfalls eine Anhaftung. Aber es ist möglich. Viele Schüler praktizieren auf diese
Weise.
Natürlich gibt es die Bodhisattvas, die von Mitgefühl motiviert und ohne Angst vor dem
Samsara, vor den Wiedergeburten, mit dem Gelübde praktizieren, allen Wesen zu helfen. Wenn
wir wirklich den Wesen helfen wollen, sich zu befreien, können wir es nicht nur mit der Kraft
unserer Gelübde tun, sondern nur mit der Kraft der Realisation selbst, das heißt, indem wir
sofort, augenblicklich von allen Absichten, von allen Hintergedanken befreit sind, auch davon,
die anderen zu retten. Letztlich kann jeder nur durch seine eigene Realisation gerettet werden,
dadurch dass er realisiert, dass es nichts zu realisieren gibt. Erst in diesem Moment können wir
frei praktizieren und das sein, was wir schon immer waren, nicht verschieden von Buddha. Nur
so kann man wirklich in Frieden mit sich selbst und den anderen sein. Es gibt nichts zu erlangen.
Alles ist da, hier und jetzt, bereits gegenwärtig und seit jeher.
Mondo
F: Ich habe eine Frage zum Gassho, wenn man das Dojo betritt. Das wird nach meiner
Wahrnehmung unterschiedlich gemacht: mit gesenktem Blick oder mit ganz klarem Blick zum
Buddha. Wenn man den Kopf oben lässt und den Buddha anguckt, was ist es eigentlich, was
man da beim Gassho anguckt?
RR: Normalerweise ist man das selbst. Wenn man beim Betreten des Dojos die Buddhastatue
grüßt, respektiert man die Buddha-Natur, die in jedem, die in uns selbst ist. Die Geste von
Gassho bedeutet, Einheit mit Buddha zu werden, mehr noch: Buddha zu werden, Zazen
selbst. Wirklich eins mit Zazen zu sein heißt, Buddha zu sein. Wirklich eins mit Gassho zu
sein, heißt Buddha sein. Unsere innere Einheit wieder finden und auch unsere Einheit mit
den anderen, dem Dojo, der Umgebung. Das enthält die Geste, ihre Ausführung.
Sie bedeutet nicht, sich zu sagen: ‚Ich grüße den Buddha auf dem Altar’, oder die anderen,
die Buddha sind, oder ‚Ich respektiere meinen inneren Buddha’. Natürlich stimmt das. Aber
das ist nicht der wichtigste Punkt. Der wichtigste Punkt ist, einfach in Gassho zu sein, ohne
an Buddha zu denken. Es ist nicht nötig, Buddha anzuschauen. Konzentriert in Gassho zu
sein, ist Buddha sein.
Natürlich muß man den Blick irgendwo hin wenden, also macht es, wie ihr wollt: Ihr könnt
die Buddhastatue anschauen. Das ist nicht schlecht. Ihr könnt auch einfach vor euch hin
schauen. Für mich ist es das Gleiche. Wichtig ist, vollkommen eins mit der Geste sein, ohne
an Buddha zu denken. Denn sobald man denkt, schafft man eine Trennung: Buddha, der
dort ist, und ich, der ich hier bin. Oder man denkt an die Tatsache, dass jeder von uns die
Buddha-Natur in sich hat und man die Buddhanatur in sich selbst grüßt. Das ist alles richtig,
aber es ist nicht die Weise, es zu realisieren. Realisieren heißt, wirklich Eins zu werden,
konkret Körper und Geist.
F: Hat Gassho für dich auch etwas mit Demut zu tun?
RR: Ja, natürlich. Aber Demut ist eher Sampai. Das Wort humilité (dt. Demut) stammt
etymologisch vom lateinischen „Humus“, Erde. Sampai bedeutet, das zu erniedrigen, was
unser Ego symbolisiert; das Vorderhirn, das etwas ergreifen will, bis zur Erde neigen. Also
ist Sampai wirklich Demut, zurückweisen, Körper und Geist aufgeben.
Gassho ist eher ‚eins werden mit’. Es geht sogar über Demut hinaus, denn Demut impliziert
verschiedene Ebenen: Es gibt unten und oben. Man will sich niederwerfen. Das ist gut. Es
ist eine gute Praxis, demütig zu werden. Aber Zen geht über Demut hinaus. Zen bedeutet zu
realisieren, dass es im Grunde nichts zu erniedrigen gibt, dass es kein darüber, kein darunter
gibt.
Sampai zu praktizieren hilft, unsere schlechten geistigen Gewohnheiten umzuwandeln.
Deshalb machen die Tibeter diese Praxis von Sampai zu einer Vorbereitung, sie müssen
10.000 Niederwerfungen praktizieren. Das ist wirklich eine gute Praxis, um die schlechten
Gewohnheiten der Konditionierungen unseres Ego umzuwandeln.
Wir haben in den letzten Tagen vom relativen und vom absoluten Verständnis gesprochen.
Aus dem Blickwinkel des relativen Verständnisses muss man so üben, denn vom relativen
Standpunkt aus beeinflusst unser Ego unser Verhalten und man muss es umwandeln. Aber
die höchste Unterweisung Buddhas ist zu erwachen. Das ist die Wurzel. Das bedeutet zu
verstehen, dass es kein Ego gibt, also auch kein Ego, das man erniedrigen kann. Es gibt kein
oben und unten, nicht all diese Unterscheidungen der Dualität, es gibt nicht Buddha
einerseits und ich andererseits. Ich glaube, die beste Art, das zu realisieren besteht darin,
nicht auf eine philosophische Art zu meditieren, sondern richtig zu praktizieren.
F: Du hast gerade von Realisation gesprochen. Kannst du mir sagen, ob die Erfahrung, die man
in anderen Religionen macht, auch so ist. Wie war es mit deiner Erfahrung? Kannst du auch
etwas dazu erzählen, da bin ich ein bisschen neugierig.
RR: Je länger ich Zazen praktiziere und je länger ich die Unterweisung Buddhas studiere, um so
mehr bemerke ich, dass sie einer anderen Religion nahe ist, die ich ein wenig kenne, dem
Christentum, der Unterweisung Christi. Ich spreche nicht von der Kirche und ihrem System,
sondern von der Essenz der Unterweisung Christi, nicht von dem, was man daraus gemacht
hat. Die anderen Religionen kenne ich weniger gut. Aber wenn ich in Kontakten mit
religiösen Moslems oder Juden meine Erfahrung des Zen zum Ausdruck brachte, haben
diese häufig gesagt, dass meine Erfahrung gut etwas Grundlegendem in ihrer eigenen
Religion entspricht. Das hat mir den Eindruck vermittelt, dass es im Grunde eine spirituelle
Gemeinschaft all der Menschen gibt, die ihre Religion praktizieren. Kompliziert wird es,
wenn man versucht, die Dinge mit Konzepten zu erklären, Kategorien schafft und jeder sich
an seine Kategorien klammert. Theologische Diskussionen werden bezogen auf bestimmte
Kategorien geführt. Aber für Menschen, die wirklich in einer tiefen Praxis ihrer Religion
engagiert sind, zählen nicht die Kategorien, sondern nur die Quelle selbst, und ich glaube,
dass sie für alle die gleiche ist.
Was meine eigene Erfahrung angeht: Für mich ist die Erfahrung meiner Anfänge in Zazen
wesentlich, das erste Zazen, in dem ich diese Wahrnehmung hatte. All das, was ich jetzt
unterweise, 32 Jahre später, ist die Entfaltung dessen, was ich während des ersten Zazen
empfunden habe. Alles, was ich eben im Kusen gesagt habe, ist selbstverständlich die
Unterweisung Buddhas. Aber das war wirklich auch mein Schock, meine starke Erfahrung
in meinem ersten Zazen. Ich fühle keinen Unterschied zwischen beiden. Je mehr ich die
Unterweisung Shakyamunis, die Unterweisung Dogens studiere und das sehe, was ich gelebt
habe, desto stärker habe ich den Eindruck, dass es genau das Gleiche ist. Es ist die
Erfahrung, völligen Einsseins. Aber ich kann nicht einmal “Einssein“ sagen, denn ich habe
nicht “Einssein“ gedacht. Das heißt, man braucht wirklich nichts anderes, nur sitzen. Alles
ist da.
Ich war jemand, der verzweifelt auf der Suche war, immer wieder andere Erfahrungen
suchte, andere Dinge, den Sinn des Lebens. Es war fast wie eine Karikatur: Mein Leben war
jeden Tag angespannt, immer wieder woanders hin. Über ein Jahr lang nahm ich jeden
Morgen meinen Rucksack und ging los, um etwas anderes zu sehen. Es ist ein bisschen so,
als ob ich die Illusion, dass es woanders als hier und jetzt etwas gibt, das besser ist, und das
dem Leben einen Sinn geben kann, bis zum Extrem getrieben hätte. Ich habe das während
vierzehn Monaten intensiv gelebt. Es hat mich zum Schluss in einen Zustand der totalen
Hoffnungslosigkeit geführt, beinahe zu einem Verrücktwerden aufgrund dieses Leidens.
Die Erfahrung, mich in Zazen zu setzen, war eine völlige Umwälzung, eine Revolution. Ich
glaube, dass ich seit dieser Zeit ein großes Vertrauen in die Praxis habe. Meine
anschließende Begegnung mit Meister Deshimaru, mein Studium von Dogen, der Sutren
und all das ist ein bisschen wie ein Kommentar zu meiner eigenen Erfahrungen, Kommentar
und Entfaltung selbstverständlich. Denn in dem Moment, in dem ich das erlebt habe, habe
ich nicht an all die Konsequenzen gedacht, die eine solche Erfahrungen für das Leben haben
kann. Die Unterweisungen der Meister helfen mir, die Reichweite dieser spirituellen
Revolution – der Praxis von Shikantaza – besser zu verstehen. Das konnte ich mir damals
nicht vorstellen.
Was ich gesagt habe, scheint ein wenig idealistisch. Ich möchte also eine Korrektur
anbringen: Ich denke nicht, dass alle die gleichen Erfahrungen machen müssen wie ich. Es
war mein Karma, wenn man das sagen kann, meine Bedingtheit in jenem Augenblick. Nicht
jeder erreicht dieses Stadium der Hoffnungslosigkeit. In der Geschichte des Zen sind
Schüler von ihrem eigenen Meister in diese Hoffnungslosigkeit getrieben worden.
Besonders im Rinzai-Zen hat man sie unter Druck gesetzt, den Kopf unter Wasser gedrückt,
um an diesen Punkt zu gelangen, um plötzlich diese Revolution zu durchleben. Das ist vor
allem die Praxis der Koans. Sie bedeutet wirklich auf den Grund des Grundes zu gehen,
dorthin, wo man nichts erfassen, nichts verstehen kann. Der Meister schafft eine künstliche
Hoffnungslosigkeit, er provoziert diese Situation. In meinem Fall war es das Leben selbst,
das sie provoziert hat, das Genjo Koan, das Koan des Lebens selbst. Das war keine
Erziehung.
Ich spreche nicht gerne darüber, außer, wenn man mich direkt dazu befragt, weil die Gefahr
besteht, dass es anschließend ein Modell für die Schüler wird: ‚Ich habe nie das gleiche
erlebt. Vielleicht ist meine Praxis nicht richtig, weil sie nicht dem ähnelt, was Roland von
seiner Erfahrung erzählt hat.’ Die Wege sind sehr unterschiedlich. Die psychologischen
Bedingungen, das Karma eines jeden, ist unterschiedlich, also werden nicht alle die gleichen
Erfahrungen durchlaufen. Man darf das nicht als ein Modell ansehen. Man darf nicht betrübt
sein, wenn man nicht die gleichen Erfahrungen macht. Die Form, der emotionale Charakter,
die Umstände, die Kraft der Erfahrung kann für jeden unterschiedlich sein. Aber der Grund,
der Kern, ist wirklich gleich, nicht nur im Zen, sondern für alle Religionen.

Freitag, 21. Mai 2004, 7 Uhr
Um Zazen zu praktizieren, beginnt man damit, sich auf Haltung und Atmung zu konzentrieren.
Man achtet darauf, das Becken gut nach vorne zu neigen und die Knie fest auf den Boden zu
drücken. Von der Taille aus streckt man die Wirbelsäule. Man lässt die Spannungen des Rückens
los und streckt den Nacken. Das Kinn ist zurückgezogen, die Schultern sind völlig entspannt. Die
Augen sind halb geöffnet, und der Blick ist auf den Boden gerichtet. Die linke Hand ruht in der
rechten, die Handkanten berühren den Unterbauch, die Daumen sind waagerecht. Man atmet tief
ein und aus und bemüht sich, dabei bis zum Ende jeder Ausatmung zu gehen.
Man muss sich auf viele Dinge konzentrieren. So hat man keine Zeit mehr, sich um seine
Gedanken zu kümmern. Unsere ganze Aufmerksamkeit ruht auf unserer Wirklichkeit hier und
jetzt, darauf, hier in diesem Dojo in Zazen zu sitzen. Der Rest ist unwichtig. So kann man sich
von seinen geistigen Machenschaften lösen. Die Gedanken werden leicht. Man gibt ihnen keine
Energie, keine Bedeutung. Dennoch ist man weiterhin mit der Konzentration auf Haltung und
Atmung beschäftigt. Aber auch dies muss letztlich aufgegeben werden.
Wenn man in diese Konzentration eingetreten ist, gibt es kein Ego mehr, das sich konzentriert,
und keine Gegenstände mehr, auf die man sich konzentriert. Es gibt nicht mehr „Ich und meine
Haltung“, „Ich und meine Atmung“. Das Ich ist von der Haltung und von der Atmung
aufgesogen. Es bleibt nur noch ein KörperGeist ohne Trennung, ohne das Bewusstsein, etwas
Besonderes zu praktizieren. Am Ende macht man gar nichts mehr. Jede Absicht, jede Erwartung,
jeder Zweck wird aufgegeben. So kann die geistige Aktivität, die unseren Geist verdunkelt, sich
wieder beruhigen. Wir machen nichts, wir erwarten nichts und nichts stört uns. Daher ist es auch
nicht nötig, während Zazen die Augen zu schließen, denn man trennt sich nicht von den
Gegenständen des Blicks und widersetzt sich ihnen nicht. Es gibt kein Ich mehr, das irgendetwas
sieht. Das gleiche gilt für Geräusche und für Gedanken. Man haftet nicht an dem, was auftaucht,
an den Erscheinungen. Deshalb braucht man sie auch nicht zurückweisen. So kann man die
wahre Leerheit verwirklichen.
Das hat nichts damit zu tun, über Leerheit nachzudenken. Es geht nicht darum, sich zu sagen:
„Alle Dinge sind ohne Substanz“ oder „Mein Ego wird nur durch die fünf Skandha gebildet“.
Diese Gedanken sind unnötig. Die wahre Leerheit zu verwirklichen bedeutet, selbst leer und frei
zu werden, ohne Absicht, ohne am Denken oder Nicht-Denken zu haften. Selbst wenn
Gedanken, Wünsche, Erinnerungen auftauchen, lässt man sich von diesem Gedankenwirbel nicht
mitreißen. Der Geist findet seine Reinheit wieder, seine Existenz ohne Trennung, ohne
Gegensätze. Nichts fehlt oder ist zu viel. Genau jetzt vollkommen in Frieden mit unserer
Seinsweise. Dieser Friede kann im Alltag, im täglichen Leben weiter bestehen und unser ganzes
Leben inspirieren. Das ist die Erfahrung des Sesshins.

Freitag, 21. Mai 2004, 11 Uhr
Wenn man während Zazen auf die Ausatmung, vor allem auf das Ende der Ausatmung
konzentriert ist, verschwindet jeder Gedanke und sehr schnell taucht ein neuer Gedanke, ein Bild
oder eine Wahrnehmung auf. – Woher kommen sie?
Man kann den Ort nicht erfassen, von dem die Erscheinungen kommen, die unseren Geist
beschäftigen. Genau auf diesen Ort, den man nicht erfassen kann, auf diese Quelle, aus der alles
auftaucht, konzentrieren wir uns, auf diesen Moment ohne Dimension, vor dem Erscheinen des
Gedankens. Während Zazen halten wir uns ganz nah an diesem Punkt ohne Dimension auf, von
dem aus alles erscheint und zu dem alles wieder zurückkehrt. Er ist gleichzeitig die Quelle und
die Mündung des Flusses. Zugleich erscheinen und verschwinden Phänomene unaufhörlich von
Augenblick zu Augenblick. Ohne Unterlass geschieht Shoji, Geburt und Tod, Erscheinen und
Verschwinden.
Oft klammert man sich an das, was erscheint, und trauert dem nach, was verschwindet. Aber in
Zazen lernt man, sich mit dieser Bewegung von Erscheinen und Verschwinden zu
harmonisieren. Man interessiert sich nicht so sehr für den Inhalt der Gedanken, sondern für die
Bewegung des Denkens aus der Tiefe des Nicht-Denkens heraus, das dann wieder zum Nicht-
Denken zurückkehrt. Das nannte Dogen Hishiryo. Wenn man so praktiziert, kann man eine
große Freiheit des Geistes realisieren. Das bedeutet, sich mit unserem Geist, so wie er ist, zu
harmonisieren. Meister Isan nannte es „den wahren Geisteszustand vor der Geburt unserer
Eltern“ oder auch „unser wahres Gesicht“.
Meister Wanshi riet uns, bei der Quelle des Erschaffens zu bleiben, ohne Trennungen zwischen
sich selbst und dem Erscheinen der Phänomene zu erzeugen, indem man völlig eins wird mit
dem, was erscheint, wenn es erscheint. Eins werden bedeutet nicht, daran zu haften, sondern
einfach in dem Moment in Kontakt zu bleiben. Genauso wie wenn man das Dojo betritt und die
Hände zum Gassho zusammenlegt. Man verbeugt sich, aber die Hände bleiben nicht in Gassho
stecken. Sie nehmen danach andere Haltungen ein, Shashu, Zazen oder Kaijoin. Wenn man
Gassho macht, macht man völlig Gassho, die Hände sind vollständig vereint. Wenn sie
beieinander bleiben würden, könnten sie nicht mehr als Hände funktionieren. Das Gleiche gilt
für den Geist: Wenn er an einem Gedanken festhält, erstarrt er. Dann verliert er den Kontakt mit
der Quelle des Erschaffens.
Zazen ist die Praxis, ständig zu diesem Zustand der Verfügbarkeit zurückzukehren, indem man
in jedem Augenblick loslässt. Im täglichen Leben kann man so in angemessener Weise den
Umständen mit einem stets gegenwärtigen Geist gegenübertreten. In jedem Augenblick mit dem,
was neu erscheint, in Berührung sein und nicht irgendetwas hinterher laufen, nicht zu spät sein.
Kodo Sawaki sagte: „Schaut euch nicht immer wieder den Kalender des letzten Jahres an.“ Wenn
der Geist sich bei den Kampfkünsten an einen vergangenen Augenblick klammert, ist man tot;
natürlich nicht wirklich tot, aber so gut wie tot. Ein Sesshin praktizieren heißt, ständig von
diesem Geist aus zu leben, der immer neu und in Berührung mit dem gegenwärtigen Augenblick
ist. Dieser Geist wird wie ein Edelstein mit Millionen kleiner Facetten, die ständig das, was
erscheint, widerspiegeln, unabhängig von der Richtung, aus der die Erscheinungen kommen. So
erhellt und erleuchtet er alle Dinge.

Freitag, 21. Mai 2004, 16.30 Uhr
Während Zazen sitzen fast alle der Wand gegenüber. Diejenigen, die nicht zur Wand hin sitzen,
schauen nach unten auf den Boden. Aber in Wirklichkeit ist der Blick nach innen gerichtet. Das
ist der wesentliche Punkt von Zazen: Umkehren, den Blick nach innen richten und von diesem
inneren Blick erhellt werden. Dieser Blick nimmt die Form von dem an, was betrachtet wird.
Deshalb ändert sich der Geist unaufhörlich. Geist und Blick sind dasselbe. Es handelt sich um
den Blick des Geistes, das Bewusstsein, das nach innen gerichtet wird. Manchmal taucht ein
Gedanke auf, und man wird sich dieses Gedankens bewusst. Manchmal ist es eine Erinnerung,
und man wird sich dieser Erinnerung bewusst; manchmal ein Wunsch, und man wird sich dieses
Wunsches bewusst.
Es gibt so viele Bewusstseinsformen wie Gegenstände. So wie es auch ebenso viele Arten von
Feuer gibt wie Brennstoffe: Holzfeuer, Kohlefeuer, Strohfeuer. Es gibt kein Feuer an sich,
sondern nur in Verbindung mit dem, was brennt. Das Gleiche gilt für den Geist und seine
Objekte. Der Geist ist ohne feste Form. Es ist wichtig, dies zu erkennen und sich dessen bewusst
zu werden, es völlig zu akzeptieren und sich damit in Einklang zu bringen. Nicht versuchen,
seinen Geist in eine feste Form, in Definitionen oder Unterteilungen zu pressen. Daher benutzt
man oft das Bild des Spiegels, der ebenfalls alles widerspiegelt, weil er keinen festen Inhalt hat.
Er zeigt genau die Dinge, die sich vor ihm befinden.
Meister Wanshi vergleicht dies mit einem Echo im Tal. Das Tal ist leer, und es schickt die Töne
zurück, wie der Spiegel die Formen zurückschickt. Wenn wir Zazen praktizieren, finden wir
diesen Geist wieder, der nicht an Töne oder Formen gebunden ist. So ähneln wir einem Spiegel
oder einem Tal und können daher die wahre Freiheit wieder finden. Wanshi nennt das „im
Samadhi spielen“, ohne Hindernisse in völliger Freiheit. Selbst wenn es eine Form in unserer
Praxis gibt, eine Form der Haltung, eine Art und Weise sich zu konzentrieren, so gibt es im
Grunde keine feste Form, und wir müssen darauf achten, dass unser Geist nicht einer bestimmten
Form ähneln soll. Das heißt, ohne eine vorgefertigte Idee der Realisation zu praktizieren. Ohne
feste Form zu werden, ist genau diese Realisation. Deshalb kann man nicht von den anderen und
auch nicht von sich selbst ausgenutzt werden.

Mondo
F: Warum ist die Kiefernadel, die wir auf unserem Rakusu tragen, ein Symbol für das Soto-Zen?
RR: Weil die Kiefer gerade und senkrecht wächst, wie die Haltung in Zazen. Sie ist ein Baum,
der in den Bergen wächst. Zazen praktizieren wird häufig damit verglichen, sich in den
Bergwald zurückzuziehen. Den Bergwald zu betreten bedeutet, die Welt des Egos zu
verlassen, die Welt der menschlichen Machenschaften, der menschlichen Sorgen, der
Anhaftungen.
Vielleicht auch, weil die Kiefer immer grün ist. Das erinnert an ständige Frische, so wie der
Geist in Zazen. – Man kann sicherlich allerlei Bedeutungen finden, aber das ist nicht so
wichtig. Im Zen sind Symbole nicht sehr wichtig. Wichtig ist die Praxis selbst und nicht das
Grübeln darüber, was die Symbole wohl bedeuten. Aber wenn man selbst im Zazen wie ein
Baum wird, wenn man Zazen so praktiziert, als würde man einen Bergwald betreten, dann
ändert man seinen Geist. Es ist etwas anderes als zum Beispiel in ein Café zu gehen mit
Menschen und Lärm. Das Betreten eines Bergwaldes ist ganz anders. Das gilt auch, wenn
man das Dojo betritt. Man betritt wirklich eine andere Welt, nicht nur symbolisch. D.h.
seine gewöhnlichen Sorgen wirklich aufgeben, um sich nur auf die Haltung zu
konzentrieren und wie eine Kiefer zu werden.
F: Der Buddhismus lehrt uns, dass das Ego ohne Substanz und unbeständig ist, dass wir keine
Seele haben, jedenfalls nichts Individuelles, das andauert. Meine Frage hat zwei Teile. Wenn
man das betrachtet, was ich eingehend sagte, wer verwirklicht dann die Realisierung?
RR: Niemand. Wenn es niemanden mehr gibt, dann ist die Realisation da.
F: Ich hatte diese Antwort ein bisschen erwartet. Deshalb hat meine Frage einen zweiten Teil.
Wenn die Verwirklichung einmal realisiert wurde, wer macht dann die Erfahrung?
RR: Es gibt kein Ego, das eine Erfahrung macht. Es gibt nur das Erfahren selbst. Wahre
Realisation ist eine Erfahrung ohne ein Ego, das sich ihrer bemächtigt. Wenn man sich sagt:
„Ah, ich habe Satori realisiert!“ – es gibt Leute die so denken -, dann ist es ein Beweis dafür,
dass man es nicht realisiert hat. Dann ist da noch jemand. Unsere Praxis geht über die
Realisation hinaus. Nicht bei den Illusionen, bei den Anhaftungen stehen bleiben, aber auch
nicht bei der Realisation. Es geht darum, über diese geistige Haltung, die etwas erhalten
möchte, hinaus zu gehen.
Du musst das selbst erfahren. Du bist hier mit deinen Fragen, deinen Schubladen, und willst
unbedingt etwas in diese Schubladen stecken.
F: Was bringt uns dazu, etwas zu verwirklichen, das niemand verwirklicht oder erfährt?
RR: Die Unzufriedenheit, in diesem Ego eingesperrt zu sein, das immer etwas erfassen möchte.
Es fühlt sich eingeengt, in Dualität mit allem und ist unzufrieden. Diese Unzufriedenheit
kann man durch Aufgeben lösen. Das ist aber nicht möglich, wenn man mit der gleichen
Mentalität, mit der Mentalität des Egos, das etwas ergreifen will, weiter praktiziert. Das ist
so, als würde man versuchen, Feuer mit Feuer zu löschen. Das ist nicht möglich.
Deine Fragen sehr tief und eindringlich, aber du kannst sie mit dem Geist, den du jetzt hast,
nicht lösen. Denn der Geist, der diese Fragen stellt, und der Geist, der diese Antworten
realisieren kann, sind ganz unterschiedlich. Du hast zwar einen Geist, der dich zu diesen
Fragen geführt hat. – Das ist ein wirklicher Geist, es sind keine schlechten Fragen. – Aber
die Antwort kann nur von einer Realisation her kommen, die jenseits des Geistes ist, der
diese Fragen stellt. Es muss eine Umkehr stattfinden. Manche Menschen beharren fest auf
solche Fragen. Ein fester Stockschlag ist die einzige Lösung, um ihnen zu helfen.
F: Vor einigen Tagen haben wir etwas über Karma gehört, dass schlechte Taten schlechte
Wirkungen nach sich ziehen. Ich habe an viele Menschen gedacht, die ihr Leben lang
schlechte Taten vollbracht haben und dann sehr schnell und schmerzlos gestorben sind. Am
Ende des Lebens stirbt der Körper und es gibt auch keine ewige Seele. Ich habe mich gefragt:
Wer erfährt die schlechten Wirkungen?
Nach deiner Antwort eben hab ich jetzt eine neue Frage: Es scheint mir so, dass es zwecklos
ist, gute Dinge zu tun, wenn man nicht gleichzeitig auf der Suche ist.
RR: Selbstverständlich. Das Karma ist die Welt des Egos. Es hat eine relative Existenz. Unsere
Taten haben gute oder schlechte Auswirkungen. Das hängt von ihrer Natur ab. Aber diese
Auswirkungen sind nur die Fortsetzung der Taten. So wie die Wiedergeburt die Fortsetzung
eines vorherigen Lebens ist, aber es ist nicht an eine Person gebunden. Es ist kein Ego, das
wiedergeboren wird.
Jedes Mal, wenn ihr solche Fragen stellt, denke ich immer, dass das die schlimmsten Fragen
sind, die ihr stellen könnt. Fragen über das Karma sind sehr schwierig. Was am Ende
transmigriert, was sich fortsetzt, ist das Karma selbst. Es ist der Prozess des Karmas. Aber
es gibt keine substanzielle Seele, die dieses Karma erschafft und die Auswirkungen
empfängt.
Es gibt viele Vergleiche mit der Landwirtschaft. Sie beginnen immer mit der Saat: Eine
ausgewachsene Eichel trägt Früchte, die Eicheln fallen auf den Boden, und ein neuer Baum
wird sich daraus entwickeln. Diese neue Eiche ist die Fortsetzung der Eiche, von der die
Eichel stammt. Sie ist nicht dieselbe Eiche, aber sie ist auch nicht ganz anders. Es ist wie die
Fortsetzung eines Prozesses. So ist das Karma. Wenn man die Schriften des Buddhismus zu
diesem Thema gut studiert, findet man interessante Erklärungen, aber keine kann wirklich
den Geist zufrieden stellen. Man kann sich nicht vorstellen, wie das konkret funktionieren
soll.
Man kann es auch als Mythos betrachten. Manchmal sage ich mir, Karma und Wiedergeburt
sind Mythen. Wenn man sie als Mythen betrachtet, das heißt, wenn man sie nicht
wissenschaftlich beweisen kann, sind die Auswirkungen, die durch den Mythos erzeugt
werden, das eigentlich Wichtige.
Ich finde, dass dieser Mythos sehr positive Auswirkungen hat, denn er hilft, einen tiefen
Sinn für die Verantwortlichkeit unserer Handlungen zu bekommen und zu akzeptieren, dass
das Leben kein Chaos ist, sondern dass es eine gewisse Ordnung gibt und damit eine
Möglichkeit der Änderung, der Verbesserung. Gerade weil es keine wirklich befriedigende
Erklärung und keinen substanziellen Geist gibt, wird es uns möglich, uns zu befreien und zu
erwachen. Wenn es einen substanziellen Geist gäbe, wäre keine Befreiung möglich. Dann
gäbe es etwas Festes, Starres, das die Umwandlung, die Befreiung verhindern würde. Die
Schwierigkeit ist genau das, was die Realisation ermöglicht. Die Tatsache, dass es kein Ego
gibt und dass man die Kontinuität nicht erklären kann, ist die Wirklichkeit selbst, die
wesentliche Wirklichkeit. Wenn man dies tief versteht, dann hält die Transmigration an. –
Was transmigriert am Ende? – Nur eine Illusion.

Samstag, 22. Mai 2004, 7 Uhr
(Die Erde bebt kurz.)
Nach dem Erdbeben ist die ganze Natur völlig ruhig geworden. Selbst die Hähne vergessen zu
krähen. Shiki, die Phänomene sind völlig Ku, Leerheit geworden. Genauso erscheint aus Ku
wieder erneut Shiki. Unsere Praxis ist genauso, Rückkehr zur Stille, zum Nichtdenken. Aus der
Stille heraus erscheinen neue Töne. Genauso tauchen aus dem Nicht-Denken neue Gedanken
auf. Dies geschieht während Zazen unzählige Male. Es ist nicht notwendig, viele Dinge zu
studieren. Man beobachtet ganz vertraut, wie Phänomene auftauchen und verschwinden, auch
ganz kleine Phänomene. So kann man verstehen, wie die ganze Welt funktioniert.
Dazu sagt Meister Wanshi: „Wenn ihr einen einzigen Faden vollständig würdigen könnt, könnt
ihr der ganzen Welt und all ihrer Veränderungen auf angemessener Weise begegnen.“
Unser Körper und die ganze Erde sind nicht getrennt, im Grunde sind sie nicht verschieden. Sie
bestehen aus den gleichen Elementen und sind der gleichen Unbeständigkeit unterworfen. In
jedem Augenblick existieren sie genau so, wie sie sind, absolut.
So konzentriert man sich im Zazen auf seinen eigenen Körper. Der eigene Körper in Zazen ist
der Mikrokosmos, der ganz genau den Makrokosmos widerspiegelt. In der Praxis während eines
Sesshin lernen wir uns selbst kennen und uns mit dem zu harmonisieren, was wir in Wirklichkeit
sind. Wenn wir so praktizieren, lernen wir das ganze Universum kennen und auch, wie wir uns
mit der kosmischen Ordnung harmonisieren. Das nennt man Weisheit. Die gleiche Weisheit, die
vom Orakel von Delphi und von Buddha unterwiesen wurde und die jeden Morgen durch den
Hahnenschrei bestätigt wird.
Wanshi fügt hinzu: „Wenn ihr klar seht, dann werdet ihr nicht getäuscht oder ausgenutzt
werden, nicht einmal von den 10.000 Situationen. Der Schein des Mondes ruht auf dem Wasser,
der Wind weht in den Kiefern, Schatten und Licht verwirren uns nicht, Stimmen und Töne
behindern uns nicht. Der Wind kann überall wehen ohne irgendetwas zu stören.“
Es handelt sich hier nicht nur um poetische Bilder, die die Natur beschreiben. Schatten und Licht
sind auch unsere Gedanken, die erscheinen und verschwinden. Der Windhauch in den Kiefern ist
wie unsere Gefühle, die erscheinen und verschwinden ohne irgendetwas zu stören, ohne uns in
Bewegung zu versetzen. Und selbst wenn wir uns kurz bewegen, ist dies nicht schlimm. Alles
kehrt rasch zur Stille zurück wie nach dem Erdbeben.

Samstag, 22. Mai 2004, 11 Uhr
Während Zazen lässt man seinen Geist auf nichts verweilen. Der Geist fließt unabhängig von den
Gedanken oder den geistigen Fabrikationen, die auftauchen. Man ergreift sie nicht, man verwirft
sie nicht. Man macht nichts Besonderes, man will nichts Bestimmtes. Nichts stört uns. Wir
können im Gleichklang mit den Erscheinungen leben, die von Augenblick zu Augenblick
auftreten. Selbst wenn wir stets die geistigen Beschmutzungen, die erscheinen, aufgeben, sind
wir, wie Meister Wanshi sagt, noch nicht in unserem Zuhause, in unserer ursprünglichen Bleibe
angelangt. Denn wir müssen noch die Reste unserer alten Konditionierungen beruhigen. Dazu
müssen wir aufmerksam und sehr schnell sein. Unsere geistigen Gewohnheiten zeigen sich
rasch. In unserer Zazen-Praxis ist es wichtig, sich über das, was geschieht, schnell bewusst zu
werden, und ebenso das, was erscheint, schnell fallen zu lassen. Sonst wird man wieder von
seinen alten Konditionierungen mitgerissen.
So kann man sitzen, ohne von den Ängsten des täglichen Lebens gestört zu werden. Unsere
Sorgen beruhigen sich. Nichts ist wirklich wichtig. Einfach gegenwärtig und in jedem
Augenblick in Berührung mit unserem Leben sein. Mit einem klaren und leuchtenden Geist.
Still. Selbst wenn unser Geist sich aus Gewohnheit während Zazen schon mal davon macht und
auf der Suche nach etwas anderem ist, bringt man ihn schnell zurück zum Kontakt mit der
Haltung und der Atmung. Man lernt das Einfach-Sitzen-Können schätzen und sieht es als das
Wichtigste an. Dies geschieht natürlich in dem Moment, in dem wir in Zazen sitzen. Das
bedeutet, sich augenblicklich mit seinem Leben zu versöhnen. Nichts ist wichtiger als völlig hier
und jetzt zu sitzen. So kann man alle Leiden aufgeben und wahrhaft zufrieden sein. In Frieden.
Diese Zufriedenheit, dieser Frieden, setzt sich in allen Handlungen des täglichen Lebens fort,
indem man in jedem Moment jede Handlung so lebt, als wenn sie am wichtigsten wäre. Dann ist
es wahrhaftig so, als wäre man nach Hause zurückgekehrt. Nicht nur mit uns selbst vertraut
werden, sondern auch mit all unseren Vorgängern, unseren Vorfahren auf dem Weg, deren
Namen wir heute Morgen gesungen haben. In diesem Moment, in dem man am vertrautesten mit
sich selbst wird, kann man die universelle Wahrheit verwirklichen, in der es nicht mehr ich und
die anderen, in der es keine Trennungen mehr gibt. Eine große Vertrautheit, eine große
Vereinigung aller Wesen, mit denen wir die Bedingungen teilen.
Meister Wanshi sagt: „Wenn wir unser wahres Gesicht, unsere wahre Form kontemplieren,
kontemplieren wir Buddha.“

Samstag, 22. Mai 2004, 16.30 Uhr
Mondo
F: Wie funktioniert die Beziehung von Meister zu Schüler und warum funktioniert sie manchmal
nicht?
RR: Auch wenn sie nicht funktioniert, funktioniert sie. Die Meister-Schüler-Beziehung ist keine
Beziehung, die immer ohne Hindernisse und ohne Schwierigkeiten ablaufen muss. Wenn es
eine Schwierigkeit, ein Hindernis oder eine Konfrontation, z.B. eine Uneinigkeit gibt, ist es
Teil der Meister-Schüler-Beziehung, diese zu lösen. Es ist wichtig, in dem Moment darüber
zu reden und sich zu öffnen. Zweifel, Unverständnis, Missverständnisse oder gar Konflikte
kommen vor. Meister Dogen nannte dies Katto, Verwicklungen des Lebens, ähnlich wie
Bonno. Aber dadurch festigt sich auch eine Beziehung. Meister Dogen verglich es mit
Glyzinien, Schlingpflanzen. Durch Schwierigkeiten in einer Beziehung, durch Konflikte,
Zweifel oder Missverständnisse festigt sich die Verbindung. Es ist jedes Mal eine
Gelegenheit, seinen Geist zu klären.
Wenn man das nicht versteht und glaubt, die Meister-Schüler-Beziehung bedeute nur blauer
Himmel ohne Probleme, ohne Schwierigkeiten, hat man, sobald eine Schwierigkeit
auftaucht, den Eindruck, dass nichts mehr funktioniert. So wie wenn man verliebt ist und bei
dem ersten Problem denkt, dass die Beziehung doch nicht so perfekt ist. Aber gerade in
schwierigen Situationen kann man eine Beziehung vertiefen. Wenn du ein Problem mit mir
hast, musst du es sagen. Worüber sprichst du? Über uns, über dich, über mich oder
allgemein?
F: Es gibt manchmal Leute, die sich nicht gut verstehen, wie im Leben.
RR: In Zen-Beziehungen gibt es natürlich auch Affinitäten und andererseits Personen, die nicht
übereinstimmen. Aber gerade in Zen-Beziehungen sollte man über persönliche Eigenschaften
hinausgehen. Doch im Allgemeinen richtet man sich nach Affinitäten wie im
normalen Leben. Die Menschen wählen z.B. einen Godo danach aus, ob sie ihn sympathisch
finden. Selten wählt jemand einen Godo gerade deswegen, weil er ihn stört. Das ist
eigentlich schade. Derjenige, der den Geist des Weges, Doshin, hat, sollte eher den Godo
wählen, mit dem er die meisten Probleme hat. Man wählt keinen Meister, damit er das, was
man sagt oder tut, immer bestätigt. Wenn man sich einer Beziehung mit Gegensätzen und
Streitigkeiten aussetzt, hat man Gelegenheiten, sich in Frage zu stellen.
Ich bin in der Regel recht freundlich und gehe mit Menschen freundlich um – nicht immer,
aber meistens. Aber wenn ich damit aufhöre, wenn ich mich aus gutem Grund und im
Interesse des anderen aufrege, fällt mir auf, dass die Leute mit Verständnislosigkeit
reagieren und denken: „Er versteht mich nicht mehr. Es ist nicht mehr so wie vorher. Etwas
hat sich geändert.“ In diesem Moment wird eine Beziehung jedoch wahrer und müsste sich
vertiefen.
Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen.
F: Für wie wichtig hält du es, dass man während eines Sesshin die Kusen in der jeweiligen
Sprache versteht?
RR: So weit möglich schon, weil Kusen dazu da sind, um kommuniziert und empfangen zu
werden. Aber manchmal versteht man sie nicht sofort. Das ist nicht so schlimm. Man kann
sie einfach vergessen. Später denkt man wieder daran und versteht plötzlich Dinge, die man
beim ersten Mal nicht verstanden hat. Kusen wiederholen sich oft. Das erste Mal hat man
sie vielleicht nicht verstanden, aber irgendwann hört man etwas Ähnliches. Wenn man einen
Nagel einschlagen will, ist man beim ersten Schlag erschrocken, beim zweiten Schlag geht
es etwas besser und beim dritten Schlag ist der Nagel drin.
Was hast du nicht verstanden?
F: Ich verstehe sehr gut, was du sagst, weil es übersetzt wird. Aber in Zukunft möchte ich mehr
Sesshins von dir besuchen, und da ich zurzeit nur sehr wenig französisch spreche, könnte es
vielleicht zu einem Hindernis für mich werden.
RR: Dann kannst du dich mit den Leuten, die die Notizen aufnehmen, in Verbindung setzen und
jemanden bitten, die Texte zu übersetzen. Aber es ist schon nicht schlecht, wenn du alle
Sesshins besuchst, die auf Deutsch übersetzt werden. Wenn ihr mehrere Deutsche seid, z. B.
in Belgien, wo die Kusen ins Flämische übersetzt werden, kann jemand nachmittags die
Kusen noch einmal zusammenfassen. Aber auf einem Sesshin gibt es nicht nur Kusen,
sondern die Zazen-Praxis, Mondo, Dokusan. Man kann auch bei einem Dokusan um eine
Übersetzung bitten. Ich kann auch ein bisschen Deutsch sprechen.
F: Wir haben in den Workshops über Leben und Tod gesprochen. Das Leben ist das ganze
Leben, der Tod ist der ganze Tod. Du hast im Kusen einmal von den sechs Welten gesprochen,
von unterschiedlichen Ebenen, die auch vergänglich sind. Was ist mit den Devas, Geistern.
Wozu gehören sie?
RR: Im Zen-Weg sind dies vor allem Geisteszustände. Aber in der buddhistischen Tradition sind
es auch Orte der Wiedergeburt, Bedingungen für die Wiedergeburt. Es ist zum Beispiel sehr
konkret, wenn man als Tier wiedergeboren wird. Man wird ein Tier wie derjenige, der als
Fuchs wiedergeboren wurde. Ein Fuchs ist ein Fuchs.
Aber im Zen sieht man die Wiedergeburt eher so: Was wird den Geisteszustand in einem
Leben dominieren? Manche Leute werden in ihrem Leben von Aggressivität, Hass und
Konflikten dominiert. Das gibt ihrem Leben eine bestimmte Färbung, eine bestimmte
Prägung. Diese Leute haben eine Art Wiedergeburt als aggressive Geister. Andere Leute
werden in ihrem Leben eher von Tierinstinkten beherrscht. Andere werden eher von Sorgen
um die Arbeit, um die Familie beherrscht.
Aber jeder durchläuft all diese Zustände nicht nur in seinem Leben, sondern an einem Tag
oder sogar bei einem einzigen Zazen. Das entspricht eher der Sichtweise der Zen-
Unterweisung. Man kümmert sich nicht so um die Wiedergeburt, man kümmert sich um das
Hier und Jetzt. Wie wird man von einem Augenblick zum anderen wiedergeboren, abhängig
von seinem Geisteszustand? Dies ist sehr wichtig. Dies ist Shoji, die Unbeständigkeit,
Geburt und Tod, nicht nur nach dem Tod, sondern im Leben selbst, jeden Tag, in jedem
Augenblick. Es wird Nirvana, dem Erlöschen, entgegen gesetzt.
Der wichtige Punkt von Shoji im Shobogenzo ist es, dieses Gegenüberstellen zu beenden.
Sehen, dass es selbst in der Mitte der Erscheinungen und der Transmigration in den sechs
Welten die Möglichkeit gibt, das Erwachen zu erlangen und sofort die Welt des Shoji, das
Samsara, in Nirvana umzuwandeln. Einfach indem wir unser Bewusstsein ändern.
Ich möchte noch etwas hinzufügen, um es für diejenigen etwas klarer zu machen, die nicht
bei den Workshops dabei waren und das Shobogenzo Shoji nicht kennen. Es handelt sich um
einen Teil von Meister Dogens Unterweisung. Der Schlüssel, mit dem Samsara, diese Welt
der Transmigration, sofort zum Nirvana werden kann, ist, einfach aufzuhören, etwas
anderes zu wünschen, aufzuhören das Samsara zu hassen und das Nirvana zu begehren.
Genau diese Haltung von Liebe und Hass, der Gier etwas haben zu wollen oder im
Gegenteil etwas abzulehnen, provoziert das Samsara, die ständige Wiedergeburt von
Augenblick zu Augenblick, von einem Leben zum anderen. Das kann sofort ein Ende
haben. Der wahre Zen-Geist akzeptiert, was von Augenblick zu Augenblick auftaucht, ohne
Anhaftung und ohne Ablehnung. Das ist die Essenz selbst der Zazen-Praxis. Meister Sosan
lehrt es im Shinjinmei vom ersten Satz an: „Es ist nicht schwierig, den Weg zu
durchdringen, indem man einfach ohne Liebe, ohne Hass, ohne Auswahl und ohne
Ablehnung ist.“
Man kann sagen, dies ist die Grundlage unserer Praxis. Es ist genau die Antwort auf die
Frage von Shoji. Gerade jetzt, im Dojo, in der Praxis, nicht für irgendwann nach dem Tod
oder jenseits von irgendetwas.
F: Der vierjährige Sohn eines befreundeten Paares erzählte, dass er während seiner Geburt den
Kreißsaal von oben herab sehen konnte, die Ärzte, seinen Vater. Seine größte Angst war, nicht
zu wissen, wie man atmet, wenn man auf die Welt kommt. Ab welchem Moment hat man eine
Seele? Schon im Bauch der Mutter oder im Moment der Geburt?
RR: Es handelt sich da nicht um Seele. Seele ist ein metaphysischer Begriff. Man kann an eine
ewige Seele glauben oder nicht, das hat aber nichts mit dem Thema zu tun, von dem du
sprichst. Es hat etwas damit zu tun, dass ein Kind nach ungefähr dem 6. Monat bereits ein
ausreichend entwickeltes Gehirn und Nervensystem hat, um Empfindungen wahrzunehmen
und Erfahrungen zu machen. Es betrachtet natürlich nicht den Tag wie wir, aber es sieht
schon Dinge. Im Moment der Geburt sind Nervensystem und Gehirn gründlich ausgebildet.
Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen dem Moment vor der Geburt und nach der
Geburt. Kurz nach der Geburt sind die Augen geöffnet und die Nabelschnur ist durchtrennt,
aber der Geist entsteht nicht plötzlich. Die Fähigkeit zu fühlen und wahrzunehmen ist nach
und nach entstanden und funktioniert schon Monate vor der Geburt.
Es ist heutzutage bekannt, dass der Geisteszustand der Eltern, die Beziehung zwischen den
Eltern und der Kontakt mit dem Kind im Bauch sehr wichtig sind. Es handelt sich nicht um
einen unempfindlichen Gegenstand. Diese Geschichte ist außergewöhnlich, aber nicht
unverständlich.
F: Heute ist das Kind 10 Jahre alt, und es erinnert sich nicht mehr daran, was es seinen Eltern
erzählt hat.
RR: Es gibt einen amerikanischen Psychiater, der Tausende von Menschen, darunter auch
Kinder, zehn Jahre lang befragt hat. Nur sehr junge Kinder erinnerten sich oft nicht nur an
ihre Geburt, sondern auch an vorherige Leben. Diese Erinnerungen verschwinden sehr
schnell. Normalerweise befragt man Kinder nicht dazu. Nicht alle erinnern sich daran, aber
es ist nichts Außergewöhnliches. Es kommt öfter vor.
F: Die kürzeste Antwort wäre sicherlich ein Schlag mit dem Stock. Aber ich stelle die Frage
trotzdem: Was ist der Körper?
RR: Weißt du nicht was dein Körper ist, fühlst du ihn nicht?
F: Schon, aber ich möchte wissen, wie man die Sachen interpretiert, die er uns sagt, zum Beispiel
Schmerzen.
RR: Welche Frage hast du? Welche Frage stellst du dir wirklich? Was ist der Körper? Ich glaube
nicht, dass das deine Frage ist.
F: Wie soll ich mit Schmerzen umgehen?
RR: In der Zazen-Praxis verspüren alle Leute Schmerzen, vor allem während eines Sesshins. Das
scheint ein Widerspruch zu sein, weil man sagt, dass der Buddhaweg der Weg zur Lösung
des Leidens ist. Dann sagt man sich: „Vielleicht muss man leiden, um nicht mehr zu
leiden.“ Das scheint paradox.
Eigentlich ist es nicht so paradox. Denn wir suchen nicht das Leiden und unterwerfen uns
nicht einer schmerzhaften Praxis als einer Art Reinigung. Wir praktizieren Zazen, weil es
die beste und stabilste Haltung ist. Für die Menschen aus der westlichen Welt, die nicht
daran gewöhnt sind, auf dem Boden zu sitzen, ist die Haltung manchmal schmerzhaft, vor
allem, wenn man länger sitzt. Auch wenn wir diesen Schmerz nicht suchen und er nicht Ziel
unserer Praxis ist, kann man in gewisser Weise sagen, dass er sich während Zazen als
Chance bietet.
Sinn unserer Praxis ist es, das Leid zu lösen, wenn es da ist. Wie verhält sich unser Geist
dem Schmerz gegenüber? Wie gehen wir damit um? Wenn wir zum Beispiel im Alltag jede
Menge moralische und körperliche Leiden erleben, uns dann in Zazen setzen würden und
alles liefe prima, wenn wir in Zazen sitzend nichts mehr spüren würden und in einem
Zustand ohne Schmerzen, ohne Empfindung, ohne Wahrnehmung wären, dann würde uns
Zazen überhaupt nichts lehren. Es wäre nur eine bequeme, angenehme Angelegenheit; man
würde regelmäßig zur Zazen-Praxis zurückkehren, weil wenigstens in diesem Moment kein
Leiden mehr da wäre. Es wäre sicherlich so ähnlich, als würde man eine Droge wie
Morphium einnehmen. Man hätte etwas gefunden, das ganz plötzlich Leiden und
Schmerzen auslöscht. Aber es löscht nicht den Grund des Leidens. In unserer Praxis geht es
nicht nur darum, das Leiden zu lösen, sondern den Grund des Leidens.
Man kann natürlich den Schmerz an sich nicht abschaffen, aber das Leiden. Das ist ein
Unterschied. Schmerz ist unausweichlich, sobald man einen Körper hat. Der Körper hat
Nerven und manchmal verspürt man Schmerzen. Das gehört dazu, nicht nur in Zazen,
sondern auch, wenn man müde oder krank ist, wenn man sich zu sehr anstrengt. Einfach
durch die Tatsache, dass man einen Körper und Empfindungen hat, ist man Schmerzen
ausgesetzt.
Der Zweck des Buddha-Wegs ist nicht, Schmerzen abzuschaffen, sondern das Leiden in
Bezug auf Schmerzen zu lösen. Leiden ist unsere Reaktion auf Schmerz. Genau diese
Reaktion der Ablehnung, der Feindseligkeit, der Verspannung, diese ablehnende, feindliche
Haltung dem Schmerz gegenüber, dieser Hass auf den Schmerz führt dazu, dass ein
einfacher Schmerz im Knie oder im Rücken sich zu etwas Dramatischem entwickelt, zum
Leiden. Es kann auch dazu kommen, dass man Zazen ablehnt oder den Godo der einen dazu
bringt, sitzen zu bleiben. Es gibt alle möglichen Reaktionen. Aber gerade diese Momente
können dazu führen, dass man sein eigenes Ego besser versteht, besser versteht, wie es
funktioniert, wie es etwas Angenehmes möchte oder etwas ablehnt, was nicht angenehm ist.
Deswegen transmigriert das Karma. Dem hinterherzulaufen, was man liebt, und vor dem zu
fliehen, was man nicht liebt, nimmt kein Ende. Die Praxis von Zazen heißt zu lernen,
zentriert und heiter zu sein, ob man sich nun gut und glücklich fühlt oder aber Schmerzen,
Verspannungen oder Müdigkeit empfindet. All diese Zustände einfach durchqueren, indem
man am besten auf die Atmung konzentriert bleibt, mit dem atmet, was geschieht, und die
Funktionsweise des Geistes beobacht. Sehen wie mentale Spannungen auftauchen und
Aggressivität, Depressionen und Entmutigung entstehen. Es einfach betrachten und vorbei
ziehen lassen. Sich mit diesen negativen Emotionen nicht identifizieren, sie aber auch nicht
ablehnen, sonst wird alles noch komplizierter. Wenn man bereits einen körperlichen
Schmerz hat, revoltiert man dagegen und fühlt sich anschließend schuldig, weil man
revoltiert. Dann gibt es keine Ende mehr, das häuft sich an.
Zazen dagegen baut diese Spirale von Prozessen ab. Nicht etwas hinzufügen, sondern etwas
davon wegnehmen. Und plötzlich wird es eine große Unterweisung für das Leben. Meister
Deshimaru nannte es „das Entdramatisieren des Schmerzes“. Das ist die grundlegende
Unterweisung Buddhas: entdramatisieren. Unser Ego dramatisiert gern und fügt etwas
hinzu. Im Zazen lernt man, dass an einer kleinen Sache überhaupt nichts ist. Man geht einen
Schritt zurück.
F: Gibt es im Leben einen Unterschied zwischen einem Bodhisattva und einem Mönch?
RR: Im Grunde nicht. In der Tatsache, dass man Zazen praktiziert, gibt es keinen Unterschied.
Mönche, Bodhisattvas, Nicht-Ordinierte praktizieren normalerweise auf die gleiche Weise.
Aber der Platz, den Zazen im Leben einnimmt, ist anders. Der Bodhisattva legt das Gelübde
ab, seine Zeit, sein Leben zu widmen, um den anderen zu helfen. Von diesem Gelübde aus
ist ein Mönch noch mehr verfügbar, um die Praxis zu fördern und mit anderen zu teilen. Er
gibt seine egoistischen Anhaftungen auf, um verfügbar zu sein und seine Bodhisattva-
Gelübde wirklich erfüllen zu können. Es ist eine Wahl der Lebensweise. Was die meisten
Menschen beschäftigt, wird aufgegeben oder zumindest reduziert, um der Sangha, der
Gemeinschaft der Praktizierenden, und allen Wesen zu helfen, die Hilfe brauchen.
Heutzutage sind die Dinge komplizierter, weil die Mönche sich weder von der Familie noch
von der Arbeit trennen. Sie befinden sich im Großen und Ganzen in der gleichen Situation
wie die Bodhisattvas. Morgen werden zwei Bodhisattvas zu Mönchen ordiniert. Sie werden
nach Hause zurückkehren, ohne dass sich ihre Lage geändert hat. – Es sei denn, dass ihre
Frauen ihnen eine kleine Mitteilung unter die Tür schieben, auf der steht, dass sie nicht mit
einem Mönch zusammen leben möchten. Aber ich denke, dass das nicht der Fall sein wird. –
Nach außen hin wird es nicht so aussehen, als hätte eine Änderung stattgefunden. Eine
Änderung kann sich aber im Geisteszustand vollziehen.
Während der Ordination macht man Sampai in Richtung seiner Familie. Früher bedeutete
das einen wirklichen Abschied, eine wirkliche Trennung. So wie es auch bei anderen
Mönchen, z.B. den Benediktinern, geschieht, wenn sie in ein Kloster eintreten: Sie verlassen
ihre Familie. Seit einem Jahrhundert ist das für die Zen-Mönche nicht mehr notwendig.
Aber es ist wichtig, in diesem Moment die Beziehung zu seiner Familie noch einmal zu
betrachten und zu ändern und die Familie als Teil von Shujo, von allen fühlenden Wesen zu
sehen, denen man helfen möchte. Dann wird die Familie zu einem Ort der Praxis, des
Weges und des Mitgefühls und kein Knoten der Anhaftung. Vor allem im Geisteszustand
muss eine Änderung stattfinden.
Es ist nicht notwendig sich von etwas zu trennen. Das gilt auch für die Arbeit. Der
Arbeitsplatz kann durchaus ein Ort der Praxis des Weges sein. Manchmal ist das nicht
einfach, aber es gibt immer Mittel. Wenn man Mönch wird, sucht man keine berufliche
Karriere mehr. Man hat keine Ambition mehr, Chef oder Direktor der Firma zu werden.
Wenn dies zufällig geschieht, dann nicht als Ergebnis einer persönlichen Ambition, sondern
weil man den anderen Dienste erwiesen hat.
Im Bereich der Wirtschaft befinden wir uns in einem Netzwerk wechselseitiger
Abhängigkeit. Es gibt Kollegen, Chefs, Kunden, Lieferanten, jede Menge Beziehungen
werden in einem Berufsleben geknüpft. Diese Beziehungen können Gelegenheit werden, die
Paramita, die Praktiken des Bodhisattvas, zu praktizieren. – Das ist nicht unbedingt
idealistisch oder unrealistisch. Es kann die Möglichkeit bieten, seinen Beruf besser
auszuüben.
Das sind die hauptsächlichen Änderungen.
Welches Problem stellt sich für dich? Überlegst du, eines Tages Mönch zu werden? – Wenn
man sich als Bodhisattva diese Frage stellt, muss man überlegen, zu welchem zusätzlichen
Engagement man auf dem Weg bereit ist. Ist man bereit, persönliche Anhaftungen
aufzugeben, um den Mönchsweg zu beschreiten, um innerlich verfügbarer zu sein, für die
Praxis mit den anderen? Wenn man wirklich fühlt, dass dies die einzig wichtige Sache in
seinem Leben ist und dass der Rest nicht so wichtig ist, hat man bereits den Geist des
Mönches. In diesem Fall ist die Ordination nur eine Bestätigung, dass man bereits diesen
Geisteszustand hat. Dazu kommt, dass man durch die Ordination Schüler des Godos wird,
der einem die Ordination gibt. In der Vergangenheit hat man dies zu wenig erwähnt. Noch
heute vergesse ich manchmal darüber zu sprechen. Man muss darüber sprechen, man muss
es wissen. Das gibt der Praxis eine andere Dimension.
F: Eben wurde die Frage nach dem Körper gestellt. Was ist mit dem Geist?
RR: Der Geist ist unfassbar. – Während der Vorbereitung gab es bereits eine derartige Frage. Ich
habe schon über die zahlreichen Aspekte des Geistes gesprochen. Der Geist funktioniert
nicht immer gleich. Was man am Ende wahrnehmen kann, sind Funktionsweisen des
Geistes. Den Geist selbst kann man niemals fassen. Manchmal hat man Gedanken. Man
denkt nach, der Geist manifestiert sich. In anderen Momenten empfindet man Gefühle, eine
andere Funktionsweise des Geistes. In diesem Fall ist der Geist eher das Herz. In wieder
anderen Momenten praktiziert man Zazen und realisiert einen Geist, der sich mit nichts
identifiziert.
Man kann immer das Wirken des Geistes spüren, aber nicht die Quelle. Den Geist selber
kann man nicht erfassen. Aber man kann sehen, wie er funktioniert. Die Quelle ist nicht
fassbar. Daher sagt man, dass die Quelle rein ist. Zur reinen Quelle zurückkehren heißt, zu
diesem Geist zurückzukehren, den man nicht greifen und nicht definieren kann. In der
Zazen-Praxis ist dies sehr wichtig. Aus diesem Grund kann deine Frage nicht beantwortet
werden. Würde man sagen, der Geist ist dies oder das, wäre es eine sehr schlechte Antwort.
Ich hoffe, du erwartest nicht eine derartige Antwort.
F: Ich glaube zu verstehen, dass eine Antwort mit Worten nicht gegeben werden kann.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass trotzdem aufgrund der Praxis eine Ahnung besteht, dass
es etwas gibt, was man so nicht beschreiben kann und was man den Geist nennt. Aber dennoch
besteht die Sehnsucht zu beschreiben, um zu dem Zustand der reinen Quelle zurückzukehren.
RR: Meister Wanshi und Meister Dogen haben viele Jahre damit verbracht, über diesen reinen
und unfassbaren Geist zu sprechen. Sie haben ihn aber nie beschreiben können. Es gibt
Bilder, die eine Vorstellung davon geben, worum es sich handelt. Aber vor allem haben sie
die Weise gelehrt, wie man praktiziert, die Möglichkeit, selbst einen Geist zu erfahren, der
von allen Identifikationen befreit ist, einen offenen, freien, nicht starrem Geist.
F: Ist Zen nicht eher eine Praxis als eine Beschreibung eines kosmischen Systems?
RR: Ja, Zen ist sicherlich eher eine Praxis. Aber das heißt nicht, dass es in dieser Praxis keine
Realisierung eines kosmischen Prinzips gibt. Aber es ist sehr schwierig, dieses kosmische
Prinzip mit Worten zu beschreiben, weil es zu umfassend ist. Man kann es daher besser
durch die Praxis mit dem Körper und mit der Atmung erfahren, indem man die mentale
Funktionsweise aufgibt, die immer etwas beschreiben und in Kategorien fassen will. Dann
funktioniert der Geist auf eine andere Art, ein intuitiver Geist, der direkt die Wirklichkeit so
empfindet, wie sie ist, und der nicht mehr die Notwendigkeit spürt, alles mit Wörtern zu
beschreiben oder Etiketten aufzukleben.
Das Wichtigste ist doch: Wie funktioniert man eigentlich? – Im Zen geht es nicht darum,
sich eine Idee von der Wirklichkeit zu machen, so wie sie ist, keine Art Philosophie oder
Konzeption, sondern um die Frage: „Wie lebt man wirklich in jedem Augenblick?“, „Wie
funktioniert man?“, „Wie benutzen wir unseren Geist?“, „Wie funktionieren wir mit
unserem Körper und unserem Geist in jedem Augenblick?“ – Das ist am Wichtigsten.

Sonntag, 23. Mai 2004, 7 Uhr
Während Zazen konzentriert man sich fortwährend auf die Haltung. Das Becken ist nach vorne
geneigt, Wirbelsäule und Nacken sind gestreckt. Man drückt mit dem höchsten Punkt des Kopfes
in den Himmel. Immer wieder kehrt man zu dieser Haltung zurück, denn wenn der menschliche
Körper die Form der Zazen-Haltung einnimmt, findet er seine wahre Form wieder.
Wanshi sagt: „Wenn wir unsere wahre Form kontemplieren, kontemplieren wir Buddha.“
Obwohl die Form der Zazen-Haltung präzise beschrieben wird, verwirklichen wir, wenn wir
unsere ganze Aufmerksamkeit auf diese Form, diese Haltung richten, letztlich die Nicht-Form.
Das heißt, wir verwirklichen einen Geist, der nicht mehr an Formen haftet, der keine
Trennungen, keine Gegensätze zwischen einer Form und einer anderen Form schafft.
Oft haben die Leute Probleme damit, einer bestimmten Form zu folgen, besonders in Europa. Als
z.B. das Oryoki-Ritual beim Essen eingeführt wurde, haben sich einige widersetzt und es
Formalismus genannt. Egal was man tut, welche Handlung man ausübt, welche Haltung man
einnimmt – wir existieren in einer Welt der Formen. Wir können uns nicht von den Formen
lossagen. Wenn wir uns vollständig auf die Form konzentrieren, die unterwiesen wurde, handelt
es sich nicht um eine Form, die von unserem Ego erschaffen wurde, sondern um eine
empfangene und anerkannte Form. Man kann sich selbst in dieser Form vergessen und sein
eigenes Ego aufgeben. Dieses Aufgeben ist die wahre Befreiung, die es uns ermöglicht wirklich
jenseits aller Formen zu sein, jenseits von Anhaftung an Formen, die wir erschaffen. Es ist das
Gleiche, wenn man ein Kesa näht und sich darauf konzentriert. Würden wir unseren Ideen
folgend eine Art Patchwork erzeugen, wäre dies nur Ausdruck unseres eigenen Egos. Aber wenn
man der wahren übermittelten Form folgt, gibt man seine persönlichen Besonderheiten auf und
verwirklicht einen Geist ohne Form, Muso, der die Pforte zum wahren Glück ist, das nicht von
unseren egoistischen Kategorien eingeschränkt wird.
Gestern hat jemand beim Mondo eine Frage nach der wahren Natur des Körpers gestellt. Genau
sie kann man intuitiv in der Zazen-Haltung verwirklichen. Durch die Konzentration auf die Form
der Haltung realisiert man die Nicht-Form. Durch die Konzentration auf den Körper realisiert
man die wahre Natur des Körpers, die eine Nicht-Natur ist. Sie ist nicht etwas, das man
definieren oder begrenzen kann. Der Körper wird in Zazen der Körper Buddhas, der Körper des
Dharma, ein Körper in Einheit mit dem ganzen Universum. Das kann nicht definiert oder erklärt
werden, aber man kann es vertraut erfahren, jenseits des Denkens.
Wanshi bringt dies zum Ausdruck, indem er sagt: „Wenn ihr selber diese Erfahrung ohne
Zerstreutheit machen könnt, das heißt voller Konzentration, seid ihr jenseits von
Voreingenommenheit, von Auswahl, von Bevorzugung und geht über jede Begriffsbildung
hinaus. So wird man allen Erwachten, allen Buddhas ähnlich, die das Wesentliche ohne
Dualismus verwirklichten.“
Auf diese Weise können wir einen vollständig ruhigen Geist wiederfinden und in die
Wirklichkeit unseres Lebens vertraut eindringen, jenseits von all unseren Gedanken, ohne von
unseren Gedanken eingeschränkt zu werden. Dann haben wir es nicht mehr nötig, von anderen
abhängig zu sein. Wir können unsere eigenen Erfahrungen machen und völliges Vertrauen in
unsere Praxis haben. Das ermöglicht uns, unsere Energien zu befreien und alle Hindernisse zu
überwinden. Von dieser Erfahrung aus werden wir in die Welt des Alltags zurückkehren und
Situationen, die auftreten werden, ganz natürlich und ohne Anstrengung begegnen.
Wanshi sagt: „Genauso wie Wolken, die ruhig vorbeiziehen und ihren Regen fallenlassen. Sie
ziehen über alle Hindernisse hinweg“. So wie Zen-Nonnen und -Mönche, Unsui, die diese
Freiheit der Wolken haben und dieses Wassers, das überall frei entlang fließt.

Sonntag, 23. Mai 2004, 11 Uhr
Während dieses Frühlingslagers haben wir uns auf die Praxis von Zazen und Gyoji konzentriert,
ohne uns an irgendeinen Gegenstand zu haften, indem wir uns einfach auf die Haltung selbst
konzentriert haben, vollständig frei von jedem Hintergedanken und jeder Absicht. So haben wir
die Praxis erfahren können, die selber Befreiung ist, die Rückkehr zu einem einfachen freien
Geist, entblößt von unseren geistigen Erzeugnissen. Wir haben in unserem Geist Raum finden
können.
Jetzt werden wir in unser gewohntes Leben zurückkehren. In diesem Leben kann man natürlich
nicht ständig ohne Zielsetzung sein. Man hat Verantwortlichkeiten, man muss Aufgaben
erfüllen. Aber ausgehend von der Erfahrung des Sesshins kann man sich so gut wie möglich auf
das konzentrieren, was man zu tun hat, ohne egoistisches Ziel, indem man seine Zeit und seine
Energie in den Dienst für andere stellt. Auf diese Art und Weise aktualisiert man die Praxis des
Weges im Alltag, indem man auch darauf achtet, nicht zu viele Gegensätze und Unterschiede
zwischen der Praxis im Dojo und dem Rest unseres Lebens zu schaffen. Das heißt, aus unserem
Leben eine Gesamtheit schaffen, ohne Trennungen, zurückkehren zum religiösen Geist selbst,
mit seinem wahren Geist verbunden sein, so dass er sich in allen Aspekten unseres Lebens
ausdrücken kann.

Veröffentlicht in Roland.